Bereits Anfang Dezember hat der Bundestag über die Impfpflicht in Pflege und Gesundheitswesen diskutiert. Wie ist dort der Stand?
Das Parlament hat dabei eine erneute Anpassung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Ab dem 16. März gilt durch Rechtsverordnung eine einrichtungsbezogene Impfpflicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kliniken, Tageskliniken, Pflegeheimen, Arzt- und Zahnarztpraxen, Rettungs- und Pflegediensten, Geburtshäusern und anderen medizinisch-pflegerischen Einrichtungen. Begründet wird sie damit, dass Mitarbeiter in diesen Einrichtungen engen Kontakt zu besonders gefährdeten Person haben.
Warum dann auch noch eine allgemeine Impfpflicht?
Eine allgemeine Impfpflicht soll dabei helfen, eine Herdenimmunität gegen Corona zu erreichen. Derzeit sind rund 73 Prozent der Bevölkerung mindestens doppelt geimpft. Geimpfte schützen nicht nur sich selbst vor Ansteckung und schwerer Erkrankung, sondern auch andere - etwa auch die, die sich nicht impfen lassen können. Damit entlasten sie das Gesundheitssystem und die Intensivstationen. Deshalb hat Österreich als erstes EU-Land am vergangenen Donnerstag eine allgemeine Impfpflicht beschlossen. Italien und Griechenland haben lediglich eine für ältere Menschen geltende Impfpflicht.
Wie sieht das Gesetzgebungsverfahren aus?
Bisher existiert keine Rechtsgrundlage für eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus. Das Infektionsschutzgesetz kann lediglich Impfungen für "bedrohte Teile der Bevölkerung" anordnen. Eine allgemeine Impfpflicht müsste der Bundestag beschließen.
Der Entscheidungsprozess verzögert sich aber, weil die Regierung keinen eigenen Gesetzentwurf vorlegen will und die Bundestagsabgeordneten ohne Fraktionszwang entscheiden und eigene Gruppenanträge vorlegen sollen. Klar ist damit allerdings, dass eine Impfpflicht die gegenwärtige Omikron-Welle kaum noch beeinflussen kann. Befürworter argumentieren aber damit, dass sie einen guten Schutz für eine mögliche weitere Pandemie-Welle im Herbst bieten könnte und Deutschland damit nicht immer wieder in neue Pandemiewellen laufen müsste.
Welche Vorschläge liegen auf dem Tisch?
Der erste Antrag kam von einer Gruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der sich klar gegen eine Impfpflicht ausspricht. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) arbeitet nach eigenen Worten "als Abgeordneter" an einem Vorschlag für eine Impfpflicht für alle Menschen über 18 Jahren.
Konkrete Eckpunkte haben am Wochenende Koalitionspolitiker um den stellvertretenden SPD-Fraktionschef Dirk Wiese vorgelegt. Er sieht ebenfalls eine Impfpflicht ab 18 Jahren vor. Die Pflicht sollte auf ein bis zwei Jahre befristet sein, für nicht mehr als drei Impfungen gelten und über Bußgelder durchgesetzt werden. Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, Mitinitiator des Antrags, erklärte, die Impfpflicht sollte ab dem Sommer gelten. Bis Ende März könne das Gesetz beschlossen sein. "Dann brauchen wir das zweite Quartal, um sehr intensiv zu impfen. Dann kann die Impfpflicht im Juli oder August in Kraft sein", erläuterte der Grünen-Politiker.
Zwischen diesen Polen gibt es weitere Vorschläge: Der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann etwa regte eine altersabhängige Regelung wie in Italien an.
Ist eine allgemeine Impfpflicht verfassungsgemäß?
Darüber streiten die Experten. Vor einigen Monaten schloss auch die Politik eine Impfpflicht noch kategorisch aus. Ethikrat und zahlreiche Juristen unterstrichen, dass auf jeden Fall zunächst mildere Maßnahmen ausgereizt sein müssten, also etwa eine verstärkte Werbung für freiwillige Impfungen. Eine allgemeine Impfpflicht wäre auf jeden Fall ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Grundrecht kann nur durch Gesetze eingeschränkt werden. Da es ein wichtiges Freiheitsrecht gegen staatliche Zugriffe ist, muss die Einschränkung gut begründet sein - beispielsweise durch die Pflicht des Staates, Intensivstationen vor Überlastung zu schützen. Auch der Schutz von Menschen, die sich nicht impfen lassen können wie etwa Kleinkinder, ist ein Grund.
Aus den Grundrechten folgt allerdings aber auch: Der Staat ist verpflichtet, das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger zu schützen. Diese Pflicht kann höher wiegen als das Recht des Einzelnen, sich für oder gegen eine Impfung zu entscheiden.
Grundrechtseingriffe müssen "verhältnismäßig" sein. Was bedeutet das in diesem Fall?
Eine Impfpflicht kann nur beschlossen werden, wenn überhaupt jedem Menschen eine kostenfreie Impfmöglichkeit zur Verfügung steht. Auch müsste der Staat nachweisen, dass eine Impfpflicht wirksam ist - eine heikle Frage, wenn sich die Wirkung schnell abschwächt und man sich möglicherweise alle paar Monate erneut impfen lassen muss. Außerdem muss der Staat in allen Bevölkerungsgruppen ausreichend aufgeklärt haben. Dargelegt werden muss auch, dass beim Impfen bislang keine übermäßigen gesundheitlichen Risiken aufgetreten sind. Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio hat auch die Frage aufgeworfen, ob eine Impfpflicht dann noch gerechtfertigt ist, wenn die Virus-Variante Omikron weniger gefährlich ist und es damit weniger Klinikaufenthalte und Todesfälle gibt.
Welche Einwände gibt es noch?
Kritiker verweisen darauf, dass eine Impfpflicht die Gesellschaft spalten könnte. Schon jetzt gibt es immer mehr Demonstrationen gegen eine Impfpflicht; dabei mischen sich vielfach Impfgegner mit Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen. Befürworter einer Impfpflicht verweisen umgekehrt darauf, dass die Zustimmung in der Bevölkerung für eine Impfpflicht hoch ist. Es seien gerade neue Pandemiewellen, die für eine weitere Spaltung der Gesellschaft sowie erhebliche wirtschaftliche und soziale Probleme sorgen könnten.
Kann der Staat eine Impfpflicht überhaupt durchsetzen?
Auch Gesundheitsminister Lauterbach hat versichert, dass niemand zwangsweise gegen Corona geimpft wird. Die Impfpflicht sei in Wirklichkeit eine Impfnachweispflicht. Dabei gibt es Druckmittel, um Impfungen durchzusetzen, etwa Bußgelder, den Wegfall der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Nicht-Geimpfte oder indirekten Druck durch Zugangsbeschränkungen zu Veranstaltungen, Restaurants und Theatern. Die Frage ist, wer das kontrollieren soll.
Debattiert wird auch über ein Impfregister, um Impfungen nachweisen zu können...
Anders als etwa in Österreich gibt es in Deutschland allerdings kein zentrales Register, in dem durchgeführte Impfungen erfasst werden. Der Aufbau eines Registers ist aufwendig, dauert zu lange und es gibt Bedenken von Datenschützern.