Hartz-IV-Sanktionen in Teilen verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht interveniert

Der Staat darf Hartz-IV-Beziehern künftig nicht mehr so schnell und so weitreichend Bezüge kürzen oder streichen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Im Fokus des Urteil stand das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.

Symbolbild Hartz IV / © MichaelJayBerlin (shutterstock)
Symbolbild Hartz IV / © MichaelJayBerlin ( shutterstock )

Zwar sei es grundsätzlich erlaubt, gewisse Mitwirkungspflichten zu verlangen und bei entsprechenden Verstößen Sanktionen zu verhängen. Weite Teile der derzeitigen gesetzlichen Regeln verstießen aber gegen die Verfassung, unter anderem weil sie das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzten, so das Gericht an diesem Dienstag in Karlsruhe .

Das Grundgesetz schütze Hilfsbedürftige und wolle ihnen Brücken in eine bessere Zukunft bauen, so der Vizepräsident des Gerichts, Stephan Harbarth. "Der Gesetzgeber darf verlangen, dass Menschen, die staatliche Mittel in Anspruch nehmen, auch aktiv daran mitwirken, diese Brücken zu beschreiten. Er unterliegt aber strengen Anforderungen, wenn er vorübergehend Mittel entzieht, die zum Leben erforderlich sind."

Verstoß gegen Meldeauflagen

Laut der bislang geltenden Rechtslage konnten Hartz-IV-Leistungen bei Pflichtverletzungen für die Dauer von drei Monaten um 30 Prozent, bei Wiederholungen um 60 Prozent oder sogar vollständig gekürzt werden.

Gründe für die Sanktionierungen sind beispielsweise das Ablehnen oder der Abbruch von Qualifizierungsmaßnahmen oder ein Verstoß gegen Meldeauflagen.

Im vergangenen Jahr wurden entsprechende Sanktionen gegen rund 710.000 Personen verhängt. Insgesamt bezogen zum Stichtag Ende 2018 rund 5,6 Millionen Personen Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Hartz IV). Der Hartz-IV-Satz für einen alleinstehenden Erwachsenen liegt derzeit bei 424 Euro.

Der Erste Senat des Verfassungsgerichts erklärte nun vor allem Kürzungen um 60 Prozent sowie ein vollständiges Aussetzen der Bezüge für verfassungswidrig. Diese bedeuteten eine zu tief reichende Verletzung des im Grundgesetz verankerten Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Dies gelte insbesondere, wenn bei vollständiger Kürzung auch Miet- und Heizkosten sowie die Beiträge zur Krankenversicherung wegfielen.

Die Verfassungsrichter wandten sich in ihrer einstimmig getroffenen Entscheidung auch gegen die bisherige Praxis, dass eine einmal verhängte Kürzung frühestens nach drei Monaten aufgehoben werden kann. Die Sanktionierungen müssten unmittelbar enden, wenn die Betroffenen wieder mit den Jobcentern zusammenarbeiteten. Zudem gebe es keine ausreichenden wissenschaftlichen Untersuchungen, wonach Sanktionierungen wirklich dem beabsichtigten Ziel dienten.

Gesetzgeber zu Änderungen aufgefordert

Das Verfassungsgericht forderte den Gesetzgeber zu entsprechenden Änderungen auf, setzte ihm aber keine zeitliche Frist. Vorerst können bei Pflichtverletzungen von Hartz-IV-Beziehern also weiterhin Leistungen um 30 Prozent gekürzt werden. Ein Streichen um 60 oder 100 Prozent ist ab sofort nicht mehr rechtens. Auch müssen die Jobcenter nun immer prüfen, ob eine Kürzung der Bezüge um 30 Prozent zu unzumutbaren Härten führen würde. Dann ist auch diese erste Stufe der Sanktionierung verboten.

Ausgangspunkt des Karlsruher Verfahrens war eine Vorlage des Sozialgerichts Gotha. Die dortigen Richter sahen in den Regeln zu Leistungskürzungen einen Verstoß gegen das in der Verfassung garantierte Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Wenn sich die Leistungssätze an diesem Minimum orientierten, dürften sie grundsätzlich nicht weiter gekürzt werden. Sie wandten sich damit im Zuge eines Normenkontrollverfahrens direkt an das Verfassungsgericht.


Die Robe im Bundesverfassungsgericht / © Uli Deck (dpa)
Die Robe im Bundesverfassungsgericht / © Uli Deck ( dpa )
Quelle:
KNA