Es war eine der seltenen Sternstunden im Bundestag: Nach einer leidenschaftlichen Debatte entschied sich das Parlament ohne Fraktionszwang dafür, die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu verbieten. Knapp dreieinhalb Jahre später ist das Thema nun vor dem Bundesverfassungsgericht angekommen. Am Dienstag und Mittwoch verhandelt der Zweite Senat über sechs Verfassungsbeschwerden, die sich gegen den Ende 2015 veränderten Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches wenden.
Es sind Sterbehilfevereine, Ärzte und schwer Erkrankte, die ihre Rechte verletzt sehen. Die Vereine kritisieren, dass ihre Mitglieder nicht mehr tätig werden könnten. Die Ärzte fürchten, der Paragraf stelle nicht sicher, dass im Einzelfall geleistete Suizidhilfe straffrei bleibe. Erkrankte machen geltend, dass sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ableiten lasse, das auch eine Hilfe Dritter umfassen müsse.
"Kein assistierter Suizid in Deutschland!"
Die Verfassungsrichter wissen, dass sie ein ethisch umstrittenes Thema aufgreifen. Es ist kein Zufall, dass sie das in Form der mündlichen Verhandlung tun, die einer Rechtsfrage die größtmögliche mediale Aufmerksamkeit beschert. Der Senat unter Leitung von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat intern bereits mehrfach darüber beraten. Dass sich das Verfahren trotzdem in die Länge zieht, hängt damit zusammen, dass die Amtszeit des zunächst zuständigen Richters Herbert Landau endete. Nun ist als Berichterstatterin Sibylle Kessal-Wulf zuständig.
Noch zu Landaus Amtszeit hatte das Gericht 2016 einen Eilantrag des Vereins "Sterbehilfe Deutschland" abgelehnt. Die Richter wollten der Gefahr entgegentreten, dass der "fatale Anschein einer Normalität und schlimmstenfalls sogar der sozialen Gebotenheit der Selbsttötung entstehen" könnte. Abgelehnt wurde auch die Verfassungsbeschwerde des Bündnisses "Kein assistierter Suizid in Deutschland!", aus dessen Sicht das Gesetz zu weit ging und die Hürden zu gering sind.
"Ausgewogenen Mittelweg"
Der Beschluss einer aus drei Richtern bestehenden Kammer ist aber rein formal begründet und lässt keine Rückschlüsse über die Entscheidung zu. Spannend dürfte die Frage werden, ob und inwieweit sich die Strafandrohung des Paragrafen auch auf Ärzte und Pfleger bezieht. Dieses Thema hatte schon bei der Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages im Raum gestanden und wird bis heute unterschiedlich beantwortet.
Der Freiburger Theologe Eberhard Schockenhoff, der auch im Rechtsausschuss gehört worden war, äußerte die Hoffnung, dass das Gesetz nicht aufgehoben wird. Er sieht Ärzte nicht von Strafe bedroht. Selbsttötung dürfe nicht zur "sozialen Praxis" werden, so das langjährige Mitglied im Deutschen Ethikrat. Schockenhoff erkennt im Gesetz einen "ausgewogenen Mittelweg" zwischen straffreier Hilfe und dem Verbot der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung.
"Kein Leitbild guten Sterbens"
Geschäftsmäßige Suizidbeihilfe sei "kein Leitbild guten Sterbens". Eine "ganz klare Ablehnung" gegen organisierte Beihilfe formulierte auch der Stuttgarter Mediziner Elmar Etzersdorfer von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Meist gehe es Schwerkranken nicht um Selbsttötung, sondern um den Wunsch nach menschenwürdigem Sterben und um das Lindern von Leid und Schmerz.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Lukas Radbruch, betonte, die Ärzte könnten mit dem Gesetz gut leben und ihre "normale palliative Versorgung problemlos durchführen". Ziel der Palliativmedizin ist nicht Heilung, sondern bestmögliche Lebensqualität für Sterbenskranke. Für Mediziner gelte es, so Radbruch, Todeswünsche zu respektieren und sie Patienten "nicht gleich ausreden zu wollen". Es gehe aber fast nie "um eine direkte Handlungsaufforderung".
Wie die Praxis unter anderen rechtlichen Voraussetzungen aussieht, zeigt ein Blick in die Schweiz. Dort ist Suizidbeihilfe nicht strafbar, sofern Helfer nicht vom Tod des Betroffenen profitieren. So war allein die Sterbehilfeorganisation Dignitas nach eigenen Angaben bislang an insgesamt 2.771 Selbsttötungen beteiligt. Deutsche machen nach der Statistik knapp die Hälfte aus. In der Schweiz heißt der Begriff für die Entwicklung "Sterbetourismus".