Grüne Dreieckstücher tragen die Menschen um den Hals und über dem Kopf, um sich vor der Sonne zu schützen. Währenddessen wird auf der Altarbühne im Schatten des Doms ein Pilgergottesdienst zu Ehren von vier ganz anderen Textilien gefeiert, die für viele katholische Gläubige eine besondere Bedeutung haben: Es sind Reliquien, die der Erzählung nach eng mit Jesu Leben in Verbindung stehen.
Besondere Stimmung
Alle sieben Jahre werden diese vier Textilreliquien im Aachener Dom aus einem geheimnisvollen goldenen Schrein enthoben, inGottesdiensten gezeigt und in Vitrinen ausgestellt. "Ave Maria" singt eine Gruppe von Pilgernden auf italienisch, während sie in den Dom einziehen. Ein Mann spielt Gitarre. Die Menschen aus verschiedenen italienischsprachigen Gemeinden versetzen den Dom – und auch schon die Warteschlange davor – in eine besondere Stimmung.
Im Inneren des Kaiserdoms hat jede und jeder eine andere Form, den Reliquien zu begegnen. Manche bekreuzigen sich oder halten inne zum Gebet, andere gehen wie Museumsbesucher an den Vitrinen vorbei. Manche haben Rosenkränze oder andere persönliche Gegenstände dabei, die sie den Reliquien nahe bringen möchten. Viele Smartphones sind gezückt – es ist wohl die erste Heiligtumsfahrt, bei der die Textilreliquien auch durch soviel digitale Aufmerksamkeit geehrt werden.
Symbole um Jesus nachzuspüren
Reliquie heißt übersetzt "Überrest" oder "Überbleibsel". Bei den vier Reliquien handelt es sich laut Überlieferung um ein Kleid derGottesmutter Maria aus Jesu Geburtsnacht, Windeln Jesu, sein bei der Kreuzigung getragenes Lendentuch sowie das Enthauptungstuch Johannes des Täufers. Für ihre Echtheit gibt es keine historischen Nachweise. Die Kirche heute sieht in ihnen Zeichen, die auf Jesus und sein Leben und Sterben hinweisen. So ähnlich beschreibt es auch Pilger Markus Krautter, der mit einer Gruppe aus Stuttgart gekommen ist: "Es sind Symbole, mit denen man Jesus von der Geburt bis zum Tod nachspüren kann".
Während im Dom angenehme Kühle herrscht, trotzen draußen viele Pilgerinnen und Pilger nicht nur bei den Gottesdiensten der Hitze. Viele sind mit dem Fahrrad oder zu Fuß gekommen. Eine Fahrradwallfahrt aus dem Großraum Aachen etwa bringt alle Generationen mit in die Domstadt – der jüngste Pilger ist erst ein gutes Jahr alt, der älteste über 70. Gaby Bayer-Ortmanns hat die Fahrt organisiert. "Ich selbst schöpfe aus meinem Glauben viel Zuversicht, das möchte ich gerne säen", sagt sie. Manche Kinder hätten die Heiligtümer in der Schule durchgenommen und seien nun ganz gespannt, sie auch zu sehen. Zur Gitarre singt die Gruppe in einer schattigen Ecke das Mottolied "Für wen haltet ihr mich?".
Pilgern in Gemeinschaft
Mit Wanderstöcken war eine Gruppe aus Eschweiler 15 Kilometer unterwegs. "Sonst kommen wir immer über die A4 rein", sagt eine Pilgerin, "zu Fuß nimmt man alles ganz anders wahr". Und alle sind sich einig: Der schönste Teil der Heiligtumsfahrt ist das Pilgern in Gemeinschaft. "Keiner von uns käme auf die Idee, das alleine zu machen."
Viele von ihnen, am grünen Dreieckstuch zu erkennen, beleben die Innenstadt, andere treibt es auf den Katschhof zwischen Rathaus und Dom. Zur Abendstunde sitzen drei junge Leute mit einem Cocktail auf Treppenstufen vor dem Foto-Stop der Wallfahrt, dem großen Schriftzug "#Heifa2023". "Was passiert hier eigentlich?", fragen sie und beobachten aus der Ferne auch den Gottesdienst. "Wir bleiben, wenn wir nicht das Gefühl haben, das wir stören", sagt einer von ihnen.
Auch Eckangebote gut besucht
Die Heiligtumsfahrt besteht aus mehr als den großen Pilgermessen und der Reliquienverehrung im Dom. Dompropst Rolf-Peter Cremer freut sich, dass auch Eckangebote wie Nachtgebete oder Morgenlob gut besucht sind. Auch insgesamt sind die Organisatoren mit dem ersten Wochenende zufrieden. Über 20.000 Pilgernde waren nach Angaben des Bistums bis Sonntagnachmittag vor Ort.
Nicht nur in Zahlen lässt sich allerdings messen, ob die Heiligtumsfahrt ein Erfolg wird: "Wenn Menschen sagen, 'das hat mir gut getan' und wenn die Leute entdecken, dass der gemeinschaftliche Glaube trägt", so Mit-Organisator Cremer, "dann ist die Fahrt ein Erfolg".