DOMRADIO.DE: Das Fußballstadion in Dortmund wurde am 2. April 1974 eingeweiht. Sie sind nur unwesentlich älter. Welche Erinnerungen haben Sie an die Anfänge?
Karsten Haug (Gemeindereferent im Dortmunder Norden und Referent der Fanpastoral des BVB): Ehrlich gesagt, habe ich an die Anfänge keine Erinnerung mehr. Es geht erst mit 13, 14 Jahren los, als ich das erste Mal das Westfalenstadion besuchte und mich dieser schwarz gelbe Bazillus infiziert hat. Seitdem bin ich jedes Heimspiel da.
DOMRADIO.DE: Nach drei Jahren Bauzeit war das damals 54.000 Zuschauer fassende Westfalenstadion fertig. Es wurde komplett aus Fertigbausegmenten errichtet und hat 32,7 Millionen Mark gekostet. Erklären Sie einem Nicht-Fan, was dieses Stadion ausmacht.
Haug: Das ist ein Stück Heimat, Lebensgefühl, Ort der Emotion, der Leidenschaft. Es ist auch der Ort, an dem wir manchmal Ostern und Karfreitag erleben. Beides zeitgleich, manches Mal auch verschieden. Ein Ort der derben Niederlagen, aber auch der Glücksgefühle.
DOMRADIO.DE: Ich fasse mal zusammen. Das Stadion hat einen heiligen Rasen. Der Fußballgott kann manchmal helfen, manchmal nicht. Fans leiden, hoffen und freuen sich. Es ist eine Achterbahnfahrt. Ist das so wie das normale Leben?
Haug: Ja, nur viel komprimierter in 90 beziehungsweise 95 Minuten. Das, was sich manchmal in einer Woche nicht erlebe an Emotionen, an Leidenschaften, an Gefühlsmomenten, das erlebe ich in 90 Minuten.
DOMRADIO.DE: Inzwischen passen mehr als 80.000 Menschen in die Arena mit dem Namen einer Versicherung. Trauern Sie den alten Zeiten manchmal nach?
Haug: Hinsichtlich des Namens trauere ich dem nicht nach. In vielen Bereichen unseres Fan-Daseins heißt das Stadion immer noch, wie es vor 50 Jahren hieß.
Das sehen andere anders, wie die Geschäftsführung, die Geschäftsleitung, sicherlich auch der Sponsor, dessen Namen das Stadion trägt. Aber für viele Fans ist das noch ein Inbegriff von Heimat und auch von Ursprünglichkeit.
DOMRADIO.DE: Sie selbst gehen seit Jahren mit Dauerkarte ins Westfalenstadion. Man jubelt nicht nur, sondern man trauert auch, über Niederlagen und noch viel schlimmer über Todesfälle. Das ist am 3. März 2016 passiert. Ein Mann erliegt einem Herzinfarkt im Stadion beim Spiel Dortmund gegen Mainz. Wie haben die Menschen damals reagiert?
Haug: Ja, es war ganz eigentümlich. Man bekommt so etwas im Stadion erst mal nicht mit. Die Kulisse ist so groß. Doch auf einmal wurde es mucksmäuschenstill. Die Südtribüne hatte ihren Support eingestellt. 80.000 Menschen schwiegen.
Die letzten drei Minuten des Spiels haben sowohl die Dortmunder Fans als auch die Mainzer, also 80.000 Menschen, "You never walk alone" gesungen. Das war ein Gänsehautmoment und meiner Meinung nach auch spirituell.
DOMRADIO.DE: Es werden noch viele Gänsehautmomente kommen im Dortmunder Westfalenstadion, das nicht mehr so heißt. Was wünschen Sie dem Stadion, der Arena für die kommenden 50 Jahre? Oder sagen wir erst mal 25 Jahre?
Haug: Es gibt immer wieder Gänsehautmomente. Das wünsche ich mir persönlich und dem Stadion auch. Momente, in denen wir als Fans spüren, dass wir zusammen gehören als Verein und Momente, aus denen wir zehren, aus denen wir Kraft für unser Leben schöpfen können.
DOMRADIO.DE: War das auch nach der verspielten Meisterschaft im letzten Jahr so?
Haug: Genau. Im Nachgang kann man sagen, dass es den Verein, die Fans und die Mannschaft zusammengeführt hat. Es war sicherlich auch ein Kraftmoment. Im ersten Moment war es natürlich eine absolute Niederlage. Ein wirklicher Karfreitag.
Das Interview führte Carsten Döpp.