KNA: Wie ist die Lage in Dadaab?
Ninja Taprogge (Care-Helferin): Dadaab liegt mitten in der Wüste, und seit 25 Jahren leben hier Flüchtlinge. Die meisten von ihnen sind Somalier, die vor Gewalt oder Dürre nach Kenia geflohen sind. Viele Familien leben in notdürftigen Unterkünften, unter Wellblechdächern oder Zeltplanen. Einige wenige haben sich Hütten aus Lehm gebaut.
KNA: Dennoch ist eine gewisse Infrastruktur entstanden.
Taprogge: Das Camp ist in fünf Bereiche aufgeteilt, auf denen es Märkte gibt. Kinder gehen in den Camps zur Schule und Frauen schöpfen jeden Morgen Wasser. Ein kleiner Teil der Flüchtlinge arbeitet auf dem Markt oder auch für Hilfsorganisationen. Die Menschen hier haben sich also unter schwierigsten Bedingungen einen Alltag aufgebaut. Aber sie schauen mit einem unsicheren Blick in die Zukunft.
KNA: Warum möchten die Menschen trotz dieser schwierigen Bedingungen in Dadaab bleiben?
Taprogge: Die ersten Menschen kamen Anfang der 90er Jahre nach Dadaab; sie leben nun seit 25 Jahren in Kenia. Viele haben sich hier ein Haus gebaut, Kinder bekommen und keinerlei Kontakte mehr nach Somalia. Sie wissen nicht, in welche Lebensbedingungen sie zurückkehren würden. Die allermeisten, die in Dadaab jetzt etwa Anfang 20 sind, wurden hier geboren und waren noch nie in Somalia.
Sie haben große Angst, was sie dort erwartet, und keine Kontakte, die ihnen helfen könnten, sich dort ein Leben aufzubauen.
KNA: Was sind derzeit die dringendsten Hilfsmaßnahmen?
Taprogge: Weiterhin ist Lebensmittelverteilung vorrangig. Sie findet jeweils zum Monatsbeginn in den fünf Campbereichen statt. Im März 2015 musste das Welternährungsprogramm die Rationen wegen finanzieller Nöte um 30 Prozent reduzieren. Mit der Ankündigung der Schließung des Camps gehen die Gelder von internationalen Gebern weiter zurück, und auch Spenden haben drastisch nachgelassen. Diese Finanzierung von Lebensmitteln, aber auch von Wasser, sanitären Anlagen oder von Programmen, die sexualisierter Gewalt vorbeugen, muss weiterhin unterstützt werden.
KNA: Mit der angekündigten Schließung wird also auch die Arbeit der Hilfsorganisationen schwieriger. Was ist für sie das größte Problem?
Taprogge: Das größte Problem ist die Unsicherheit, wie lange das Camp tatsächlich noch geöffnet bleiben wird. Nun hat die kenianische Regierung angekündigt, die Schließung um ein halbes Jahr zu verschieben. Es bleibt aber ein Kraftakt, eine massive logistische Herausforderung, innerhalb von sechs Monaten 275.000 Menschen nach Somalia zurückzuführen. Am dringendsten sind Planungssicherheit und finanzielle Unterstützung - damit weiterhin Hilfe geleistet werden kann, solange das Camp noch offen ist.
KNA: Sie sprechen von einer Herausforderung. Aber möglich wäre es, das Lager bis Mai 2017 zu räumen?
Taprogge: In diesem Jahr sind bislang etwa 30.000 Somalier in ihr Heimatland zurückgekehrt. Die Rückführungen wurden immer wieder gestoppt, weil die Sicherheitslage sie nicht zugelassen hat. Wenn wir davon ausgehen, dass sich die Situation in den kommenden Monaten weiterhin nur schleppend verbessert, dann wird es sehr schwierig, das Camp innerhalb von sechs Monate zu schließen.
KNA: Stichwort Sicherheitslage: Wie sinnvoll sind die Rückführungen?
Taprogge: Es gibt durchaus Flüchtlinge, die zurückkehren möchten, vor allem diejenigen, die etwa 2011 während der schweren Dürre aus Ostafrika kamen. Sie haben teilweise noch Kontakte in Somalia. Generell haben jedoch viele Flüchtlinge Angst: Die Sicherheitslage in Somalia ist sehr schwierig. Auch geht der Wiederaufbau in den Gebieten, in die sie zurückgeschickt werden, nur sehr langsam voran.
KNA: Wie sieht Care die aktuelle Lage?
Taprogge: Generell begrüßen wir die Schließung des Camps. Es steht seit 25 Jahren und ist sicher keine nachhaltige Lösung. Aber Rückführungen dürfen nur dann geschehen, wenn das Recht auf eine sichere und freiwillige Rückkehr in das Heimatland gewährt werden kann. Die Menschen müssen in Sicherheit und Würde leben können - ob in Kenia, Somalia oder anderen Teilen der Welt.
Das Interview führte Paula Konersmann.