DOMRADIO.DE: Was sind die hauptsächlichen Probleme in Mali?
Philipp Lang (Mali-Referent bei Caritas International): Im Moment steht sicherlich die Sicherheitskrise im Vordergrund, also dass die Sicherheit im Land einfach nicht gewährleistet ist. Wir haben verschiedene bewaffnete Gruppierungen, die in bestimmten Regionen des Landes die Kontrolle übernehmen wollen. Wir haben Streitkräfte, die versuchen, diese Gruppierungen zurückzudrängen.
Dazwischen steht letztendlich die Zivilbevölkerung, die ganz oft von ihren Standorten vertrieben wird, die ihre Lebensgrundlagen verlieren. Wir haben auch eine politische Krise. Wir haben die Institutionen des Staates, die schwach sind.
Aber im Vordergrund steht aus unserer Sicht im Moment vor allem diese Sicherheitssituation und damit verbunden die enormen Bedarfe, die im humanitären Bereich bestehen, vor allem durch die Vertreibung. 400.000 Menschen, die in den letzten zwei Jahren vertrieben wurden, brauchen Unterstützung.
DOMRADIO.DE: Welche Gründe sehen Sie für diese dramatische Entwicklung?
Lang: Ich denke letztendlich hat das Ganze 2012 begonnen, da wurde ein Teil des Landes von dschihadistischen Gruppierungen besetzt, dann wurden die zurückgedrängt. Die Antworten, die man darauf gefunden hat, waren aber nicht der Art, dass man irgendwie zu einer Stabilisierung des Landes gekommen ist. Das heißt, die Präsenz dieser verschiedenen Gruppierungen, die teilweise mit Al Kaida verbunden sind, teilweise eher dem Islamischen Staat nahe stehen, ist einfach enorm gestiegen.
Gleichzeitig gab es auf politischer Ebene keine passenden Antworten dazu. Auch die internationale Gemeinschaft hat da, so glaube ich, nicht immer die passenden Antworten gefunden. Das hat einfach dazu beigetragen, dass auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung geschwunden ist.
Gleichzeitig haben wir eine Eskalation der Gewalt. Das hat dazu beigetragen, dass wir im Moment eine multidimensionale Krise haben.
DOMRADIO.DE: Aber auch die Helfer und Helferinnen sind in Gefahr. Inwiefern?
Lang: Ja, die Situation hat sich in den in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert. Das Risiko vor allem für Entführungen ist sehr groß geworden. Da vermischen sich terroristische Banden, dschihadistische Gruppierungen und kriminelle Organisationen. Ganz viele Jugendliche wurden in diese Gruppen rekrutiert. Die finanzieren sich teilweise über Entführungen.
Dort wird praktisch jeder entführt, von dem man davon ausgeht, da besteht die Möglichkeit, Lösegeld zu erpressen. Das betrifft normale Bürger, aber auch humanitäre Helfer laufen da Gefahr, entführt zu werden. Das berichten uns die Kollegen vor Ort, die unterwegs sind.
Vor allem der Einsatz von Sprengfallen und Landminen sind eine Gefahr. Die sind normalerweise gegen das Militär gerichtet, aber natürlich sind alle, die sich dort in diesen schwierigen Regionen bewegen müssen, davon betroffen und können praktisch jederzeit zufällig auf diese Sprengfallen drauf fahren. Das berichten die Kollegen auch. Das ist eine ständige Bedrohung. Die macht ihnen die Arbeit schwer.
DOMRADIO.DE: Opfer von Entführungen oder von Gewalt sind auch Christen. Fast 90 Prozent der Menschen in Mali sind Muslime. Das heißt die christliche Minderheit lebt unter ihnen. Religion spielt eine große Rolle bei der Krise aktuell, oder nicht?
Lang: Da muss man genau hingucken. Mali hat eigentlich eine Tradition des friedlichen Zusammenlebens, sowohl was verschiedene ethnische Gruppierungen angeht, als auch was das Zusammenleben der verschiedenen Religionen betrifft. Letztendlich wird dieses friedliche Modell des Zusammenlebens von unterschiedlichen Gruppen angegriffen. Diese terroristisch-dschihadistischen Gruppierungen versuchen tatsächlich genau dort reinzugehen, weil man hofft, dass man Gemeinden trennen kann.
Ich glaube, das ist die Gefahr, dass man da versucht, genau diese mögliche Spaltung zwischen Christen und Muslimen zu nutzen, um diese Konflikteskalation weiter voranzutreiben. Unsere Caritas-Kollegen berichten darüber, dass sie diese Gefahr wahrnehmen und das teilweise auch spüren.
Aber man muss schon sagen, bis jetzt funktioniert das eigentlich noch sehr gut. Auch der interreligiöse Dialog wird noch gelebt. Wir hoffen, dass man auch durch solche Initiativen des Austauschs und des Dialogs dem entgegenwirken kann, weil alles, was Spaltung ist, genutzt und gezielt vorangetrieben wird. Sei es, dass man Ackerbauern gegen Viehzüchter ausspielen möchte, was in der Regel mit ethnischen verschiedenen Gruppierungen zu tun hat oder eben auch im religiösen Bereich.
Die Religion kann da auch eine wichtige Rolle spielen, indem sie den Zusammenhalt stärkt. Das wollen wir auch zum Teil in der Projektarbeit erreichen. Das ist uns neben Nothilfen ist wichtig, daran über die Kollegen vor Ort mitzuarbeiten.
DOMRADIO.DE: Im vergangenen November haben Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht entschieden, dass das Bundeswehrmandat für Mali noch bis Mai 2024 geht und dann ausläuft. Was würde der Rückzug der deutschen Bundeswehr für das Land bedeuten? Wie schätzen Sie das ein?
Lang: Ich glaube die Auswirkungen im Norden des Landes sind schon groß. Da ist zum einen der Aspekt, dass ganz viele Leute dort ihre Arbeit verlieren werden. Das ist nicht zu unterschätzen, dass das eine Beschäftigungsmöglichkeit war. Ich glaube, da steht man in der Verantwortung, sich zu überlegen, wie man damit umgehen kann. Sicherlich wird sich auch die Sicherheitssituation in den Regionen etwas verschlechtern. Wobei da, glaube ich, die Auswirkungen nicht so groß sein werden.
Was wir befürchten, ist, dass man den militärischen Rückzug auch mit einem Rückzug aus anderen Bereichen, wie der humanitären Hilfe oder der Entwicklungszusammenarbeit begleitet. Ich glaube, das wäre wirklich sehr problematisch, weil das in gewisser Weise die Zivilgesellschaft in Mali schwächen würde, die diese Hilfen umsetzt.
Man hat dort einen enorm hohen Bedarf, der nicht abgedeckt werden kann. Ich glaube, da steht man in der Verantwortung, diesen Rückzug gut vorzubereiten, diese möglichen negativen Folgen zu verhindern. Die Perspektiven für junge Leute, die ihre Jobs gefunden hatten, die muss man berücksichtigen.
Dann aber glaube ich schon, wird man weiter an der Seite von Mali stehen. Die Erwartungen sind sehr groß, die man an Deutschland richtet. Deutschland hat einen sehr guten Ruf in der Region und wird als Partner sehr geschätzt, gerade auch im Auswärtigen Amt. Dort wurde es auch sehr deutlich, dass man große Hoffnungen hat, dass trotz des militärischen Rückzugs, für den man in Mali anscheinend Verständnis hat, die Zusammenarbeit trotzdem fortgesetzt werden kann.
Das Interview führte Katharina Geiger.