DOMRADIO.DE: Die Studie in Auftrag gegeben hat das Bündnis "Soziales Wohnen", zu dem die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie gehört. Wie ist Ihre Einschätzung? Warum sind die Prognosen so düster?
Janina Bessenich (Geschäftsführerin der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V.): Weil auf dem Wohnungsmarkt jahrelang nichts passiert ist. Es wurden zu wenig Wohnungen gefördert. Bei Sozialwohnungen liegt das Defizit bei 400.000. Von daher ist die Situation sehr dramatisch. Das ist die größte Wohnungskrise, die wir seit etwa 30 Jahren haben.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet diese Situation für die Menschen, die es betrifft?
Bessenich: Für die Menschen bedeutet das, dass sie keine bezahlbare Wohnung finden können. Auch diejenigen, die auf Sozialwohnungen angewiesen sind, werden keine bekommen. Entweder bleiben die Jugendlichen auch als Erwachsene sehr lange in den Haushalten ihrer Eltern. Das betrifft vor allem Menschen mit Behinderung, junge Menschen mit Behinderung. Oder es bedeutet, dass ältere Menschen sehr schnell in die Pflegeeinrichtungen gehen oder alleinerziehende Frauen in Frauenhäusern bleiben müssen. Es kann auch bedeuten, das Menschen eben ganz ohne Wohnung bleiben.
DOMRADIO.DE: Nach einem gescheiterten Sozialwohnungsbaujahr 2022 sieht es nach einer noch größeren Pleite in diesem Jahr aus. Ist es noch möglich, diesen Kollaps auf dem Wohnungsmarkt zu verhindern?
Bessenich: Eigentlich nicht mehr. Die einzige Lösung ist ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro. Mit diesem Geld könnte man die Krise, die wir jetzt haben, aber erst in fünf Jahren abarbeiten. Denn wir haben einfach 700.000 fehlende Wohnungen. Das kann man nicht von einem Jahr auf das nächste aufarbeiten. Deswegen brauchen wir wirklich Anstrengungen und dieses Sondervermögen.
DOMRADIO.DE: Was fordert das Bündnis beziehungsweise Sie als Bündnispartner vom Staat? Sie haben gerade schon die 50 Milliarden Euro angesprochen.
Bessenich : Einmal das Geld, aber auch die Mehrwertsteuerabsenkung beim Neubau von Wohnungen. Aber auch die schnelle Abarbeitung der Baugenehmigungen, die schon vorliegen. Viele Wohnungen werden nicht gebaut, weil noch keine Baugenehmigung vorliegt.
Aber auch das Wohnungskontingent für benachteiligte Bevölkerungsgruppen muss aufgebaut werden, vor allem für Menschen mit Behinderung, weil das inklusive Wohnen in Deutschland noch immer eine Traumvorstellung ist. Dazu braucht es eine klare Sozialquote, also zehn Prozent aller Sozialwohnungen für Menschen mit Behinderung.
Außerdem müssten zehn Prozent der Sozialwohnungen barrierefrei sein. Die gibt es kaum, die sind kaum vorhanden. Deswegen werden Menschen mit Behinderung auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert.
DOMRADIO.DE: Wie kann es gelingen, dass benachteiligte Bevölkerungsgruppen wie die gerade genannten bei der Wohnungsvergabe besser berücksichtigt werden?
Bessenich: Einmal mit Sozialquoten, aber vor allem mit gezielten Förderprogrammen. Denn nur damit können Wohnprojekte für Menschen mit Behinderung, aber auch soziale, generationsübergreifende Wohnprojekte, soziale Projekte für alle benachteiligten Personen, auch für alleinerziehende Frauen, tatsächlich starten und solche Quartiere auch gebaut werden.
DOMRADIO.DE: Es ist nicht mehr möglich, diesen Kollaps auf dem Wohnungsmarkt zu verhindern. Inwieweit glauben Sie, dass es noch realistisch ist, ihn insoweit abzumildern, dass zumindest einem Großteil der Menschen geholfen werden kann?
Bessenich: Ich glaube tatsächlich, dass wir durch gezielte Beschleunigung von Baugenehmigungsverfahren einiges nachholen können. Tatsächlich ist es so, dass die Bauwirtschaft heute schon einiges leisten kann. Meistens scheitert es an diesen langen Verfahren, an diesen bürokratischen Hürden, die vorhanden sind.
Von daher glaube ich, braucht es an vielen Ecken große Anstrengungen. Tatsächlich muss das Wohnen, das ist ja die Existenzfrage in unserer Gesellschaft, zur Chefsache werden.
Das Interview führte Dagmar Peters.