Caritas besorgt über die Entwicklung im Nordirak

Christen auf der Flucht

Der Irakbeauftragte der Caritas im Bistum Essen blickt mit Sorge auf die Lage der Christen im Irak. In einem "Wahnsinnstempo" rückte die brutale islamistische Miliz ISIS auf Bagdad zu, beschreibt Rudi Löffelsend im domradio.

Iraker auf der Flucht (dpa)
Iraker auf der Flucht / ( dpa )

domradio.de: Was ist ISIS für eine Terrorgruppe?

Rudi Löffelsend (Irak-Beauftrager beim Caritasverband im Bistum Essen): Sie hat sich im Irak schon vor einigen Jahren gebildet und hat dann aber ihren Schwerpunkt erst einmal nach Syrien verlagert. ISIS heißt Islamischer Staat im Irak und Syrien. Sie wollen einen Großstaat haben und das sehr islamistisch. Um ISIS zu kennzeichnen, reicht es, dass die Al-Qaida-Leute, die ja nun auch nicht als zimperlich gelten, gesagt haben: Die sind uns zu brutal, mit denen wollen wir nicht zusammenarbeiten.

domradio.de: Warum kann man ihnen nichts im Irak entgegen setzen?

Löffelsend: Die irakische Armee ist zwar gut ausgerüstet, weil die Amerikaner sehr viel da gelassen haben, aber sie sind einfach demotiviert – "haben keinen Bock" würde man hier im Ruhrgebiet sagen, das wirklich anzugehen. In Mossul haben tausende Soldaten die Uniform ausgezogen, sind geflüchtet und haben alles zurückgelassen. Die ISIS-Leute sind voll des Feuers, einen islamischen Staat eben aufzubauen und nach der Scharia vorzugehen.

domradio.de: Sie selbst kennen den Bischof von Mossul, Amel S. Nona, persönlich, haben gestern mit ihm telefoniert, wie hat er auf das Vorrücken von ISIS reagiert?

Löffelsend: Ich habe ihn noch nie so niedergeschlagen und auch deprimiert erlebt, sonst ist er immer trotz aller Schwierigkeiten noch guten Mutes gewesen. Er sagt, fast alle Christen - es waren noch rund tausend Familien in Mossul - wären jetzt auch geflüchtet. Diejenigen mit Geld in die kurdische Republik und diejenige ohne Geld in die Ninive-Ebene, wo die ISIS noch nicht hingekommen ist. Da gibt es noch einige christliche Dörfer, die auch ganz gut bewacht sind. Das wird aber nicht reichen bei ISIS. Der Bischof sagt, man braucht ganz dringend Hilfe. Die Leute sind nur mit dem, was sie am Körper hatten und vielleicht einem Täschchen abgehauen. Sie hoffen jetzt, dass von irgendwoher auch Hilfe kommt.

domradio.de: Die Stadt Mossul ist in der Hand von ISIS. Die Terrorgruppe marschiert auf Bagdad zu. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie ihr Ziel erreichen?

Löffelsend: Bis an die Stadtgrenze Bagdad glaube ich schon. Dann weiß ich nicht, wie die Regierungstruppen, es sind ja starke Verbände in Bagdad stationiert, ob sie auch so demotiviert sind, wie die in Mossul oder ob sie ein bisschen härter vorgehen. Man muss jetzt mal abwarten, wie die Amerikaner reagieren. Da gibt es ja Anfragen, dass die Fliegereinsätze nun da bombardieren sollen. Ich kann das nicht beurteilen, aber das ist ein Wahnsinnstempo, was die ISIS zur Zeit im Marsch auf Bagdad vorlegt.

Das Interview führte Tobias Fricke


Ca. 500.000 Menschen haben Mossul verlassen (dpa)
Ca. 500.000 Menschen haben Mossul verlassen / ( dpa )

Erzbischof Nona und Rudi Löffelsend (r.)  (KNA)
Erzbischof Nona und Rudi Löffelsend (r.) / ( KNA )
Quelle:
DR