Caritas hilft auch nach einem Jahr im Erdbebengebiet weiter

"Es mangelt an Einkommensmöglichkeiten"

Vor einem Jahr hat ein verheerendes Erdbeben die Türkei und Syrien erschüttert. Über 50.000 Menschen starben dabei. Millionen verloren ihren Wohnraum. Patrick Kuebart von Caritas International sieht die Hilfe noch lange nicht beendet.

Türkei, Hatay: Ein Mann geht über die Trümmer eingestürzter Gebäude / © Hussein Malla (dpa)
Türkei, Hatay: Ein Mann geht über die Trümmer eingestürzter Gebäude / © Hussein Malla ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie ist die Lage ein Jahr nach dem Erdbeben in der Südosttürkei und im Nordwesten Syriens?

Patrick Kuebart (CI)
Patrick Kuebart / ( CI )

Patrick Kuebart (Caritas International, Referatsleiter Nahost): Das ist eine schwierige Frage. Es war ein Erdbeben mit riesigen Ausmaßen. Viele Millionen Menschen waren betroffen. Die Zahlen liegen etwa bei 18 Millionen Menschen in beiden Regionen. Millionen von Menschen haben ihren Wohnraum verloren. Über 50.000 Menschen sind in dem Erdbeben umgekommen.

Zumindest in Syrien hat es auch eine Region betroffen, die sich aufgrund des dort bereits seit vielen Jahren herrschenden Konfliktes sowieso schon in einer extrem schwierigen Situation befand, weil die Lebensgrundlagen durch den Konflikt zerstört waren.

Die Ausmaße und diese besondere Situation bedingen, dass es immer noch sehr schlecht ist. Wir haben viel Hilfe geleistet. Es ist insbesondere auch in der Türkei schon viel gemacht worden, aber es gibt auch noch sehr viel zu tun.

Syrien, Darat Izza: Ein Kind sitzt in einem Flüchtlingslager für die Überlebenden des Erdbebens im westlichen Umland von Aleppo vor einem Zelt. / © Juma Mohammad (dpa)
Syrien, Darat Izza: Ein Kind sitzt in einem Flüchtlingslager für die Überlebenden des Erdbebens im westlichen Umland von Aleppo vor einem Zelt. / © Juma Mohammad ( dpa )

DOMRADIO.DE: Haben überhaupt schon alle wieder ein Dach über dem Kopf?

Kuebart: In der Türkei leben zumindest alle türkischen Bürger in Behelfsunterkünften. Wir sind aber weit davon entfernt, dass ihr ursprünglicher Wohnraum wieder aufgebaut wurde. Aber zumindest haben sie einen für den Übergang vernünftigen Wohnraum zur Verfügung. 

In Syrien sieht das leider noch anders aus. Auch aufgrund der vorherigen Schäden und der Situation, in der Menschen wegen des Konfliktes bereits in Zelten und Behelfsunterkünften untergebracht waren, ist die Lage dort weiterhin sehr schlecht. Das ist insbesondere in der Winterzeit ein großes Problem.

Patrick Kuebart

"Wir sind noch in einer Situation, wo die Menschen mit dem Nötigsten versorgt werden."

DOMRADIO.DE: Welche Arten von Hilfe sind in Syrien und in der Türkei nötig und möglich?

Kuebart: Wir haben bereits sehr viel gemacht. Am Anfang ging es darum, die Menschen mit dem Allernötigsten zu versorgen und sicherzustellen, dass sie Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln haben und dass sie ein Dach über dem Kopf haben. Dafür haben wir bereits zehn Millionen Euro aufgewendet. Das ist ein sehr hoher Betrag so kurz nach einer Krise. 

Derzeit stellen wir 362 Übergangswohnungen in der Türkei für Menschen fertig, die im Erdbeben alles verloren haben. Aber wir mussten die Menschen für den Winter ausstatten. Das heißt, wir haben Winterbekleidung verteilt, wir haben Bargeld verteilt, damit sich die Menschen auch mit Heizmöglichkeiten eindecken konnten. Wir sind noch in einer Situation, wo die Menschen mit dem Nötigsten versorgt werden. 

Gleichzeitig gucken wir ein bisschen in die Zukunft. Es mangelt an Einkommensmöglichkeiten. Das wäre etwas, was wir im kommenden Jahr angreifen wollen, dass Menschen sich selbst wieder ein Einkommen erwirtschaften können.

Patrick Kuebart

"Die originäre Wirtschaft dort liegt weitestgehend am Boden."

DOMRADIO.DE: Im Südosten der Türkei, wo sich das Epizentrum des Bebens befand, sind noch rund 500.000 Menschen auf provisorische Containerunterkünfte angewiesen. Tausende haben die Region verlassen. Das Erdbeben hat auch die Arbeitslosigkeit in dieser Region hochgetrieben. Welche Arbeitsmöglichkeiten gibt es denn für die Menschen, die noch vor Ort sind?

Kuebart: Das ist eine etwas diffizile Lage. Die originäre Wirtschaft dort liegt weitestgehend am Boden. Produktionsbetriebe waren und sind beschädigt und konnten ihre Arbeit noch nicht wieder aufnehmen. Das heißt, die Menschen, die dort gearbeitet haben, haben die Region zum Teil verlassen und haben keine Einkommensmöglichkeiten. 

Gleichzeitig geht in der Türkei der Bau jetzt los. Dort gibt es dann einen Fachkräftemangel. Es gäbe Anstellungsmöglichkeiten. Nur vor Ort kommen die Menschen nicht zwischen Angebot und Nachfrage zusammen.

Wir haben uns für unsere Arbeit in diesem Jahr vorgenommen, Menschen dabei zu unterstützen, kleinere Betriebe wieder aufzubauen und wieder herzustellen und darüber ein Einkommen zu ermöglichen.

DOMRADIO.DE: Wie lange wird es dauern, bis die Menschen wieder ihr eigenes Einkommen erwirtschaften können?

Kuebart: Es ist schwer, da eine Prognose zu treffen. Realistisch ist, dass es Jahre dauern wird, um das wieder dahin zu bekommen, wie es früher mal war. Die Infrastruktur muss hergestellt werden. Im Vordergrund steht, die Menschen mit vernünftigen, menschenwürdigen Wohnraum zu versorgen. 

Der nächste Schritt ist dann, Einkommensmöglichkeiten herzustellen. Das priorisieren wir in unserer Arbeit. Die Regierung priorisiert den Wiederaufbau von Wohnraum. Ich glaube, da kommen wir ganz gut zusammen, selbst wenn wir das nicht flächendeckend tun können.

DOMRADIO.DE: Warum dauert das alles so lange?

Kuebart: Das dauert unter anderem wegen der enormen Schäden, die das Erdbeben verursacht hat, so lange. Die Türkei hat sehr schnell reagiert. Die Regierung hat alles Mögliche gemacht. Aber alleine den ganzen Schutt der zerstörten Gebäude wegzuräumen, nimmt viel Zeit in Anspruch. Es muss Material beschafft werden, es müssen Arbeitskräfte vorhanden sein.

Ich selber habe früher in der Tsunami-Hilfe in Indonesien gearbeitet und auch dort hat es mehrere Jahre gedauert, bis Menschen wieder in ihre alten, beziehungsweise neu aufgebauten Wohnungen zurückkehren konnten.

Patrick Kuebart

"Viele Menschen sind in ihrem Lebensalltag komplett entwurzelt worden."

In der Türkei sprechen wir von mehrstöckigen Häusern, die eingestürzt sind, die unbewohnbar sind, die abgerissen und neu gebaut werden müssen. Wenn wir uns ansehen, wie lange es im Ahrtal in Deutschland gedauert hat, um den Wiederaufbau einzuläuten, dann ist es nicht verwunderlich, dass das alles in der Türkei, wo eine Region von etwa Köln bis Magdeburg betroffen war, nun auch nicht in einem Jahr erreicht werden kann.

DOMRADIO.DE: Wie helfen die Partnerorganisationen sonst noch vor Ort? Es gibt ja auch die psychischen Probleme, die behandelt werden müssen.

Kuebart: Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Denn oftmals vergisst man über die ganzen materiellen Bedürfnisse, die man hat, die psychische Komponente. Viele Menschen sind in ihrem Lebensalltag komplett entwurzelt worden. Sie haben Angehörige verloren, sie haben ihr Haus verloren, sie haben ihr Hab und Gut verloren. Das hinterlässt auch psychische Spuren.

Diese Dinge haben wir in unseren Projekten auch schon sehr früh mitgedacht und entsprechende Beratungsangebote geschaffen, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder.

Das Interview führte Dagmar Peters. 

Caritas international

Caritas International arbeitet eng mit den weltweit 165 nationalen Caritas-Organisationen zusammen. Von seinem Hauptsitz in Freiburg aus unterstützt das katholische Hilfswerk jährlich etwa 1.000 Hilfsprojekte in aller Welt. In den Projekten gewährleisten die Kompetenz und das Engagement der einheimischen Caritas-Mitarbeiter den dauerhaften Erfolg vor Ort.

Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis (shutterstock)
Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis ( shutterstock )
Quelle:
DR