Caritas im Erzbistum Köln hält Migrationsbremse für falsch

"Wir fühlen uns nicht gehört"

Vor dem Flüchtlingsgipfel am Mittwoch verschärft sich der Ton zwischen Bund, Kommunen und Ländern. Die Caritas im Erzbistum Köln fordert konstruktive Lösungen abseits von Parteilinien und kritisiert zu wenig Mitspracherecht.

Geflüchtete aus der Ukraine kommen in Deutschland an / © Michael Matthey (dpa)
Geflüchtete aus der Ukraine kommen in Deutschland an / © Michael Matthey ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Zahl der Geflüchteten ist zuletzt wieder angestiegen. Die Kommunen klagen über hohe Kosten. Steht das Erzbistum Köln da vor ähnlichen Problemen?

Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln / © Diözesan-Caritasverband Köln (DiCV)
Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln / © Diözesan-Caritasverband Köln ( DiCV )

Irene Porsch (Flüchtlingsbeauftragte der Caritas im Erzbistum Köln): Die Caritas und auch das Erzbistum Köln und damit die "Aktion Neue Nachbarn" erlebt natürlich auch, dass es in den letzten Monaten wieder mehr Zuzug gibt. Das ist nichts Überraschendes, sondern hat sich lange angekündigt. Migration und Flucht ist einfach ein Phänomen unserer Zeit.

Wenn wir uns die geopolitische Situation ansehen, wissen wir auch, warum. Dadurch konnten wir uns an verschiedenen Stellen darauf vorbereiten.

Aber natürlich sind wir auch als Caritas angewiesen darauf, dass die soziale Infrastruktur drumherum stimmt - dass es genug Kitaplätze gibt, dass es genug Schulplätze gibt, dass es genug Wohnraum gibt.

Genau da stoßen wir an Grenzen. Genauso stoßen wir an Grenzen in der Betreuung von Geflüchteten, weil wir nicht genug Stellen und Finanzierung bekommen oder diese nur für kurze Zeiträume.

DOMRADIO.DE: Haben Sie denn Erwartungen an diesen Flüchtlingsgipfel am Mittwoch?

Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte der Caritas im Erzbistum Köln

"Das Parteibuch spielt immer noch eine sehr große Rolle in den Auseinandersetzungen und es fehlen auch bei diesem Flüchtlingsgipfel wieder andere Fachleute."

Porsch: Ich habe die Hoffnung, dass es jetzt gelingt, sich zusammenzusetzen und zu konstruktiven Lösungen in herausfordernden Situationen zu kommen. Wir müssen aufhören, weiter eine Proporz-Politik zu betreiben und einen Populismus auf Kosten derer voranzutreiben, die schutzlos auf unsere Unterstützung und auf Integrationsmöglichkeiten angewiesen sind.

DOMRADIO.DE: Was könnten denn ganz konkrete, konstruktive Lösungen sein? Aktuell ist die Rede von einer Obergrenze von Asylsuchenden in Deutschland. Was würden Sie sich wünschen?

Flüchtlinge / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Flüchtlinge / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Porsch: Ich würde mir alles andere als eine Migrationsbremse wünschen. Denn das funktioniert nicht. Das ändert das Phänomen der Migration nicht.

Wir haben eine weltpolitische Situation, wie sie nun mal ist. Daran ist Deutschland in den letzten Jahren auch nicht ganz unbeteiligt gewesen. Wir haben auch soziale Herausforderungen und Spannungen, die sich für Geflüchtete als am heftigsten darstellen.

Der Wohnraum ist ohnehin knapp. Da wünsche ich mir, dass Bund und Länder zusammen eine konstruktive Lösung finden. Der Bund muss mehr Gelder geben und die Länder müssen auch mehr zusammenarbeiten als bisher.

Das Parteibuch spielt immer noch eine sehr große Rolle in den Auseinandersetzungen und es fehlen auch bei diesem Flüchtlingsgipfel wieder andere Fachleute. Schon im Februar ist von der EKD und auch von der Caritas deutlich kritisiert worden, dass die Wohlfahrtsverbände nicht dabei sind, die als zivilgesellschaftliche Akteure in den letzten Monaten nochmal gezeigt haben, wie wichtig die Unterstützung bei der Integration ist, gerade wenn die Zahlen hoch gehen.

Deren Fachmeinung fehlt. Das würde dem Ganzen sicherlich ein konstruktiveres und besseres Miteinander geben.

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie fühlen sich gar nicht gehört?

Porsch: Nein, wir fühlen uns nicht gehört und wir fühlen uns auch kurzfristigen Lösungen ausgesetzt, die die Situation nur verschlimmern.

Ein Beispiel: Rund um den Ukraine-Krieg gab es Programme der Bundesregierung, die für ein halbes Jahr ausgezahlt wurden, um mehr Stellen für die Beratung einzurichten. Wir als Wohlfahrtsverbände bekommen solche Stellen teilweise aber gar nicht mehr besetzt.

Denn für sechs Monate sind die Perspektiven nicht gut und wir haben den Fachkräftemangel. Das führt dazu, dass die Betreuung und Begleitung von Geflüchteten, um schnell selber handlungsfähig zu werden, auch leidet.

DOMRADIO.DE: Integration ist und bleibt ein Kernanliegen von Ihnen. Vielleicht geben Sie uns Beispiele, wie die denn gut gelingen kann.

Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte der Caritas im Erzbistum Köln

"Wir fühlen uns nicht gehört und wir fühlen uns auch kurzfristigen Lösungen ausgesetzt, die die Situation nur verschlimmern."

Porsch: Integration kann dadurch gut gelingen, dass zum Beispiel die "Aktion Neue Nachbarn" seit 2014 stabile Strukturen bietet. Wir haben seitdem Koordinationskräfte - die sogenannten Integrationsbeauftragten - für die Ehrenamtlichen und Engagierten, die eng mit den Fachdiensten Integration und Migration der Caritas zusammenarbeiten.

Diese Integrationsbeauftragten können bei den ersten Schritten, beim Ankommen, beim Willkommen, aber auch danach Menschen unterstützen. Sie lassen aber auch die Ehrenamtlichen nicht im Stich, die vor allem in den letzten Monaten eine ganz wichtige Säule waren.

Caritas-Helfer unterstützen Flüchtlinge aus der Ukraine / © Daniel Sztork (shutterstock)
Caritas-Helfer unterstützen Flüchtlinge aus der Ukraine / © Daniel Sztork ( shutterstock )

Wir bieten auch eine Beratung über das sogenannte "Caritas for you"-Programm für die Privat-Aufnahme Geflüchteter an. Das Angebot richtet sich an Gastgeberinnen und Gastgeber, aber auch an Geflüchteten aus der Ukraine, die auf der Suche nach anderem Wohnraum sind.

Wir versuchen bisweilen, die Situation zu entzerren, wenn es zu Konflikten kommt und versuchen auch, bei der Suche nach Wohnperspektiven zu begleiten.

Wir bieten über die "Aktion Neuen Nachbarn" in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Bildungswerk auch zahlreiche Sprachkurse an. Denn es gibt zwar eine große Anzahl an Integrationskursen, aber was passiert, wenn Menschen den Integrationskurs nicht auf Anhieb schaffen? Der ist fachlich, inhaltlich sehr anspruchsvoll.

Es ist ein sehr enger Zeitraum, in dem das alles geschafft werden muss. Wer es nicht schafft, ist raus. Und wir sind, so wie die Caritas auch immer betont, auf der Seite der Ärmsten der Armen. So begleiten wir gerade die, die vielleicht nicht direkt die schnellen großen Integrationserfolge zeigen können, sondern nach und nach in das System reinkommen müssen.

Das Interview führte Verena Tröster.

Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.

Der Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V. ist der Dachverband der katholischen Wohlfahrtspflege im Erzbistum Köln. Ihm sind 250 Mitglieder als Träger von mehr als 2.000 Diensten und Einrichtungen im Rheinland und den angrenzenden Kreisen angeschlossen.

Das Spektrum seiner Aufgaben reicht von Krankenhäusern über Altenheime bis zu Kindergärten und Beratungsstellen, wie etwa Schwangerschafts- oder Schuldnerberatung. Der Diözesan-Caritasverband berät seine Einrichtungen und Dienste in wirtschaftlichen Fragen und vertritt sie in Kirche, Gesellschaft und Politik. 

Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis (shutterstock)
Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis ( shutterstock )
Quelle:
DR