Das mehrheitlich von Christen bewohnte Armenien und das überwiegend islamisch geprägte Aserbaidschan haben sich auf ein Friedensabkommen geeinigt, das aber noch nicht unterzeichnet ist. Vorausgegangen waren mehrere Kriege und zuletzt die Vertreibung von rund 100.000 Armeniern aus der Region Bergkarabach in Aserbaidschan.
DOMRADIO.DE: Aserbaidschan ist mit zehn Millionen Einwohnern deutlich größer als Armenien mit drei Millionen und auch militärisch stärker, zumal Russland als ehemalige Schutzmacht von Armenien ausfällt. Nun soll dieses Friedensabkommen realisiert werden, Papst Franziskus hat das bereits begrüßt. Aber wie tragfähig ist denn die angedachte Lösung?
Martin Thalhammer (Referent bei Caritas international): Erstmal bin ich da ganz bei Papst Franziskus und seiner Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden im Südkaukasus. Aber wie tragfähig die Lösung tatsächlich ist, wird sich zeigen müssen. Im Moment ist es ja so, dass das Friedensabkommen noch nicht unterschrieben ist und auch die Details noch nicht bekannt sind.
Klar scheint wohl, dass die OSZE-Minskgruppe, die als Vermittler eine wichtige Rolle seit den 1990er Jahren gespielt hat, aufgelöst und auch die EU-Beobachtungsmission an der Grenze abgezogen werden soll. Unsere Partner und die Menschen vor Ort sind aber eher skeptisch, ob das Abkommen zu langfristigem Frieden führen wird. Das sind die Rückmeldungen, die ich bekommen habe.
Gerade im Hinblick auf die Ankündigung aus Aserbaidschan in den vergangenen Wochen darf man, glaube ich, in der Tat skeptisch sein. Präsident Aliyev hat gesagt, dass das Vertrauen gegenüber Armenien gleich Null sei. Auch aserbaidschanische Zeitungen schreiben viel über Provokationen und werfen den Armeniern Kriegstreiberei vor, die aber von der EU-Beobachtungsmission nicht bestätigt worden ist.

DOMRADIO.DE: Die christlichen Armenier mussten Bergkarabach verlassen. Finden sich die ehemaligen Bewohner damit ab, dass sie vermutlich nie wieder zurückkommen können, wenn das Friedensabkommen so kommt, wie es kolportiert wird?
Thalhammer: Für die geflüchteten Armenier ist es eine sehr schwierige Situation. Nach 30 Jahren Eskalation und Krieg kam es dann zu einem zweiten Bergkarabach-Krieg im Jahr 2020. Darauf ist dann eine zehnmonatige Blockade durch Aserbaidschan gegenüber den Armeniern in Bergkarabach erfolgt und dann kam eben 2023 der Exodus aus der Heimat.
Das ist natürlich für die Betroffenen eine unglaublich schwierige Situation und sie haben damals auch sehr traumatische Erfahrungen durchgemacht. Ich war bei einer Familie, die mir erzählt haben, dass sie mit 13 Personen in einem Auto über mehrere Stunden geflüchtet sind. Insofern ist die Hoffnung immer noch nach wie vor da, dass man zurückkehren kann in die Heimat.
Ich hatte die Möglichkeit, bei einer Selbsthilfegruppe von Geflüchteten mit dabei zu sein. Da haben Teilnehmer zum Beispiel gesagt, dass sie ihren Schlüssel vom Haus oder von der Wohnung immer noch dabei haben. Das ist einfach ein Zeichen dafür, dass man die Hoffnung auf eine Rückkehr nach Bergkarabach noch hat - obwohl die politischen Realitäten eher so aussehen, dass dies nicht möglich sein wird.

DOMRADIO.DE: Da Russland als Schutzmacht ausfällt, orientiert sich Armenien schon länger stärker Richtung Europa, Richtung EU. Wie stabil oder unstabil sehen Sie denn die Situation in Armenien?
Thalhammer: Das ist schwierig einzuschätzen. Es stimmt, dass sich Armenien die letzten Jahre Richtung EU orientiert hat. Aber es gibt immer noch russische Truppen in Armenien, die dort an der Grenze zur Türkei und an der Grenze für Aserbaidschan stationiert sind. Das heißt, eine volle Orientierung hin zur EU braucht auch Zeit. Armenien fällt eben nicht unter einen Schutzschirm der EU oder der NATO. Insofern ist es für Armenien eine sehr schwierige Situation der außenpolitischen Orientierung. Vor allem mit Aserbaidschan als Nachbarn, das viel größer und reicher ist und sehr viele Mittel ins Militär steckt, ist das eine prekäre Lage.
DOMRADIO.DE: Schauen wir mal auf die humanitäre Lage in Armenien. Rund 100.000 Geflüchtete aus Bergkarabach mussten seit 2023 integriert werden. Wie geht es denn den Menschen?
Thalhammer: Nach dem Exodus aus Bergkarabach sind vor zwei Jahren in der Tat etwa 100.000 Menschen geflüchtet. Allerdings 2020, nach den zweiten Bergkarabach-Krieg, sind auch schon 40.000 bis 50.000 Menschen geflüchtet. Das heißt, insgesamt sprechen wir von ungefähr 150.000 geflüchteten Menschen. Das sind fünf Prozent der Bevölkerung. Armenien ist ein kleines Land mit etwa drei Millionen Einwohnern. Das stellt natürlich das Land, das klein und relativ arm ist, vor große Herausforderungen.
Den Menschen wurde dadurch, dass enge Beziehungen zwischen Armenien und Bergkarabach bestehen, sehr stark geholfen. Das Gute war, dass wenig Menschen direkt auf der Straße standen. Viele sind bei Bekannten, Freunden und Verwandten untergekommen. So ist man über den Winter 2023/24 sehr gut gekommen. Es war eine große Solidarität und eine große Hilfsbereitschaft in der gesamten Bevölkerung da.
Auch der Staat hat mit Soforthilfen unterstützen können. Das umfasste Cash- und Bargeldhilfen. Allerdings werden diese Hilfen jetzt nach und nach eingestellt, einfach weil die Mittel begrenzt sind auf Seiten der Regierung. Hinzu kommt, dass auch die internationale Hilfe unter Druck geraten ist, also zum Beispiel durch die Einstellung der Hilfen durch USAID, die jetzt Anfang des Jahres beschlossen wurden. Das heißt, der ganze Hilfssektor ist massiv unter Druck. Was die Leute vor Ort im Moment brauchen, ist eine mittelfristige und langfristige Perspektive.

DOMRADIO.DE: Sie sind als Caritas International eng verbunden mit der Caritas Armenien. Wie sieht die Hilfe der Caritas im Moment aus?
Thalhammer: Unsere Hilfe ist zum einen im Bereich der Wohnunterstützung angesiedelt, denn Wohnen ist für die Geflüchteten ein wichtiges Thema. Da haben wir ein großes Programm, was wir derzeit über das Caritas-Netzwerk mit Unterstützung durch Renovabis und der Diözese Rottenburg-Stuttgart durchführen. Dabei geht es einerseits um Mietbeihilfen für betroffene Familien und auf der anderen Seite auch um Renovierungsunterstützung. Denn oft ist es so, dass Wohnraum da ist, der allerdings in so einem schlechten Zustand ist, dass man dort kaum wohnen kann.
Das ist die eine Komponente des Programms, die zweite Komponente geht in Richtung Arbeitsmarktintegration. Da geht es zum einen um Arbeitsmarktvorbereitung, es geht um das Erlernen von Soft Skills, um Fortbildungen, um dann einen Job auf dem lokalen Arbeitsmarkt finden zu können.
Zum anderen ist Armenien sehr ländlich geprägt mit viel Landwirtschaft. Da haben wir ein Programm, in dem Geflüchtete unterstützt werden, ihren eigenen Lebensunterhalt durch Landwirtschaft erwirtschaften zu können. Diese beiden Komponenten sind durch einen Ansatz zur psychosozialen Unterstützung begleitet. Das ist ganz wichtig. Denn viele Geflüchtete haben traumatische Erfahrungen auf der Flucht gemacht.
Aber schon die Jahre davor, vor allem die Jahre von 2020 bis 2023, waren in Bergkarabach sehr schwierig und sehr herausfordernd. In dem Bereich der psychosozialen Unterstützung geht es vor allem um Kinderbetreuung, Selbsthilfegruppen, Gesprächsangebote und es gibt soziale und juristische Beratungen.
Das Interview führte Mathias Peter.