Caritas International stockt Soforthilfe für den Nordirak auf

"Kein Zustand für den Winter"

Nach Einschätzung der Caritas werden in den kommenden Wochen rund eine Million Flüchtlinge und Binnenvertriebene im Nordirak auf Nothilfen angewiesen sein. Caritas International startet im Irak die Winterhilfe für tausende Flüchtlinge und Vertriebene. Am wichtigsten ist die finanzielle Unterstützung, sagt Caritas International-Mitarbeiter Thomas Hoerz im domradio-Interview.

Flüchtlinge aus dem Nordirak (dpa)
Flüchtlinge aus dem Nordirak / ( dpa )

domradio.de: Sie sind in Erbil im Nordirak, wie erleben Sie die Situation vor Ort?

Thomas Hoerz, Caritas International: Die Situation ist merkwürdig zweigespalten. In Erbil, wo wir unser vorläufiges Hauptquartier im Hotel  aufgeschlagen haben, ist alles sehr ruhig. Wir gehen auch abends nach Einbruch der Dunkelheit durch die Straßen, um etwas zu essen. Kurdistan, dessen Hauptstadt ja Erbil ist, ist ja eigentlich ein Golfstaat, wenn man so viel, mit sehr viel wohlhabenden Menschen. Aber direkt unter meinem Hotel befindet sich ein Flüchtlingslager auf dem Gelände einer Kirche. Da stehen 90 Zelte, die zu klein sind, dass Familien dort zusammen schlafen könnten. Die Männer schlafen jetzt draußen, das ist natürlich kein Zustand für den Winter. In vielen anderen Situationen sieht es noch schlimmer aus. Wenn wir direkt in die Projektregion fahren, fahren wir an Flüchtlingen vorbei, die einfach auf öffentlichen Plätzen oder vor Tankstellen kampieren, mit Zelten, aber auch oft ohne.

domradio.de: Wie sicher ist die Stadt Erbil im Moment? Wie groß ist die Gefahr, dass die Terrormiliz Islamischer Staat in die Stadt einmarschiert?

Hoerz: Die ist sehr klein. Erbil ist sicher die bestverteidigte Stadt in der kurdischen Region. Es gibt auch überhaupt keine Anschläge hier, zumindest nicht in den letzten Wochen. Man fühlt sich in Erbil selber sehr sicher. Auch auf den Straßen Richtung Norden, nach Duhok und Zakho, wo wir auch arbeiten, besteht keine Gefahr. Wir fahren da zum Teil nur 10km an der Frontlinie vorbei, von der  ist aber überhaupt nichts zu spüren für uns Helfer. In den Kleinstädten, die dann doch sehr nahe am Einzugsbereich von IS liegen, scheint das Leben ganz normal weiterzugehen.

domradio.de: Die Caritas hat ihre Hilfe um 400.000 Euro aufgestockt. Sie koordinieren vor Ort die Arbeit. Wie stellen Sie sicher, dass die Hilfsgüter auch bei den Flüchtlingen ankommen, also wie verteilen Sie die Güter?

Hoerz: Wir arbeiten mit der Organisation Caritas Irak zusammen, schon seit zehn Jahren. Wir haben schon verschiedene Projekte gemacht und zehntausende Menschen erreichen können, bei den verschiedenen Flüchtlingswellen und Kriegen. In unserem Hauptquartier arbeiten wir mit der amerikanischen Caritas zusammen, die mit einigen Leuten vor Ort ist. Andere Mitglieder der Caritas-Familie schicken Güter, da kommen Flugzeuge aus Belgien an, außerdem Geld aus Italien und Frankreich. Also es ist eine sehr große, konzentrierte Aktion der Caritas-Familie. Wir stimmen uns gut ab, was die Hilfspakete angeht, was die Region angeht. Vor Ort helfen uns vor allem die Pfarreien, die dort in den kritischen Gebieten sind, und auf die verlassen wir uns. Die wiederum arbeiten ganz eng mit muslimischen und jesidischen Führern und Leitern und Komitees zusammen. In den Dörfern sind dann oft gemischte Komitees zugange, um sicherzustellen, dass  es dort keine Bevorzugung irgendeiner religiösen Gruppe gibt.

domradio.de: Offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass etwa eine Million Menschen im Irak auf Nothilfe angewiesen sind. Was können die Menschen in Deutschland tun, um den zahlreichen Flüchtlingen im Irak zu helfen?

Hoerz: Ich werde oft gefragt, ob auch Sachspenden Sinn machen, zum Beispiel Altkleidung für den Winter. Nein, das macht gar keinen Sinn. Wir müssen darauf achten, dass die Hilfsmaßnahmen ein Stück weit standarisiert und gleichartig sind. Dazu arbeiten wir mit lokalen Händlern zusammen. Also Geld ist für uns eigentlich die einzige Möglichkeit, Hilfe aus Deutschland umzusetzen. Wir möchten das auch weitgehend so machen, dass die Flüchtlinge, speziell bei der Winterkleidung oder bei der baulichen Veränderung ihrer katastrophalen Behausungen, mitreden können. Wir werden zum Beispiel lokale Händler einladen, wir besuchen Kleidermärkte, wir verteilen dann Gutscheine an die Vertriebenen und die können sich ihre Kleidung selber auswählen im lokalen Angebot. Das hilft auch, die Vertriebenen besser akzeptiert zu haben, weil sie dann eben auch Business bringen und nicht durch Kleiderlieferungen aus dem Ausland Business kaputt gemacht wird. Das gleiche gilt auch für die baulichen Veränderungen. Für die Winterfestigkeit der Behausungen wollen wir gerne mit den lokalen Handwerkern zusammenarbeiten, um eben auch Arbeitsplätze zu schaffen und die Verbindung von Vertriebenen und den lokalen Gastfamilien und Gastgemeinden stärken.

domradio.de: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview hat Mathias Peter geführt.


Quelle:
DR