Caritas International über die Motivation der Helfer in Syrien

Auf den Einzelnen konzentrieren

Sieben Jahre Krieg und kein Ende in Sicht. Caritas-Referentin Angela Gärtner schildert im Interview, wie die Überlebenden in Syrien durch den Winter kommen und wie die Helfer vor Ort trotz des Elends motiviert bleiben.

Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation im syrischen Rebellengebiet Ost-Ghuta nahe Damaskus / © Samer Bouidani (dpa)
Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation im syrischen Rebellengebiet Ost-Ghuta nahe Damaskus / © Samer Bouidani ( dpa )

DOMRADIO.DE: Seit sieben Jahren erleben Sie Terror, Krieg, Angst, Hunger. Wir sehen die Bilder in den Nachrichten und können uns doch nicht wirklich vorstellen, wie das Leben in den letzten sieben Jahren für die Menschen in Syrien war. Wie geht es der Bevölkerung nach so langer Zeit?

Angela Gärtner (Referentin für Syrien bei Caritas International): Ja, sieben Jahre sind tatsächlich eine wahnsinnig lange Zeit. Die Leute sind frustriert und deprimiert. Sie haben alles verloren. Jegliche finanzielle Reserven sind aufgebraucht. Es geht jetzt bei vielen rein ums Überleben. Und man darf nicht vergessen: Wir haben gerade Winter – was die Situation definitiv noch verschärft, weil die Heizmöglichkeiten eigentlich nicht vorhanden sind.

DOMRADIO.DE: Was das bedeutet, kann man sich wahrscheinlich auch kaum vorstellen. Wenn in dieser Woche eine Kältewelle kommt, dann drehen wir die Heizung auf und ziehen die Daunenjacke an. In Syrien geht das nicht. Wie schützen sich die Menschen gegen die Kälte?

Gärtner: Ich habe Ende Oktober letzten Jahres unsere Partner in Aleppo besucht. Der Ostteil der Stadt wurde extrem zerstört. Dort leben die Leute zum Teil in Ruinen, die noch übrig geblieben sind. Da gibt es keinerlei Heizungen. Die Menschen werden ausgestattet mit Matratzen, mit warmen Schlafsäcken, warmer Kleidung – aber nichtsdestotrotz bleibt es bei Minusgraden oder bei knappen Temperaturen über Null Grad extrem kalt.

DOMRADIO.DE: Kann man in diesem Kriegschaos überhaupt noch helfen?

Gärtner: Wir haben das große Glück, dass wir verschiedene Partner in verschiedenen Regionen im Land haben – und die nach sieben Jahren weiterhin hochmotiviert sind, alles dafür zu tun, um die Menschen vor Ort zu unterstützen und die Situation zu verbessern. Aber natürlich müssen wir uns nach der Sicherheitslage richten, weil wir weder die Helfer in Gefahr bringen wollen, noch die Menschen, denen die Hilfe zugute kommen soll.

DOMRADIO.DE: Wie schafft man es, so lange motiviert zu bleiben?

Gärtner: Man darf nicht mehr auf die lange Zeit schauen. Die Helfer motivieren sich, indem sie darauf schauen, welchen Familien sie geholfen haben; sehen, dass es der einen Familie in den nächsten Wochen aufgrund der Nahrungsmittelhilfe oder der warmen Kleidung deutlich besser gehen wird; dass die Kinder wieder zurück in die Schule gehen können oder Freizeitaktivitäten haben.

Man hält sich fest an dem, wie man den einzelnen Familien, den einzelnen Kindern helfen kann. Das große Ganze muss man häufig ausblenden, weil man sonst extrem frustriert ist.

DOMRADIO.DE: Der UN-Generalsekretär hat von der "Hölle auf Erden" gesprochen. Wie werden die Helfer mit der Lage vor Ort fertig?

Gärtner: In den letzten Tagen haben wir natürlich Meldungen hereinbekommen, die davon erzählen, wie schwierig es ist; wie angespannt die Sicherheitslage ist und wie viele militärische Kampfhandlungen vonstatten gehen. Was das für die Menschen vor Ort bedeutet? Es ist eine extrem angespannte Situation.

Ich glaube, was besonders schwierig ist, dass man Mitte des letzten Jahres das Gefühl hatte - die syrische Bevölkerung und die Helfer eingeschlosen - es bewegt sich was, es wird ruhiger im Land. Und jetzt realisieren alle, dass sich die Situation extrem verschlimmert hat, dass viele Leute erneut flüchten mussten. Sie sehen, dass das Land nicht zur Ruhe kommt und damit auch das Elend der Zivilbevölkerung nicht endet.

Das Gespräch führte Silvia Ochlast.


Evakuierung der Menschen in Ost-Ghuta: Helfer mit einem Mädchen  / © Uncredited (dpa)
Evakuierung der Menschen in Ost-Ghuta: Helfer mit einem Mädchen / © Uncredited ( dpa )
Quelle:
DR