Caritas international warnt vor Hungersnot in Syrien

"So schlecht wie noch nie zuvor"

Der Krieg in der Ukraine hat die humanitäre Lage in Syrien dramatisch verschlechtert. Zum elften Jahrestag des Kriegsbeginns in Syrien dürfe die Lage in der Ukraine nicht dazu führen, dass wir die Menschen in Syrien vergessen.

Seit dem 15. März 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Das Bild aus Idlib, Syrien, zeigt zwei Kinder. Im Hintergrund stehen drei Männer auf einem Gerüsten und malen ein Wandbild anlässlich des Jahrestages. / © Anas Alkharboutli (dpa)
Seit dem 15. März 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Das Bild aus Idlib, Syrien, zeigt zwei Kinder. Im Hintergrund stehen drei Männer auf einem Gerüsten und malen ein Wandbild anlässlich des Jahrestages. / © Anas Alkharboutli ( dpa )

DOMRADIO.DE: Hat sich die Situation in Syrien mit dem Kriegsbeginn in der Ukraine verschlimmert?

Angela Gärtner (Syrien-Referentin von Caritas international): Ja, hat sie. Die Situation in Syrien ist tatsächlich im zwölften Jahr so schlecht wie noch nie zuvor. Wir waren sowieso schon in großer Sorge um die Menschen in Syrien. Jetzt, durch den Start des Ukraine-Konflikts, sind weitere und größere Risiken dazugekommen, die die Menschen in Syrien bedrohen.

Zum Beispiel importiert Syrien viel Getreide aus Russland und der Ukraine zur Deckung seines Bedarfs. Das wird jetzt wegfallen. Wir sehen bereits stark steigende Weizenpreise auf dem Weltmarkt. Syrien wird nicht in der Lage sein, diese Preise zu zahlen und somit Getreide zu importieren.

Ein Wandgemälde der Solidarität mit dem ukrainischen Volk ist auf den Überresten eines zerstörten Gebäudes in Binnish, Syrien, zu sehen / © Anas Alkharboutli (dpa)
Ein Wandgemälde der Solidarität mit dem ukrainischen Volk ist auf den Überresten eines zerstörten Gebäudes in Binnish, Syrien, zu sehen / © Anas Alkharboutli ( dpa )

Gleichzeitig erleben wir eine sehr große Dürre in Syrien. Die nicht zerstörten Agrarflächen in Syrien werden durch die fehlenden Niederschläge weiter reduziert. Unsere Prognosen weisen auf eine offene Hungersnot in Syrien in diesem Jahr hin. Zu den verschiedenen bestehenden Einflussfaktoren kommt die Ukraine-Krise noch verstärkend hinzu.

DOMRADIO.DE: Wird das zu einer neuen Fluchtbewegung aus Syrien führen? Wie kann man den Menschen helfen?

Gärtner: Es ist ganz schwierig zu sagen, ob wieder mehr Menschen Syrien verlassen. Im Moment leben über 90 Prozent der syrischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Eine Flucht ist aber teuer und aufwendig. Ehrlich gesagt werden sich die Leute, die aktuell noch in Syrien leben, das nicht leisten können.

Die Ukraine-Krise ist eine riesige Katastrophe mit großen Ausmaßen. Aber es gibt weltweit auch noch sehr viele andere Katastrophen. Dazu gehört die Syrien-Krise und die darf nicht vergessen werden.

Kinder in Syrien brauchen Leben ohne Gewalt und Hunger

Helfer kritisieren die katastrophalen Bedingungen, unter denen Kinder in Syrien auch nach elf Jahren Konflikt immer noch leben. Nach wie vor befänden sich viele in unsicheren, unhygienischen Lagern, seien Beschuss ausgesetzt und litten unter Hunger, Krankheiten und Unterernährung, mahnte die Kinderrechtsorganisation Save the Children am Dienstag in Berlin. Momentan seien alle Augen auf die Ukraine gerichtet.

Syrische Kinder spielen auf dem Dach eines Flüchtlingslagers nordöstlich der libanesischen Hauptstadt Beirut / © Marwan Naamani (dpa)
Syrische Kinder spielen auf dem Dach eines Flüchtlingslagers nordöstlich der libanesischen Hauptstadt Beirut / © Marwan Naamani ( dpa )

Wir haben weltweit einen hohen Bedarf an humanitärer Hilfe. Über 13 Millionen Menschen sind zum Überleben darauf angewiesen und diese Zahl wird in den nächsten Monaten kontinuierlich steigen. Wir müssen die entsprechenden Mittel für humanitäre Hilfe bereitstellen.

DOMRADIO.DE: Bekommen Sie als Caritas International denn noch genug Spenden für die Syrien-Hilfe trotz des Krieges in der Ukraine?

Gärtner: Im Moment sehen wir, dass die privaten Spenden natürlich auf die Ukraine fokussiert sind. Das ist normal, weil die mediale Aufmerksamkeit bei der Ukraine liegt. Dort gibt es auch einen immensen Bedarf.

Wir hoffen, dass sich das in den kommenden Wochen wieder so reguliert, dass auch die anderen Katastrophen nicht aus dem Blick geraten und auch die Bundesregierung und die Europäische Union merken, dass die anderen Krisen genauso Unterstützung bedürfen.

DOMRADIO.DE: Wie unterstützen Sie und ihre Partnerorganisationen in Syrien?

Gärtner: Gerade heute habe ich Fotos von einer unserer Nahrungsmittelverteilungen bekommen. Die Leute sind darauf dringend angewiesen, zum Beispiel in Aleppo. In Syrien hatten wir einen kalten Winter mit starken Schneefällen, der immer noch anhält. Dafür haben wir warme Kleidung und Decken und all das, was man zum täglichen Überleben braucht, an die Leute verteilt.

Von Anfang des Krieges bis heute laufen die Angebote im Bereich der Bildung und im Bereich der psychosozialen Unterstützung. Elf Jahre Konflikt hinterlassen tiefe Spuren.

Das Interview führte Florian Helbig.

Quelle:
DR