DOMRADIO.DE: Was für Eindrücke haben Sie von Ihrer Reise mitgebracht? Hat sich die Lage der Flüchtlinge in Griechenland etwas verbessert?
Dr. Thorsten Latzel (Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland): Überhaupt nicht, muss man sagen. Es ist eher die Situation, dass hier etwas stattfindet, was ganz leicht aus dem Blick gerät bei uns, eben weil so viele andere Themen unsere Nachrichten dominieren im Augenblick. Aber die Situation muss man sich so vorstellen, da werden Menschen wirklich unmenschlich behandelt. Die kommen an, jetzt etwa hier auf Kos, wo ich im Augenblick noch kurz vor dem Abflug bin.
Sie kommen erst mal rein und wissen gar nicht, dass sie jetzt sozusagen das Interview haben für ihr Asylverfahren. Sie haben häufig keinen richtigen Zugang zu rechtlicher Beratung. Später im Abschiebegefängnis, in dem ich auch gewesen bin, da hat man wirklich den Eindruck, da werden Flüchtlinge wie Kriminelle behandelt. Das ist etwas, was sich einfach mit unseren Menschenrechten und auch den Grundwerten der EU überhaupt nicht verträgt.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch mit verschiedenen Flüchtlingsorganisationen gesprochen. Was ist dabei herausgekommen? Beißen die da auf Granit? Kommen die einfach nicht weiter?
Latzel: Das ist erstmal beeindruckend zu sehen, wie viele junge Menschen sich hier engagieren, wirklich aus unterschiedlichsten Ländern: aus Deutschland, aus Portugal, aus den Vereinigten Staaten. Sehr viele Nicht-Regierungsorganisationen nehmen einfach die Funktion wahr, die wir eigentlich als Staaten oder Staatengemeinschaft haben sollten. Es wäre auch zu einfach nur den griechischen Staat anzuklagen, sondern die Europäische Gemeinschaft hat eine Verantwortung, das Recht auf Asyl einzuhalten. Ich habe hier ganz beeindruckende Projekte kennenlernen können. Ein Projekt etwa, wo junge Menschen den Beruf eines Schneiders lernen können.
Oder von einem anderen Projekt, da ist direkt neben einem Camp eine Einrichtung, "Casa Base" heißt sie, für junge Mädchen. Man muss sich das klar machen, da sind zum Teil Mädchen seit fünf, sechs Jahren in so einem Lager drin und haben gar nichts anderes kennengelernt als nur das Leben in so einem Lager. Und Lager heißt wirklich Container, einfach Container.
DOMRADIO.DE: Wie hoffnungsvoll sind denn die Flüchtlingsorganisationen, dass sie da mit ihrer Arbeit auch mit Blick auf die Entscheidungsträger in der EU überhaupt was bewirken können?
Latzel: Der eine drückte es mal so aus: "Dance with the devil" (übersetzt: Tanz mit dem Teufel). Also, dass man sagt, das System zu verändern, ist die eine Strategie. Das andere ist, erstmal für die Menschen, die im System sind, eine Hilfe zu sein. Einfach mal dafür zu sorgen, dass Menschen eine rechtliche Beratung erhalten. Ich war heute etwa bei der Einrichtung "Equal Rights Beyond Borders". Das sind Anwälte, die sich dafür einsetzen, dass Menschenrechte auch für diese Menschen auf der Flucht eingehalten werden, die eine Rechtsberatung erhalten. Häufig gehen da auch Unsummen von Geldern einfach für die Flüchtlinge drauf, wenn sie andere Anwälte brauchen.
Ein Mensch sagte mir das eigentlich so drastisch, er sagte: wir finanzieren eigentlich die Schlepper hier mit ganz vielen Sachen. Und das, weil die Menschen keine Aussicht haben in das Asylverfahren irgendwie richtig weiter zu kommen, sondern die sind so gestrickt, dass sie Menschen abschrecken und fernhalten wollen. Dann tauchen viele Menschen einfach unter. Das ist auch für die Gesellschaft etwas, was wir uns eigentlich gar nicht leisten sollten, weil es Menschen mit viel Energie sind, die etwas aufbauen wollen. Die bremsen wir einfach nur aus.
DOMRADIO.DE: Stichwort Ukraine. Da hat sich die EU sehr schnell darauf einigen können, Flüchtlinge unbürokratisch aufzunehmen. Da waren sich wirklich auch mal alle einig. Ausnahmsweise. Ganz, ganz anders als in den vergangenen Jahren bei Flüchtlingen aus Nahost und Afrika. Ohne das jetzt gegeneinander ausspielen zu wollen. Was macht das mit Ihnen?
Latzel: Also erst mal freue ich mich sehr über diese große Hilfsbereitschaft, die wir im Augenblick haben. Und ich möchte alle Menschen gerne stärken, genau das wahrzunehmen, also für die Menschen in der Ukraine jetzt da zu sein, die Hilfe brauchen. Was natürlich nicht passieren sollte, ist ein Ausspielen von unterschiedlichen Gruppen von Flüchtlingen gegeneinander. Alle Menschen, die auf der Flucht sind, brauchen unsere Hilfe. Das sind Menschenrechte, gerade für mich auch als Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland ist es wichtig. Für uns als Christinnen und Christen gehört es zum Kern unseres christlichen Glaubens.
Wenn es im Zusammenhang mit den Zehn Geboten heißt, "weil auch du ein Fremdling gewesen bist" – diese Fremdlingserfahrung, Jesus selbst ist ein Flüchtling gewesen – gehört tief und fest zu unserem Glauben. Deswegen sollten wir jeden Menschen, gleich welcher Herkunft, helfen. Ich freue mich sehr, dass es im Augenblick mit den Menschen aus der Ukraine passiert. Wir sollten das gleiche auch mit Menschen aus anderen Herkunftsländern tun.
Das Interview führte Hilde Regeniter.