domradio.de: Die ausgerufene Waffenruhe in Syrien wurde relativ eingehalten. Aber man schaut doch mit einer gewissen Anspannung hin, oder wie ist das bei Ihnen?
Angela Gärtner (Irak- und Syrienreferentin bei Caritas International): Zunächst einmal sind wir natürlich richtig froh, dass es tatsächlich zu einem deutlichen Rückgang der Gefechte kam. Es wurde von einzelnen Kämpfen berichtet, aber es ist definitiv wesentlich ruhiger geworden, was wir erst einmal als positives Zeichen werten wollen.
domradio.de: Im Frühjahr hat es ja nicht geklappt, da sollte es schon einmal eine Waffenruhe geben. Was ist diesmal anders?
Gärtner: Grundsätzlich ist diese jetzt ausgehandelte Waffenruhe auch extrem schwierig. Die Waffenruhe wurde zwischen den USA und Russland vereinbart. Wie wir wissen, besteht der Konflikt aus ganz vielen Parteien. Zum Teil kennt man gar nicht alle Gruppen, die nicht bei der Diskussion mit einbezogen wurden. Von daher ist es äußerst fragwürdig, ob sich alle daran halten. Zudem erfasst die Feuerpause auch gar nicht alle Beteiligten. Die zwei Kräfte, die von den Vereinten Nationen als Terroristen eingestuft werden - zum einen der Islamische Staat und auf der anderen Seite die Jabhat Fateh al-Sham, die frühere al-Nusra-Front - dürfen weiter bekämpft werden.
domradio.de: Wenn man jetzt von einer Woche Waffenstillstand ausgeht, dann klingt das zunächst nach einem kurzen Zeitfenster. Aber warum kann das trotzdem so wichtig für die Menschen in Syrien sein?
Gärtner: Es ist ja noch nicht einmal eine ganze Woche. Wir sind momentan erst bei 48 Stunden. Wenn jetzt diese 48 Stunden wirklich relativ ruhig sind, dann verlängert sich die Feuerpause um weitere 48 Stunden. Dringend benötigt wird die Waffenruhe, weil wir große Gebiete vor allem um Aleppo haben, wo die Leute von jeglichem Zugang zu Nahrungsmitteln oder Medikamenten abgeschnitten sind. Wenn man eine Feuerpause hätte, könnten die humanitären Organisationen die Leute erst einmal versorgen.
domradio.de: Wie sind sie als Internationales Hilfswerk in dieser Woche aktiv?
Gärtner: Wir haben verschiedene lokale Partner in Syrien, die sowohl in den regime-kontrollierten Gebieten als auch in oppositions-kontrollierten Gebieten aktiv sind. Die beobachten natürlich die Situation und wenn sich die Möglichkeit bei anhaltender Feuerpause ergibt, dann werden wir sicherlich versuchen, die Leute zu erreichen. Im Moment ist man noch sehr vorsichtig. Es sind erst ein paar Stunden vergangen. Man muss noch ein wenig abwarten. Das Misstrauen ist extrem groß, wie die weitere Entwicklung aussieht.
domradio.de: Es geht in erster Linie um Hilfslieferungen, aber werden nicht viele Menschen auch die Ruhe nutzen, um aus dem Land zu fliehen?
Gärtner: Da wäre ich ein wenig zurückhaltend. Das Misstrauen unter der Bevölkerung ist extrem hoch. Die Bevölkerung wird gruppiert in Regime-Unterstützer, Opposition und Rebellen-Unterstützer. Das heißt, man weiß auch nicht, wie man auf der anderen Seite empfangen wird. Daher glaube ich, dass es die vorrangige Aufgabe der humanitären Organisationen ist, zu den Leuten zu gehen und sie dort zu versorgen. Man kann, glaube ich, nicht erwarten, dass die Leute schnell aus den bis dahin umkämpften Gebieten rauskommen.
Das Interview führte Silvia Ochlast.