DORADIO.DE: Durch einen Härtefallfonds können in Berlin hilfsbedürftige Menschen, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, finanzielle Hilfe bekommen. Wie stehen Sie zu dieser Maßnahme?
Prof. Dr. Ulrike Kostka (Diözesancaritasdirektorin im Erzbistum Berlin): Wir begrüßen das als Caritas ganz ausdrücklich. Das ist ein sehr gutes Instrument. Es hat aber auch den Ausgangspunkt, dass die Menschen wirklich kurz vor einer Energiesperre stehen müssen. Aber das ist auf jeden Fall eine sehr gute Sache von Berlin.
DORADIO.DE: Wie genau kann man das Geld als hilfsbedürftige Familie beantragen?
Kostka: Man kann das online machen, als Einzelperson oder auch als Familie und muss dann entsprechende Dinge vorlegen. Wie gesagt, es muss wirklich eine Sperre bevorstehen. Das ist die Situation.
Ich finde es aber problematisch, dass man das Ganze online beantragen muss. Denn das überfordert viele Menschen, zum Beispiel ältere Menschen, die das vielleicht nicht mehr machen können. Die brauchen natürlich Unterstützung durch andere.
DORADIO.DE: Der Verband der Kriegsbeschädigten fordert jetzt, dass auch alle anderen Bundesländer nachziehen und einen Härtefallfonds für betroffene Menschen einrichten. Wieso ist das in Ihren Augen bisher nicht umgesetzt worden?
Kostka: Es gibt zum Teil kommunale Härtefonds. Das ist in Berlin nochmal eine besondere Situation, weil wir hier einen Stadtstaat haben. Aber generell wäre es natürlich sehr gut, wenn es das flächendeckend in Deutschland gäbe, weil die Energiekosten viele Menschen überfordern.
Da kann es auch oftmals um Menschen gehen, die bislang noch nie irgendwelche Leistungen vom Sozialamt oder von einem Jobcenter empfangen haben, die aber plötzlich in diese Situation kommen.
Dementsprechend wäre es sehr gut, wenn das flächendeckend eingeführt werden würde. Vor allen Dingen, wenn jetzt die Nebenkostenabrechnung kommen.
DORADIO.DE: Rund 85 Prozent der Berliner Bevölkerung ist antragsberechtigt. Müssten mit Blick auf diese hohen Zahlen nicht dringend andere Maßnahmen getroffen werden, wenn offenbar gerade mal 15 Prozent der Berliner ohne den Härtefallfonds ihre Rechnungen bezahlen können?
Kostka: So ist es ja nicht. Der Härtefallfonds greift nur dann, wenn gar nichts anderes mehr wirkt. Dementsprechend werden viele Menschen auch von anderen Dingen profitieren, wie Wohngelderhöhung oder anderes. Das Entscheidende ist, dass viele Menschen überhaupt erst mal wissen müssen, dass es diese Hilfen gibt. Das ist ein Informationsthema.
Der andere Punkt ist, dass die Antragswege relativ umfänglich sind. Wir merken, dass an ganz vielen Orten Information und Beratung stattfindet. Deswegen sind wir auch froh, dass wir Beratung ausbauen können und auch sehr intensiv Beratung machen.
Sich durch die Antragsformulare durchzuarbeiten und die Scham zu überwinden, ist doch für viele eine Herausforderung.
DORADIO.DE: Wie unterstützen Sie das als Caritas? Wie kann man sich an Sie wenden?
Kostka: Wir haben Beratungsstellen, allgemeine Sozialberatung und Schuldnerberatung. Aber auch an vielen anderen Orten kann man das Thema ansprechen. Wir bieten auch Online-Beratung. Das kann ich sehr empfehlen. Und wir haben den Stromsparcheck. Das sind ganz unterschiedliche Beratungsangebote. Viele andere Wohlfahrtsverbände haben die auch.
Wichtig ist, dass die Menschen keine Scham davor haben, Beratung in Anspruch zu nehmen. Dann versuchen wir sie auch zu unterstützen, gerade beim Ausfüllen der Formulare und was alles dazugehört.
Toll ist, dass wir von unserem Erzbistum 500.000 Euro aus den zusätzlichen Kirchensteuermitteln zur Verfügung gestellt bekommen haben, die durch die Energiekostenpauschale entstehen. Damit können wir Beratungen und Einzelfallhilfen ausbauen.
DORADIO.DE: Wie ist die Situation, wie geht es den Menschen in Berlin durch die gestiegenen Energiepreise?
Kostka: Den Menschen geht es nicht besonders gut, denn es kommt die Inflation noch dazu. Diese beiden Aspekte zusammen sind für viele eine große Last. Viele Menschen haben Sorge.
Meine größte Sorge ist aber, dass wir es wie zum Beispiel in Fürstenwalde in Brandenburg erleben. Dort gibt es solche Härtefallfonds nicht. Da erleben wir, dass Menschen deswegen ihre Wohnung verlieren. Das ist einer der wichtigsten Punkte, auf den wir als Caritas aufmerksam machen wollen.
Es darf nicht passieren, dass Menschen aufgrund von Mietschulden und Energieschulden ihre Wohnung verlieren. Denn wer einmal seine Wohnung verloren hat, wird nur ganz schwer eine neue finden.
Ich habe in Fürstenwalde von unseren Beratungsstellen erfahren, dass das gerade regelmäßig passiert. Deswegen fordern wir als Caritas im Erzbistum Berlin ein bundesweites Moratorium gegen Räumung und Wohnungsverlust wegen Energieschulden. Das darf einfach nicht passieren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Das andere ist natürlich, wie es 2024 aussieht, wenn die Gaspreisbremse und die Strompreisbremse auslaufen? Das ist eines der Themen. Wir merken, dass die Menschen Zukunftsängste haben. Sie sorgt nicht nur die akute Situation, sondern auch die Zukunftssituation. Da wird es auch darum gehen, wie es ab März nächsten Jahres weitergeht.
Deswegen ist es natürlich wichtig, dass wir uns als Caritas und als Kirche insgesamt auch politisch weiter dafür einsetzen, dass auch im nächsten Jahr Menschen nicht noch weiter in Existenznöte geraten.
Das Interview führte Katharina Geiger.