DOMRADIO.DE: Es gibt derzeit keine handlungsfähige Regierung in Österreich. Wie beurteilen Sie die Entscheidung, Herbert Kickl von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) mit der Regierungsbildung zu beauftragen?
Nora Tödtling-Musenbichler (Präsidentin von Caritas Österreich): Für uns als Caritas ist es ganz wichtig, dass wir die Herausforderungen, die jetzt vor uns stehen, schnellstmöglich angehen.
Und dass eine neue Bundesregierung diese auch sehr ernst nimmt. Denn mit Blick auf die wirtschaftliche Situation in Österreich und Europa und die internationalen Konflikte um die Klimakrise, da braucht es einfach schnelle strukturelle Reformen, die jetzt nicht nur bis in die nächsten drei Jahre gehen, sondern weit darüber hinaus in die Zukunft blicken. Und die vor allem auch den Menschen in unserem Land Hoffnung und Zuversicht geben.
Natürlich sehen wir gerade jetzt mit Sorge, dass hier jetzt schnell Maßnahmen gesetzt werden müssen. Und vor allem, dass es zu keinem Sparpaket auf dem Rücken der Ärmsten kommt.
DOMRADIO.DE: Die Parteien der Mitte konnten sich nicht auf eine Koalition einigen und haben so den Weg für eine Regierung unter der Führung der FPÖ geebnet. Tragen sie die Schuld an dem, was kommt?
Tödtling-Musenbichler: Für unsere Caritas stellt sich jetzt nicht in erster Linie die Schuldfrage, sondern wir blicken in die Zukunft. Wir fragen uns, was jetzt getan werden soll. Da gibt es einiges.
In Österreich brauchen wir dringend eine Reform in der Pflege und im Gesundheitsbereich. Wir brauchen im Bildungsbereich schnelle Maßnahmen.
Mit Blick auf das Budget und auch auf die großen Kosten muss man jetzt miteinander um Lösungen ringen. Da ist viel Zeit auf dem Weg verloren gegangen, die es jetzt gilt, konstruktiv und schnellstmöglich aufzuholen.
DOMRADIO.DE: Herbert Kickl, Chef der FPÖ, hat sich im Wahlkampf auch gern als Volkskanzler inszeniert. Er gilt als Putinfreund und als Kritiker der EU. Er liebäugelt mit einer autoritären Staatsführung und kündigte einen härteren Wind in Sachen Migration an. Was bedeutetet ein Kanzler Kickl für die Sozialpolitik?
Tödtling-Musenbichler: Der Auftrag der Caritas bleibt gleich und klar. Unabhängig davon, wer unser Land regieren wird, müssen wir Not sehen und handeln und auch ständig darauf hinzuweisen, wo es Probleme gibt. Auch in dieser Konstellation werden wir gut darauf achten, dass die Menschenrechte eingehalten werden.
Oder wie es unser Bundespräsident gesagt hat, dass die Prinzipien der Verfassung eingehalten werden. Das wird ein großer Fokus für uns sein, denn für uns als Caritas ist es ganz wichtig, Menschen zu schützen, Menschen aus der Armut herauszuholen und sie nicht zu verfestigen.
Wir müssen darauf pochen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention und alle Asylrechte eingehalten werden. Es geht darum, dass wir auf ein gutes Miteinander schauen und dass es nicht zu populistischer Politik kommt, die nur auf Meinungsumfragen schielt. Wir brauchen eine tragfähige, gute Gesellschaft, die von Solidarität geprägt ist.
DOMRADIO.DE: Wo müsste die neue Regierung aus Ihrer Sicht Prioritäten setzen, um sozial gut dazustehen?
Tödtling-Musenbichler: Die neue Regierung muss im Sozialbereich Prioritäten setzen, wenn wir nicht wollen, dass die Folgekosten uns einholen. Da braucht es einen großen Fokus auf Bildung, die Gesundheit und den Pflegesektor.
Denn ohne dort ganz konkrete Maßnahmen und Reformen zu setzen, werden wir in vielen Jahren die Folgekosten spüren. Das kann nicht im Interesse der neuen Regierung sein.
DOMRADIO.DE: Die Caritas setzt sich für die Bekämpfung von Armut auch ein, zum Beispiel mit Sozialberatungsstellen, mit Mutter-Kind-Häusern oder auch mit Angeboten für wohnungslose Menschen. Inwiefern werden Ihre Angebote vom Regierungswechsel konkret betroffen sein?
Tödtling-Musenbichler: Wir hoffen sehr, dass wir auch mit der neuen Bundesregierung einen guten Austausch pflegen, so wie wir es jetzt in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer gewohnt waren. Wir als Caritas sind eine Lösungsbringerin und werden gemeinsam mit der Regierung um Lösungen ringen. Denn ich glaube, es ist klar, dass wir einen tragfähigen Sozialstaat brauchen.
Wir können es uns nicht leisten, ohne ihn zu sein. Und ich hoffe auch sehr, dass die neue Bundesregierung das so sehen wird und dass wir konstruktiv schauen, wie wir Armut verhindern und Menschen aus der Armut herausholen können. Das gilt auch für die Begleitung von Menschen mit Behinderung. Ich hoffe sehr, dass dort der Fokus gesetzt wird.
DOMRADIO.DE: Wie wollen Sie in einem polarisierten und stärker populistisch geprägten politischen Umfeld weiterhin Ihre Ziele erreichen?
Tödtling-Musenbichler: Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass auch die Politik eine Vorbildfunktion hat. Da appellieren wir an die neue Regierung, dass sie genau das bietet, nämlich ein Vorbild ist und sich darum bemüht, wertschätzend und solidarisch über unsere Gesellschaft zu sprechen. Wir brauchen Zusammenhalt.
Wir erleben auf der anderen Seite, dass der Grundwasserspiegel der Solidarität enorm hoch ist und dass viele Menschen sich soziale Gerechtigkeit, aber auch vor allem Lösungen für armutsbetroffene Menschen wünschen. Und dass wir das nicht gegeneinander ausspielen, sondern alle Kräfte bündeln, um gemeinsam gestärkt auch in die Zukunft zu gehen.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihre größte Sorge mit Blick auf die Zukunft?
Tödtling-Musenbichler: Die Sorge ist, dass wir Menschen zurücklassen. Ich glaube, das darf nicht das Ziel sein, sondern wir müssen schauen, dass wir Menschen mit auf den Weg nehmen. Vor allem jene, die sich jetzt schon schwertun. Dass wir nicht die Klimakrise aus dem Blick verlieren. Denn das ist eine der drängendsten Herausforderungen dieser Zeit.
Und dass wir natürlich auch mit dem Blick auf das Budget alles daran setzen, strategische Entwicklungen voranzutreiben, besonders für Pensionen und Bildung.
Wenn wir bei den Kindern anfangen und dort investieren, dann werden wir auch eine Zukunft vielleicht haben, wo weniger Kinder von Armut betroffen sind. Und das ist unser Wunsch und gleichzeitig unsere Sorge.
Das Interview führte Dagmar Peters.