Caritas-Präsident Neher besucht Albanien und den Kosovo

"Eine komplizierte Gemengelage"

Gemeinsam mit dem Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki besucht Caritas-Präsident Dr. Peter Neher derzeit Albanien und den Kosovo. Gegenüber domradio.de spricht Neher von einer "komplizierten Gemengelage" vor Ort.

Kardinal Woelki (r.) mit Caritas-Präsident Peter Neher (KNA)
Kardinal Woelki (r.) mit Caritas-Präsident Peter Neher / ( KNA )

domradio.de: Es heißt ja, der Kosovo und Albanien wären sichere Herkunftsländern, weil es dort keine systematische Verfolgung und damit keinen Grund für Asyl gebe. Wie erleben sie die Situation?

Dr. Peter Neher:  Das ist viel schwieriger als wir vordergründig denken. In Albanien sind die Eindrücke durchaus so, dass man auf den ersten Blick nicht von Verfolgung sprechen kann. Auch wenn es hier viel Korruption gibt und die alte politische Klasse unter neuem Namen weiter handelt, kann man von systematischer Verfolgung nicht sprechen. Man kann aber schon sagen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen wie die Roma ausgegrenzt werden. Sie werden nicht beachtet und nicht besonders gefördert. Es ist eine komplizierte Gesamtlage, die aber durchaus so ist, dass man in Albanien leben kann.

domradio.de: Was für Menschen haben sie denn bisher getroffen? Wie haben sie die Lebenssituation der Menschen dort wahrgenommen?

Dr. Peter Neher: Wir hatten eine Reihe politisch kirchlicher Gespräche. Wir waren aber auch in einer Armensiedlung am Stadtrand von Tirana und haben dort mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen geredet, die unter wirklich desolaten Verhältnissen an einem Fluss hausen. Das charakteristische Merkmal aus allen Gesprächen ist, dass keine Hoffnung besteht. Die Gesamtsituation im Land wird als so desolat eingeschätzt. Die Menschen sehen eigentlich keine Zukunft. Dieser Umstand bekümmert mich am meisten. Von daher glaube ich, dass die ganze Frage nach dem schnellen Abschieben aus bestimmten Herkunftsländern viel zu kurz greift. Man muss da viel tiefer ansetzen und gemeinsam mit allen Verantwortlichen überlegen, wie man in dieser schwierigen Gemengelage Lösungen findet und entsprechende Schritte einleitet.

domradio.de: Sie sind ja unter anderem mit dem Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki  unterwegs, um sich auch ein Bild über das Engagement der katholischen Kirche zu machen. Was haben sie denn von diesem Engagement bislang für einen Eindruck? Wie funktioniert das vor Ort?

Dr. Peter Neher: Die deutsche Caritas arbeitet seit vielen Jahren mit der Caritas in Albanien und dem Kosovo zusammen. Wir sind dort beispielsweise sehr engagiert was die Flutopfer im Frühjahr angeht, als es im Süden Albaniens schreckliche Überschwemmungen gab. Dort haben wir gemeinsam mit den Menschen versucht, die Häuser wieder aufzubauen. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit liegt auch in dem Armutsviertel, das wir besucht haben. Wir versuchen den Kindern und Jugendlichen dort ergänzend zum Schulbesuch praktische Unterstützung und Hilfestellung zu geben, wie man den Alltag bewältigen kann. Das sind ganz zentrale Punkte, bei denen wir hier die Caritas in Albanien tatkräftig unterstützen. In dieser schwierigen Situation ist die Hilfe besonders gefragt. Wir waren auch in einem staatlichen Aufnahmelager für Flüchtlinge in Tirana. Auch dort ist die Caritas Albanien sehr engagiert und hilft, dass ein einigermaßen menschenwürdiges Leben möglich ist, soweit es unter diesen Bedingungen geht.

domradio.de: Das klingt, als ob auch viel Herausforderung in dieser Zusammenarbeit steckt, oder?

Dr. Peter Neher: Die Schwierigkeit ist die, dass es sehr kurzfristig und grundsätzlich darum geht, Menschen hier das Leben zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Man muss die Caritas darin unterstützen, in die grundlegenden Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zu investieren. Gleichzeitig ist das Ganze mit vielen politischen Fragezeichen versehen. Es sind ja einfach Tausende von jungen Menschen, die versuchen, Albanien zu verlassen, weil sie keinerlei Hoffnung für ihren Alltag haben. Es ist aber unmöglich, dass wir über die deutsche Asylgesetzgebung die gesamte Armutsproblematik im Balkan lösen. Deshalb müssen wir uns überlegen, neue Modelle zu finden. Wir müssen schauen, ob es geht, dass junge Menschen in Deutschland zunächst eine Ausbildung machen können und ihnen dann wieder in Albanien eine Starthilfe gegeben werden kann. Albanien hat seit letztem Jahr einen Kandidatenstatus in der EU. Das müsste auch ein politischer Anstoß sein, Albanien auf einen Weg zu bringen, der dann auch für entsprechende wirtschaftliche Rahmenbedingungen sorgt und eine unabhängige Justiz ermöglicht. Aber das sind natürlich alles Prozesse, die viele, viele Jahre dauern. Es wäre dringend notwendig, dass wir in Deutschland die Debatte nicht verkürzt als Asyldebatte führen und überlegen, wie wir die Menschen wieder möglichst schnell zurück in ihre Herkunftsländer schieben. Das ist ein wichtiger Punkt. Aber wir müssen genauso alle Kräfte bündeln und nach Strategien zu suchen, wie wir im Herzen Europas - und Albanien gehört zu Europa - eine solch schwierige und missliche Lage bewältigen.

domradio.de: Und was steht bei ihnen  in den nächsten Tagen auf dem Programm?

Dr. Peter Neher: Wir werden weiterfahren Richtung Norden Albaniens nach Skodra. Danach fahren wir in den Kosovo nach Pristina und Mitrovica. Wir werden dort unter anderem mit dem Arbeitsminister des Kosovo sprechen. Ich bin sehr neugierig auf die Situation im Kosovo, die offenbar noch um Einiges politisch instabiler und schwieriger sein soll. Aber die Grundproblematik ist in den Ländern wohl sehr ähnlich. Das Bild wird viel differenzierter und einfache Lösungen greifen hier nicht. Egal, von welcher Seite aus. Es ist keine Lösung, die gesamten Menschen einfach zu uns einzuladen. Das kann nicht die Lösung der Armuts- und Wirtschaftsproblematik sein. Und gleichzeitig ist es auch kein Ansatz, sie nur in ihr Verderben zurück zu schicken, wo keine Hoffnung besteht. Dazwischen besteht der Spannungsbogen und da müssen wir alle Energien zusammennehmen, um im Interesse Europas und unserer eigenen Werte und Überzeugungen zu glaubwürdigen Lösungen zu kommen.

domradio.de: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Daniel Hauser


Quelle:
DR