Caritas sieht CDU-Grundsicherungsvorschlag zwiespältig

An den richtigen Stellschrauben drehen

Ein Jahr nachdem die Ampelregierung Hartz IV durch das Bürgergeld ersetzt hat, will die CDU es wieder abschaffen. Eine neue Grundsicherung soll das Bürgergeld ablösen. Caritas-Chefin Eva Maria Welskop-Deffaa sieht Vor- und Nachteile.

Die Debatte um das Bürgergeld dauert an. / © Marco de Benedictis (shutterstock)
Die Debatte um das Bürgergeld dauert an. / © Marco de Benedictis ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Leistung soll sich wieder lohnen. Wer keine Leistung bringt, soll auch kein Geld vom Staat kriegen. Die Union will sogenannten Totalverweigerern die Bezüge streichen. Wie viele Totalverweigerer, die einen zumutbaren Job nach dem anderen ablehnen, gibt es?

Eva Maria Welskop-Deffaa und Peter Neher / © Harald Oppitz (KNA)
Eva Maria Welskop-Deffaa und Peter Neher / © Harald Oppitz ( KNA )

Eva Maria Welskop-Deffaa (Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes): Lassen Sie mich einen Satz vorausschicken. Die Debatte um das Bürgergeld zieht sich durch das ganze letzte Jahr. 

Wir haben im Sommer letzten Jahres nach meinem Eindruck eine sehr unerfreuliche Zuspitzung der Debatte erlebt, die in Vokabeln wie Sozialschmarotzer eine neue Konjunktur hatten. Die Union stand, wie unser Eindruck war, sehr in der Versuchung, in den Chor dieser Populisten einzustimmen und die Stimmung zu befeuern. 

Von daher sind wir als Caritasverband sehr froh, dass mit dem nun vorliegenden Papier klarer wird, welche Vorstellungen die CDU tatsächlich hat und wie weit sie sich auf diese populistischen Anfeindungen ihrerseits weiter einlassen will.

DOMRADIO.DE: Was beinhaltet denn das CDU-Papier?

Welskop-Deffaa: Ich lese das Papier deutlich so, dass die Union genauso wie der Deutsche Caritasverband davon ausgeht, dass es sich bei den Menschen, die sich wirklich vollständig weigern Arbeit anzunehmen, obwohl sie erwerbstätig sein können, um eine extreme Minderheit handelt. Das sagen wir in unseren Unterlagen. Das sagt die CDU in ihrem Papier. 

Ich glaube, die Sorge der Union besteht darin und so schreiben sie es auch, dass diese Minderheit, die sich nicht an die Regeln hält und das System ausnutzt, dadurch das ganze System in Verruf bringe. Diese Sorge haben wir als Caritasverband nicht geteilt.

Eva Maria Welskop-Deffaa

"Aber der letzte Sommer hat uns allen gezeigt, wie schnell es gelingen kann, diese Art von Diskreditierungen öffentlich zu inszenieren."

Aber der letzte Sommer hat uns allen gezeigt, wie schnell es gelingen kann, diese Art von Diskreditierungen öffentlich zu inszenieren. Von daher ist es gut, dass man im Detail schaut, an welchen Stellschrauben man tatsächlich drehen könnte, um das System insgesamt noch besser zu machen. 

Aus meiner Sicht ist die Zielrichtung der sogenannten neuen Grundsicherung und des Bürgergeldes überhaupt nicht so weit auseinander, wie es alle Beteiligten darstellen wollen. Auch das Bürgergeld der Ampelregierung ist kein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern setzt auf ein intensives Fördern. Weiterbildungsangebote sollen leichter genutzt werden können, damit Menschen so gut wie möglich und so schnell wie möglich in qualifizierte, existenzsichernde Arbeit kommen können.

Eva Maria Welskop-Deffaa

"Das führt dazu, dass wir uns ein bisschen schwertun zu bewerten, wie das System wirklich funktioniert."

DOMRADIO.DE: Die Caritas hatte die Einführung des Bürgergeldes anstelle von Hartz IV begrüßt. Welche Erfahrungen dominieren aus Ihrer Perspektive jetzt gut 15 Monate später?

Welskop-Deffaa: Leider Gottes haben die Haushaltsberatungen dazu geführt, dass verschiedene Instrumente, die mit den Bürgergeld-Reformen eingeführt werden sollten, entweder ganz zur Seite gelegt wurden oder nicht auskömmlich finanziert sind.

Das führt dazu, dass wir uns ein bisschen schwer tun zu bewerten, wie das System wirklich funktioniert. Es ist auch außerordentlich begrüßenswert, dass die Union in ihrem Papier ganz klar sagt, dass es ausreichend Mittel für die Eingliederung braucht, sonst könne eine starke Vermittlung nicht gelingen.

 Hubertus Heil (SPD), Bundesarbeitsminister / © Ralf Hirschberger (dpa)
Hubertus Heil (SPD), Bundesarbeitsminister / © Ralf Hirschberger ( dpa )

Auch die Frage, wie intensiv die Leistungsempfänger durch das Jobcenter begleitet werden müssen, ist zu stellen. Dazu hat sich bei Herrn Heil (Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, Anm. d. Red.) noch mal die Position weiterentwickelt. Wir sind dankbar, dass er mit dem sogenannten "Job-Turbo" dazu beiträgt, dass Menschen mit Fluchtgeschichte intensiver betreut und begleitet werden. Das ist dringend notwendig. Auch an der Stelle ist das Papier der Union aus unserer Sicht durchaus vernünftig.

Insbesondere beim Thema Karenzzeit bei den Unterbringungskosten haben wir bei dem Papier der Union echte Bauchschmerzen. Das sind neue Regelungen, die insbesondere der Corona-Erfahrung zu verdanken sind, wenn die Union sagt, die Übernahme der Kosten für rein zahlenmäßig zu große Wohnungen, soll jetzt verkürzt werden. 

Dann kriegen wir große Bauchschmerzen als Caritasverband, weil wir wissen, dass sich die Menschen mit Niedrigeinkommen auf dem tatsächlichen Wohnungsmarkt schwer tun, neue Wohnungen zu suchen. Es darf nicht passieren, dass Menschen im Bezug der neuen Grundsicherung, bloß weil keine kleinere Wohnung auf dem Wohnungsmarkt zu bekommen ist, am Ende dann plötzlich in die Obdachlosigkeit fallen. Das wäre wirklich nicht vertretbar.

Eva Maria Welskop-Deffaa

"Wer erwerbstätig ist, hat mehr Geld in der Tasche als jemand, der nicht erwerbstätig ist."

DOMRADIO.DE: Es fällt immer wieder in den Diskussionen das Argument, dass Geringverdiener im Vergleich zu Bürgergeldempfängern das Nachsehen haben. Ist da was dran oder nicht?

Welskop-Deffaa: Wenn Sie die Frage der Erwerbsanreize meinen, bei denen am Ende die Bürgergeld-Empfänger mehr in der Tasche haben als diejenigen, die Niedrigeinkommen beziehen, dann ist das tatsächlich aus unserer Sicht unberechtigt. Diese Aussage findet sich auch nicht mehr in den Unterlagen der Union. 

Das waren tatsächlich falsche Zahlen, bei denen man die Ansprüche der Niedrigeinkommensbezieher zum Beispiel auf Wohngeld, auf Kinderzuschuss nicht mit eingerechnet hat. Wer erwerbstätig ist, hat mehr Geld in der Tasche als jemand, der nicht erwerbstätig ist. Das kann man im deutschen System als Regel heute schon annehmen.

Eva Maria Welskop-Deffaa

"Ausführliche Diskussion über den Namen zu führen, ist angesichts der faktischen Herausforderungen, um die es geht, nebensächlich."

DOMRADIO.DE: Laut Süddeutscher Zeitung finden Sie den Begriff der Grundsicherung so, wie ihn die Union vorschlägt, womöglich geeigneter als den des Bürgergeldes. Was heißt das aus Ihrer Sicht?

Welskop-Deffaa: Ausführliche Diskussion über den Namen zu führen, ist angesichts der faktischen Herausforderungen, um die es geht, nebensächlich. Aber ich finde die Einschätzung nicht gänzlich unberechtigt, dass der Name Bürgergeld falsche Assoziationen weckt. 

Es war die Alternative zu Hartz IV. Es war dringend notwendig, eine Alternative zu Hartz IV zu finden, weil Hartz IV das System des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) vollständig diskreditiert hat. Deswegen war es gut, dass die Ampelregierung einen neuen Namen gefunden hat. 

Dass er jetzt womöglich in seinen Assoziationen übers Ziel hinausschießt, dass er dem einen oder anderen das Gefühl gibt, jeder Bürger hat in jedem Fall Anspruch auf dieses Bürgergeld, ist eine Vermutung, die wir nicht gänzlich von der Hand weisen können. Wenn in einer nächsten Reform ein besserer Name im Vergleich zum Bürgergeld gefunden wird, ist das schön, aber sicher nicht das allererste, was auf unserer Agenda steht.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Caritas Deutschland

Der Deutsche Caritasverband (DCV) ist der größte Wohlfahrtsverband Europas. Die Dachorganisation katholischer Sozialeinrichtungen setzt sich für Menschen in Not ein. Mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitern - 80 Prozent sind Frauen - ist die Caritas zudem der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Der Begriff "caritas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Nächstenliebe. Sitz des 1897 gegründeten Verbands ist Freiburg. Wichtige Bedeutung haben die Büros in Berlin und Brüssel.

Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus (KNA)
Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus ( KNA )
Quelle:
DR