domradio.de: Nach Ansicht von Peter Hintze sollte der ärztlich assistierte Suizid in unerträglichen Situationen am Lebensende ohne jeden Zweifel straffrei sein - das klingt zunächst human, oder?
Annette Widmann-Mauz: Ich denke, da muss man unterscheiden. Zunächst einmal haben Ärzte heute die Möglichkeit, Patienten, die in der letzten Lebensphase leiden, mit Palliativmedizin zu unterstützen, ihnen das Leiden erträglicher zu machen. Sie können dies unter der Gabe von schmerzlindernden Arzneimitteln sogar so tun, dass durchaus die Lebenszeit dadurch verkürzt wird. Das ist bereits heute möglich und ich finde, wir sollten vielmehr über die heutigen Möglichkeiten sprechen, um zum Tod zu kommen, aber in Begleitung, mit einer guten Unterstützung durch Palliativmedizin. Wir sollten vor allem das gute Arzt-Patienten-Verhältnis nicht dadurch belasten, dass der Patient sich nicht mehr darauf verlassen kann, dass der Arzt ihm in seinem Leiden hilft, sondern dass er ihn am Ende zum Tod führt. Das glaube ich, würde dieses Arzt-Patienten-Verhältnis unverhältnismäßig stark beeinträchtigen.
domradio.de: In der Schweiz gibt es Vereine, die ein Gift bereitstellen, wenn sich jemand umbringen will. Peter Hintze argumentiert nun, dass Menschen oftmals vor der Alternative stehen, sich in der Schweiz bei ihrem Vorhaben helfen zu lassen oder, falls sie das Geld dafür nicht haben, sich in Deutschland vor den Zug zu werfen. Diese Not verlange nach einer Antwort - können Sie diese Argumente nachvollziehen?
Widmann-Mauz: Ich kann subjektive Ängste immer verstehen, aber wenn der Staat Grundsätze ausspricht, die auch mit unserem Grundgesetz vereinbar sein müssen und sein sollen, dann kann er nicht jede sozusagen individuelle Situation, die er generell für falsch hält, individuell regeln wollen. Es bleibt bei einer Letztverantwortung, die der Einzelne auch für sich hat. Dennoch ist es wichtig, dass die Gesellschaft und der Staat deutlich machen, dass er den unbedingten Schutz des Lebens dann auch rechtlich normiert. Wir stellen in vielen anderen Bereichen auch rechtliche Regelungen auf und können nicht ausschließen, dass einzelne Personen diesen Weg für sich ablehnen. Aber die generelle Haltung zum Leben, die sollten wir nicht relativieren und deshalb halte ich von diesem Vorschlag nichts.
domradio.de: Sie sagen stattdessen solle die Hospiz- und Palliativversorgung gestärkt werden und zwar flächendeckend. Wie wollen Sie das in konkrete Politik umsetzen?
Widmann-Mauz: Ich glaube, es ist wichtig, dass wir zunächst einmal die rechtlichen Ansprüche, die wir haben, insbesondere wenn es um Palliativmedizin geht, wenn es um spezialisierte Angebote geht, wenn es um die Vernetzung der Angebote, insbesondere mit der Hospizarbeit geht, dass wir diese Möglichkeiten auch in unserem Land flächendeckend anbieten können. Es gibt hier noch bestimmte Lücken, insbesondere auch in ländlichen Regionen. Wir haben noch zu wenig Fachkräfte, sei es in der Pflege, sei es in der Medizin, die diese qualifizierte Fort- und Weiterbildung für sich in Anspruch genommen haben und damit auch mit ihrer Expertise zur Verfügung stehen. Diesen Prozess müssen wir unterstützen.
Wir müssen insbesondere auch dafür sorgen, dass wir gerade in den Bereichen, wo gestorben wird, im Krankenhaus, in stationären Pflegeeinrichtungen, aber auch Zuhause, diese Angebote verfügbar machen und dann auch in die Zivilgesellschaft hineinvernetzen. Hier haben wir noch einiges vor uns. Wir müssen noch bekannter machen, welche Möglichkeiten Patienten z.B. durch die individuelle Patientenverfügung haben, was sie hier bereits zu Lebzeiten, wenn es ihnen gut geht, regeln können. Und wir müssen auch vermehrt Angebote für das Gespräch machen, durchaus auch mit den Ärztinnen und Ärzten, damit solche schwierigen Situationen, die dann nur noch von Angst geprägt sind, möglichst früh vermieden werden können.
domradio.de: Das Thema organisierte Sterbehilfe ist ein sehr emotionales Thema, es gibt ja auch keinen Fraktionszwang unter den Politikern. Peter Hintze ist in der CDU genau wie sie. Jetzt soll wohl vermutlich im Herbst 2015 der Bundestag über ein strafrechtliches Verbot der organisierten Sterbehilfe entscheiden. Welche Art von Diskussion erwarten Sie bis dahin, wie wird der Umgang mit diesem Thema auch innerhalb der CDU sein?
Widmann-Mauz: Ich gehe davon aus, dass wir eine sehr sachlich geprägte Diskussionen führen werden, auch wenn es um ein sehr emotionales Thema geht. Wir werden in der Unionsfraktion mit vielen Expertinnen und Experten, also Menschen, die Erfahrung mit solchen Lebenssituationen haben, ins Gespräch kommen. Dann wollen wir versuchen, den Kolleginnen und Kollegen auch bei ihrer Entscheidungsfindung und Meinungsbildung zu helfen. Das braucht Zeit, das braucht vor allen Dingen eine Situation des gegenseitigen Respekts.
Ich glaube, alle Kolleginnen und Kollegen, auch in meiner Fraktion, haben das Bedürfnis, den Menschen die Hilfe angedeihen zu lassen, die sie in dieser schweren Situation brauchen, aber auch gleichzeitig die Wirkungen in der Gesellschaft abwägen, die mit einer Legalisierung der Sterbehilfe verbunden wären. Denn es geht nicht nur um eine individuelle Lebenssituation, sondern es geht auch in der Reflexion darum, wie solche Entscheidungen in eine Gesellschaft hineinwirken, die vielleicht dann immer mehr Schwierigkeiten mit dem Umgang mit Gebrechlichkeit, mit Alter, mit dem nicht- mehr- Funktionieren hat und ich finde, wenn wir es ernst meinen mit der Würde des Menschen von Anfang an und bis zuletzt, dann dürfen wir keine solchen falschen Signale ausströmen.
domradio.de: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview hat Mathias Peter geführt.