Christa Nickels blickt auf 40 Jahre Grüne im Bundetag

Die katholische Rebellin

Nach der Bundestagswahl 1983 zogen erstmals die Grünen in den Bundestag ein. Anfangs waren sie noch die Exoten im Parlament, so die katholische Grünen-Mitgründerin Nickels. Heute stehen sie auch für Kohledeals und Waffenlieferungen.

Grünen im Bonner Bundestag: Heidemarie Dann, Annemarie Borgmann, Antje Vollmer, Erika Hickel, Waltraud Schoppe und Christa Nickels. / © Sven Simon (dpa)
Grünen im Bonner Bundestag: Heidemarie Dann, Annemarie Borgmann, Antje Vollmer, Erika Hickel, Waltraud Schoppe und Christa Nickels. / © Sven Simon ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie kamen sie als "die Grünen" damals an, zwischen den Anzugträgern von CDU, SPD und FDP?

Christa Nickels bei der Premiere "Die Unbeugsamen" / © Jörg Carstensen (dpa)
Christa Nickels bei der Premiere "Die Unbeugsamen" / © Jörg Carstensen ( dpa )

Christa Nickels (ehemalige Bundestagsabgeordnete und Gründungsmitglied der Grünen in Nordrhein-Westfalen): Die Bilder gibt es ja noch. Das war ein riesiger Aufruhr. Die grau-schwarzen Herren waren komplett entrüstet, als auf einmal Menschen in normaler Straßenkleidung von jung bis alt mit dabei waren. 

Vor allen Dingen, wir waren schon fast quotiert, obwohl wir die Quote bei den Grünen noch nicht hatten. Wir waren Männer und Frauen, die einzogen, und zwar auch junge Frauen. Das war schon ziemlich unsäglich, wie gerade die Herren von den christlichen Parteien richtig ausrasteten und zischelten. Das konnte die Presse damals nicht hören, aber wir haben es gehört. Andererseits hat mir zum Beispiel Jupp Darchinger, der berühmte Fotograf der Bonner Republik, erzählt, es war für ihn und für viele andere ein richtiges Aufatmen, dass frischer Wind und endlich das wirkliche Leben im Deutschen Bundestag aufrauschte.

DOMRADIO.DE: Als Anti-Parteien-Partei sind die Grünen damals gestartet, wollten sich abgrenzen von den Etablierten. Waren sie schon immer die Realpolitiker mit dem Ziel eines Tages mitzuregieren?

Nickels: Nein, wobei Realpolitikerin war ich. Dass wir uns als Anti-Parteien-Partei gegründet hatten, hat einen ganz einfachen Grund. Wir waren der Überzeugung, dass wir nicht die besseren Menschen sind und dass das Gerüst, das einem vorgeschrieben ist, Partei zu werden und in dem Partei auch Macht, Positionen und Ämter vergibt, dass das tatsächlich nicht immer nur das Beste in den Charakteren hervorbringt, sondern auch Deformationen. Dazu zählt, dass wir damals eine große Realitätsverweigerung bei vielen politischen Akteurinnen und Akteuren zu beklagen hatten. Wir hatten gedacht, wir könnten das mit anderen Regeln vielleicht verhindern. Einiges hat sich bewährt, anderes nicht.

DOMRADIO.DE: Wie fanden Sie es, dass Joschka Fischer 1985 hessischer Umweltminister wurde?

Christa Nickels (Gründungsmitglied der NRW-Grünen)

"Als Joschka Fischer Minister wurde, war ich sehr froh, weil ich glaubte, dass ein Grüner in dem Amt, auch wenn er den Zwängen des Amtes unterliegt, doch einiges aufbrechen könnte im Sinne von Natur-, Umweltschutz und Biosphärenschutz."

Nickels: Es ist ja immer ein Weg. Wir mussten uns, um was verändern zu können, auf das Parteiengesetz einlassen und Partei werden. Wir waren auch im parlamentarischen Alltag. Wir haben die Wirklichkeit sehr stark verändert. Aber natürlich mussten auch wir uns verändern. Als Joschka Fischer Minister wurde, war ich sehr froh, weil ich glaubte, dass ein Grüner in dem Amt, auch wenn er den Zwängen des Amtes unterliegt, doch einiges aufbrechen könnte im Sinne von Natur-, Umweltschutz und Biosphärenschutz.

DOMRADIO.DE: Sie waren damals ziemlich exotisch, denn als Katholikin passten Sie nicht in das Bild der jungen Ökopartei. Sie wurden später die erste kirchenpolitische Sprecherin der grünen Fraktion im Bundestag. Hätten Sie sich damals auch mit der CDU eine Koalition vorstellen können?

Christa Nickels (Gründungsmitglied der NRW-Grünen)

"Sie haben wahrscheinlich (...) gesehen, wie uns alle Parteien inklusive der SPD wirklich gehasst haben. Von daher war unser allererstes und wichtigstes Ziel, die vergessenen und ausgegrenzten Überlebensthemen in den Bundestag reinzubringen."

Nickels: Damals haben wir uns überhaupt keine Koalition vorstellen können. Das war auch vollkommen illusorisch. Sie haben wahrscheinlich, wenn Sie sich mit der Geschichte befasst haben, gesehen, wie uns alle Parteien inklusive der SPD wirklich gehasst haben. Von daher war unser allererstes und wichtigstes Ziel, die vergessenen und ausgegrenzten Überlebensthemen in den Bundestag reinzubringen. Das heute diese Themen in aller Munde sind, ist unser Erfolg. Das wir aber noch nicht grundlegender durchgekommen sind, hat auch mit den Beharrungskräften in der Parteienlandschaft zu tun.

DOMRADIO.DE: Der Historiker Paul Nolte sagt die Grünen seien zunehmend eine CDU für Moralbewusste geworden. Hat er da recht?

Christa Nickels (Gründungsmitglied der NRW-Grünen)

"Ich finde, dass das die Grünen heute noch auszeichnet, diese Offenheit und nicht dieses apodiktische Abkanzeln von denen, die anderer Meinung sind."

Nickels: Nein, das sehe ich nicht so. Ich komme aus dem Aachener Land, wo die CDU heute teilweise noch in Dörfern einen Stiel aufstellen könnte, einen Stock, der würde auch gewählt. Also das sehe ich nicht so. Ich bin der Meinung, dass die Grünen bei allem, was bei uns auch manchmal schiefläuft, immer noch die Partei ist, die sehr faktenbasiert arbeitet und sich auch eine große Offenheit bewahrt hat für das, was an neuem Wissen und an neuen Erkenntnissen da ist. Das habe ich bei der CDU früher nicht erlebt. Das hat mich auch immer total abgeschreckt, weil man auf ganz hohem Ross die anderen niedergemacht hat, die etwas anders gesehen haben. Ich finde, dass das die Grünen heute noch auszeichnet, diese Offenheit und nicht dieses apodiktische Abkanzeln von denen, die anderer Meinung sind.

DOMRADIO.DE: Die Grünen sind mit einigen Themen sehr nah an der Kirche dran, zum Beispiel was Frieden und Schöpfung angeht, so dachten wir. Wir sehen aber auf der anderen Seite, dass Anton Hofreiter jetzt Waffenexperte ist, Robert Habeck lässt weiter Kohle verstromen, macht mit Mona Neubaur und RWE Klima-Deals. Wie blicken Sie als Katholikin auf die aktuelle Politik Ihrer Partei?

Nickels: Ich muss Sie erst mal wieder in den Senkel stellen mit der Frage. Sie dürfen nicht ausblenden, dass wir letztes Jahr wirklich etwas Furchtbares erlebt haben, von dem wir nie gedacht hätten, dass es passieren würde. Dass nämlich Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine startet mit allen dramatischen Folgen und Verwerfungen für Europa und weltweit. Da hatten auch unsere Ministerinnen und Minister die allererste Aufgabe, das Land da durchzuführen.

Kohle ist nicht der Lieblingsstoff von Mona Neubaur oder Robert Habeck, sondern sie mussten einfach durchkommen und das Gas und das Öl aus Russland ersetzen. Das war nicht anders zu machen. Ich finde es richtig, dass man einem Land, das angegriffen wird und das nicht die Wahl hat, sich einfach überrollen zu lassen und dann frei zu leben, sondern unterjocht würde, dass man diesem Land hilft, sich zu wehren mit den Möglichkeiten, die dieses Land für sich selber sieht. Das ist für mich nicht Kriegsbesoffenheit.

Drittens, wir haben jetzt gerade auch diese intensiven Koalitionsgespräche erlebt. Ich glaube, dass es sehr wichtig und schwierig ist, dass Grüne mit dazu beitragen, dass nicht der technische Anlagenschutz und die Technik den Naturschutz und den Biosphärenschutz überlagert. Das ist, glaube ich, eine ganz große Herausforderung. Auch die Friedenspolitik muss weiter auch auf nicht-militärische Optionen setzen und sich weiterentwickeln in dieser ganz schwierigen Gemengelage und auch in dieser weltweiten Situation. Das sehe ich als die Herausforderung an, und ich glaube, dass die Grünen sich dem auch stellen.

DOMRADIO.DE: Die Grünen machen also alles richtig, um es noch mal auf den Punkt zu bringen oder anders, Robert Habeck hat erst gestern gesagt, die Grünen müssten über ihren Schatten springen. Müssen sie wirklich? Ist das nicht ein bisschen zu viel über den Schatten springen?

Nickels: Wir machen erstens mal nicht alles richtig, wir machen auch viele Fehler. Das ist ein ganz wichtiger Punkt zu sagen. Der zweite Punkt ist, Demokratie bedeutet immer Ringen um den richtigen Weg. In einer Partei ringen auch die Basismitglieder mit ihren Vorsitzenden und mit ihren Ministerinnen und Ministern.

Wir sind eine Partei, die auch ausdrücklich auf den Sachverstand von Bewegungen und von engagierten Bürgerinnen und Bürgern setzt. Da muss man auch manchmal ins Regierungshandeln ein Stück weit entschlossen reingrätschen und den Sachverstand von außen mit reinbringen. Das ist eben ein Punkt, den ich immer noch an meiner Partei schätze, dass das geht. Das ist Demokratie und ich glaube, die Demokratie ist unglaublich herausgefordert im Augenblick. Es ist sehr wichtig, dass auch die Basis nicht nachlässt und wirklich weiter ihren Sachverstand einbringt, auch machtvoll einbringt.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR