Die christliche Gemeinde in Gaza hat sich entschieden, in den kirchlichen Einrichtungen der Stadt zu bleiben. "Es gibt keinen Ort, an den wir gehen können", sagte der katholische Pfarrer von Gaza, Gabriel Romanelli, am Samstag der Katholischen Nachrichten-Agentur. Der argentinische Ordensmann von der Gemeinschaft "Verbo encarnado" (Fleischgewordenes Wort) sitzt seit Kriegsbeginn vor einer Woche in Bethlehem fest.
Würden sich die Menschen wie empfohlen in den Süden des Gazastreifens begeben, träfen sie dort auf eine noch aussichtslosere Versorgungslage, sagt Romanelli. Bereits vor Tagen hatte er vor einem Mangel an Lebensmitteln, Wasser, Strom und Treibstoff in seiner Gemeinde wie im gesamten Gazastreifen gewarnt. In den verschiedenen katholischen Einrichtungen haben viele christliche und muslimische Familien Zuflucht vor den anhaltenden israelischen Luftschlägen gefunden.
Erster Regen der Saison erwartet
Der für dieses Wochenende erwartete erste Regen der Saison werde die katastrophale Lage zusätzlich verschärfen, so Romanelli. Die oft heftigen ersten Regenfälle sorgen wegen mangelnder Infrastruktur im Gazastreifen häufig für überschwemmte Straßen.
Die israelische Armee informierte die Bevölkerung von Gaza laut jüngsten Medienberichten unterdessen über zwei Fluchtkorridore in den südlichen Gazastreifen. Diese sollen in der Zeit zwischen 10.00 Uhr und 16.00 Uhr nicht angegriffen werden.
In Gaza-Stadt leben laut Schätzungen rund 1,1 Millionen Menschen, gut die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens. Auch die rund 1.000 Christen von Gaza und ihre Einrichtungen, darunter zwei Kirchen, mehrere Schulen und ein Krankenhaus befinden sich dort. Israel hatte die Zivilisten der Stadt in der Nacht zu Freitag aufgerufen, den nördlichen Teil des Gazastreifens zu verlassen und sich in den Süden zu begeben. Beobachter werteten das als einen weiteren Hinweis auf eine bevorstehende israelische Bodenoffensive in den Gazastreifen. Die Armee hat nach eigenen Angaben von Freitagabend dort mit Razzien begonnen, um "die Bedrohung durch Terroristen und Waffen in dem Gebiet zu beseitigen und Geiseln zu finden".
Kritik von den Vereinten Nationen
Die Vereinten Nationen hatten mit scharfer Kritik an dem Evakuierungsbefehl reagiert. "Zwangsumsiedlungen stellen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar, und Kollektivstrafen sind nach dem humanitären Völkerrecht verboten", erklärte Paula Gaviria Betancur, Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Binnenflüchtlingen, am Freitag.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hatte bei einem Treffen mit ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen am Freitagnachmittag in der südisraelischen Stadt Netivot das im Völkerrecht verbriefte Recht Israels betont, sich im Rahmen internationalen Rechts gegen den Terror der Hamas zu verteidigen und ihre Geiseln zu befreien. Sie verwies auch auf die Einschätzung der UN, eine Evakuierung von 1,1 Millionen Menschen sei unrealistisch. Man sei diesbezüglich mit allen Akteuren in regem Austausch, einschließlich Ägyptens.
Tote und Verletzte auf beiden Seiten
Seit vergangenen Samstag wurden mehr als 5.000 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel geschossen. Mehr als 1.500 militante Hamas-Kämpfer drangen laut Berichten in mehr als 30 israelische Orte in Grenznähe ein und töteten Hunderte Israelis. Rund 150 Personen wurden in den Gazastreifen entführt. Die Zahl der israelischen Opfer stieg mittlerweile auf mindestens 1.300; 3.300 Menschen wurden verletzt.
Bei israelischen Luftschlägen auf den Gazastreifen starben laut jüngsten palästinensischen Angaben seit Kriegsbeginn 2.200 Palästinenser; 7.400 weitere wurden verletzt. Im besetzten Westjordanland wurden 53 Palästinenser in Zusammenstößen mit der Armee oder israelischen Siedlern getötet und weitere 1.000 verletzt, berichtet die Zeitung "Haaretz". Ein Armeesprecher rief die Siedler auf, sich nicht in die Terrorismusbekämpfung einzumischen. Die Verantwortung für die Sicherheit Israels liege allein bei der Armee. Hintergrund sind wiederholte Angriffe israelischer Siedler auf Palästinenser.