Christen in Chemnitz auf verlorenem Posten?

"Der Stadt Bestes suchen"

Mit Gebeten und dem "Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit" wollen die christlichen Kirchen in Chemnitz die Situation entspannen. Christen sind mit 15 Prozent Bevölkerungsanteil nur eine kleine Gruppe - trotzdem wollen sie Akzente setzen.

Demokratische Kräfte in Chemnitz (dpa)
Demokratische Kräfte in Chemnitz / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Schockierende Bilder waren das aus Chemnitz: ein rechter Mob trifft sich und jagt Ausländer durch die Stadt. Die Rechtsextremen nahmen einen Mord zum Anlass, der am Wochenende in der Stadt begangen wurde. Ein Syrer und ein Iraker wurden als Tatverdächtige verhaftet. Die Kirchen haben am Montag in der Chemnitzer Jakobikirche zu einem gemeinsamen Friedensgebet aufgerufen. Mit dabei war auch Pfarrer Stephan Brenner aus Chemnitz.

Wie haben Sie gestern die Situation in Ihrer Stadt erlebt?

Pfarrer Stephan Brenner (Ev.-Luth. Kirchenbezirk Chemnitz, Arbeitsstelle für Öffentlichkeitsarbeit und Gemeindeaufbau): Sehr angespannt. Es hat mich auch betroffen gemacht, wie sehr unsere Stadt im Fokus ist. Und wir wollten als Kirchen ein Zeichen für Verständigung und des Gebets und des Miteinanders und vor allen Dingen auch der Gewaltlosigkeit setzen.

DOMRADIO.DE: Deshalb haben Sie dann spontan zum Friedensgebet eingeladen. Wie viele sind denn da gekommen?

Brenner: Es ist tatsächlich spontan eingeladen worden für gestern Nachmittag. Das war vor den beiden großen Demonstrationen, die dann am Abend in der Stadt gewesen sind. Und das Gebet ist ökumenisch gestaltet und kurzfristig vorbereitet worden. Und es waren in der Jakobikirche vielleicht 150 bis 200 Leute. Wir waren erfreut, dass der Aufruf bei etlichen doch angekommen ist.

DOMRADIO.DE: In Chemnitz sind nur 15 Prozent der Menschen überhaupt evangelisch oder katholisch. Finden die Kirchen da überhaupt Gehör?

Brenner: An bestimmten Punkten findet die Kirche schon Gehör, da haben wir auch Erfahrung in der Geschichte. Das ist allerdings eine Sache, die oft nicht so langfristig wirkt. Aber in dem Moment hat sie eine Wirkung. Und wir sollten auch deutlich machen, dass wir da sind als Christen und dass wir versuchen, etwas für die Stadt zu machen: Der Stadt Bestes zu suchen, wie es in der Bibel heißt.

DOMRADIO.DE: Nach den aktuellen Ergebnissen steht zu befürchten, dass Chemnitz den Ruf einer rechten Hochburg bekommt.

Brenner: Die Gefahr besteht, das sehen wir auch so. Die Frage ist nur, ob das wirklich richtig abgebildet ist. Ob der Gesamtzusammenhang deutlich wird. Die Stadt ist auch eine weltoffene Stadt! Es gibt hier eine Bürgerschaft, die sich sehr engagiert für das menschliche Miteinander. Das ist auch gerade in den Zeiten der starken Zuwanderung aus dem Ausland deutlich geworden. Wir haben demnächst die Interkulturellen Wochen, die von sehr vielen Menschen gestaltet werden. Ich will nicht alles Negative wegwischen. Aber ich bin auch gegen eine pauschale Beurteilung des Geschehens. Wir Christen sollten auch deutlich machen, dass Chemnitz auch anders ist und nicht nur aus Rechtsradikalen besteht, die Selbstjustiz üben.

DOMRADIO.DE: Aktuelle Umfragen in Sachsen sagen, dass 25 Prozent aller Bürger ihr Kreuzchen bei der AfD machen würden, wenn am Sonntag Wahl wäre. Wie erklären Sie sich das?

Brenner: Es ist nicht einfach zu erklären. Es erschreckt mich auch, dass solche Umfragen zu solchen Ergebnissen kommen. Man muss viele Dinge bedenken. Allerdings wehre ich mich ein Stückchen dagegen, dass das nur hier der Fall ist. Aber dass wir da ein besonderes Problem haben, das ist sicherlich zutreffend.

DOMRADIO.DE: Was können die Kirchen dazu beitragen, damit Hass und Ausländerfeindlichkeit zumindest nicht in solche Gewaltexzesse abdriften?

Brenner: Wir können es versuchen, Zeichen zu setzen mit den Mitteln, die wir haben: Das sind Gebete, das sind Gottesdienste und öffentliche Veranstaltungen. Wir müssen das Wort erheben in Diskussionsrunden, in denen es um die Flüchtlingsthematik geht. Ich habe mehrere Großveranstaltungen moderiert in der Zeit, als viele Flüchtlinge nach Chemnitz gekommen sind. Wir müssen deutlich zu machen: Es geht um einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit, wie es auch in der Bibel heißt.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR