Christen in der Türkei sind nach der Wahl zwiegespalten

"Stimmung ist kritischer geworden"

Die Präsidentenwahl in der Türkei muss wohl per Stichwahl entschieden werden. Auch wenn viele Christen lange Zeit Erdogan zu schätzen gewusst haben, so drücken sie, hinter vorgehaltener Hand, nun seinem Herausforderer die Daumen.

Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan jubeln vor dem Sitz der AKP / © Khalil Hamra/AP (dpa)
Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan jubeln vor dem Sitz der AKP / © Khalil Hamra/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie sieht denn der aktuelle Stand nach der Wahl vom Sonntag aus?

Marion Sendker / © Burhan Akdag (DR)
Marion Sendker / © Burhan Akdag ( DR )

Marion Sendker (Journalistin in Istanbul): Die ganze Nacht über wurde noch gezählt und es wurde immer wieder nachgezählt. Wir haben noch kein offizielles Ergebnis. Es sieht aber so aus, dass der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan stark in diesen Wahlabend reingegangen ist. Er hat dann im Laufe der Stunden sehr viel verloren. Er verfehlt wahrscheinlich die 50 Prozent-Marke. Die wären nötig, um keine Stichwahl zu haben.

Der Herausforderer Kemal Kilicdaroglu, der in den Umfragen deutlich vor Erdogan war, liegt jetzt bei 45 Prozent. Und dann gibt es noch einen Dritten im Bunde, der heißt Sinan Ogan. Der ist etwa bei 5,2 Prozent.

Und es gibt ja auch noch die Parlamentswahlen. Auch da hat das Bündnis um die Partei von Herrn Erdogan deutlich besser abgeschnitten als die Opposition. Die AKP, Erdogans Partei, kommt auf 35 Prozent. Die CHP bleibt bei 25 Prozent.

Marion Sendker, Türkei-Korrespondentin

"Die Opposition sagt, dass die Ergebnisse nicht besonders verlässlich sind. Sie hat auch schon damit angefangen, selbst nachzuzählen."

DOMRADIO.DE: Es kamen viele Manipulationsvorwürfe auf, die sich an Erdogan richteten. Wie verlässlich sind denn die Ergebnisse?

Vor den Wahlen in der Türkei / © Khalil Hamra/AP (dpa)
Vor den Wahlen in der Türkei / © Khalil Hamra/AP ( dpa )

Sendker: Da wird man nochmal abwarten müssen. Die Opposition sagt, dass die Ergebnisse nicht besonders verlässlich sind. Sie hat auch schon damit angefangen, selbst nachzuzählen. Sie hatten ja landesweit an jeder Wahlurne Wahlbeobachter stehen, haben ein eigenes System aufgestellt. Sie kontrollieren jetzt die Ergebnisse, die bisher bekannt sind.

Am Ende wird das Ergebnis durch den Hohen Wahlrat verkündet. Das ist das amtliche Ergebnis. Und da sagt auch die Opposition, was der Hohe Wahlrat verkündet, dürfte schon der Wirklichkeit entsprechen. Aber vom Hohen Wahlrat gab es bisher noch nichts, außer weiter abwarten und weiterzählen.

Wahlen in der Türkei / © Tolga Ildun (dpa)
Wahlen in der Türkei / © Tolga Ildun ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie hat sich die Stimmung der Wählerinnen und Wähler seit der letzten Wahl verändert?

Sendker: Die Stimmung ist allgemein schon kritischer gegenüber der Regierung geworden. Das merkt man gerade in den Teilen des Landes, die sonst eher pro Erdogan waren. Da haben sehr viele doch jetzt gegen ihn und für das Oppositionsbündnis gestimmt. Gerade im Osten der Türkei ist es der Fall, da dort auch die schweren Erdbeben Anfang Februar passiert sind.

Man merkt schon eine Wechselstimmung. Es war aber den ganzen Wahlkampf über keine richtige Aufbruchstimmung. Die Opposition selber besteht aus mehreren Parteien. Viele haben gedacht, dass dieses Bündnis mehrerer Parteien die Türkei führen kann, dass es stark und einheitlich sein kann. Das könnte dann noch einige Stimmen gekostet haben.

DOMRADIO.DE: Sechs Tage vor den Wahlen in der Türkei hat Präsident Erdogan eine dicke Gehaltserhöhung für rund 700.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes bewilligt. Er will die Gehälter um 45 Prozent erhöhen. Jetzt, nach den Präsidenten- und Parlamentswahlen, hat er damit wohl die noch unentschlossenen Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen können.

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei / © Uncredited/Turkish Presidency/AP (dpa)
Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei / © Uncredited/Turkish Presidency/AP ( dpa )

Sendker: Das kann sein. Es ist ein Baustein. Er hat einen Wahlkampf der frohen Botschaften geführt. Er hat immer wieder Geld versprochen, hat Tunnel eröffnet, Kriegsschiffe vorgestellt. Ich denke aber, das ist, wenn überhaupt, nur ein kleiner Grund gewesen, dass sich Unentschlossene noch für Erdogan entschieden haben könnten.

Es ist eher so, dass er seit 21 Jahren an der Macht ist und dass viele Leute dann doch eher gedacht haben, da weiß man, was man hat. Das ist halt Stabilität.

Bei der Opposition wäre zwar der gewünschte Wechsel da, aber da sind sich viele dann doch wohl nicht mehr so sicher gewesen, ob sie einheitlich regieren können.

Erdogan hat im Wahlkampf auch sehr erfolgreich das Oppositionsbündnis in die terroristische Ecke gestellt. Er hat gesagt, sie werden von der Terrororganisation PKK unterstützt und die unterstützen auch die PKK. Das schürt hier im Land noch mal massiv Ängste, auch wenn gar nichts dran ist und die Situation sich in Wahrheit ganz anders darstellt.

DOMRADIO.DE: Sollte Erdogan als Präsident doch bestätigt werden, wird er die Zügel dann wohl etwas lockern oder muss man eher eine endgültige Diktatur befürchten?

Sendker: Bei dem Wort Diktatur wäre ich vorsichtig. Es hat Wahlen gegeben und die Türken haben einen großen Glauben an Wahlen. Die Wahlbeteiligung soll weit über 90 Prozent betragen haben. Aber man muss erwarten, das es noch ein bisschen härter, vielleicht auch ein bisschen autoritärer zugehen könnte in der Türkei. Das liegt auch daran, dass unter den Parteien, die Erdogan unterstützt haben, sehr radikale islamistische, also fundamentalistisch islamistische Parteien mit dabei sind. Die dürften jetzt auch Sitze im Parlament bekommen haben und haben jetzt auch was zu sagen.

Da muss man davon ausgehen, dass es, wenn Erdogan jetzt weiter Präsident bleiben sollte, dann noch mal etwas strenger und härter zugehen dürfte.

DOMRADIO.DE: Je nachdem, wie es dann jetzt letztendlich ausgeht. Welche religionspolitischen Unterschiede wird es dann geben?

Sendker: Unter der AKP von Erdogan war es ja so, dass viele religiöse Minderheiten, auch Christen gesagt haben, dass es so schlecht gar nicht war. Aber viele Christen haben gesagt, dass Erdogan wenigstens weiß, was Religion ist, er ist nicht gegen Religion ist. Er hat sehr viele Kirchen restaurieren lassen, renovieren lassen. Es tat vielen Gemeinden dort gut. Allerdings war das nur so am Anfang, die ersten Jahre.

Jetzt hört man weniger von den christlichen Gemeinden. Und das, was man so hinter verschlossenen Türen hört, viele trauen sich auch gar nicht mehr so richtig darüber zu sprechen, ist eher, dass ein Wechsel vielleicht gar nicht so schlecht sein könnte, einfach um die Polarisierung in der Gesellschaft wieder etwas einzufangen. Denn das ist mit dazu gekommen, mit dieser religiösen Radikalisierung, die es zum Teil in der Politik gegeben hat.

Es gibt tatsächlich ein paar politische Themen dort. Gerade bei der orthodoxen Gemeinschaft ist es so, etwa die Schule von Halki, die ja immer noch geschlossen ist. Die Orthodoxen hätten gerne, dass dieses Priesterseminar wieder eröffnet wird. Aber das soll wohl auch ein politischer Streit sein, dass man versucht diese Schule von Halki im ganzen Streit mit Griechenland mit als Argument einfließen zu lassen.

Da gab es hinter verschlossenen Türen die Hoffnung, dass mit einem Regierungswechsel solche Geschichten nicht mehr politisch ausgenutzt werden.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Quelle:
DR
Mehr zum Thema