Christlich-Jüdischer Verein fordert Solidarität mit Israel

"Weg von dieser Einseitigkeit"

Sechs Monate sind vergangen nach dem Terror-Angriff der Hamas in Israel. Mit einer Kundgebung in Köln wird nun der Opfer gedacht. Ihnen und den Geiseln aus Israel werde zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, kritisiert Jürgen Wilhelm.

Israelische Fahnen sind bei einer Demonstration gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel zu sehen. / © Christoph Soeder (dpa)
Israelische Fahnen sind bei einer Demonstration gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel zu sehen. / © Christoph Soeder ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie sagen, einen wirklichen Aufschrei gegen die Umstände in Israel hätten Sie bisher noch nicht wahrgenommen. Was fehlt Ihnen? 

Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. (Kölnische Gesellschaft)
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. / ( Kölnische Gesellschaft )

Prof. Jürgen Wilhelm (Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit): Die Einseitigkeit der Demonstrationen in Deutschland, die sich auch in den Medien seit sechs Monaten widerspiegelt, ist schon erschreckend. Es war in den ersten Tagen schon so, dass über die Terrorangriffe berichtet wurde. 

Wenn man aber jetzt einmal Revue passieren lässt, was passiert ist, dann ist genau das eiskalte Kalkül der Hamas aufgegangen. Die mediale Wirkung, die durch die in der Tat auch schrecklichen Bilder im Gazastreifen stattfindet, hat auch politisch einen Spin hervorgebracht, sodass jetzt Druck auf Israel ausgeübt wird. Man muss auch kein Freund der Netanjahu-Regierung sein. Da habe ich auch so meine Skepsis und Zweifel. 

Den israelischen Geiseln wird aber kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Es hat mich schon insgesamt gewundert und auch enttäuscht, dass man den Opfern auf der israelischen Seite bei in Deutschland stattfindenden Demonstrationen nicht wirklich die Aufmerksamkeit geschenkt hat, die ich mir versprochen hätte.

Jürgen Wilhelm

"Die Terroristen haben auf Israels Gebiet über 1.300 Menschen ermordet und vergewaltigt."

DOMRADIO.DE: Was muss sich jetzt in der Wahrnehmung verändern? 

Wilhelm: Man soll schon die Opfer im Gazastreifen sehen. Die Zivilbevölkerung leidet selbstverständlich unter diesem Krieg. Das streitet ja auch ernsthaft niemand ab. Man darf aber die Täter-Opfer-Rolle nicht verwechseln. Die Terroristen haben auf Israels Gebiet über 1.300 Menschen ermordet und vergewaltigt. Sie haben Geiseln genommen. Auch die Tatsache, dass man Geiseln in diesem Ausmaß nimmt, ist ja unvorstellbar. 

Wenn sonst bei einem verbrecherischen Überfall auf eine Bank beispielsweise Geiseln genommen werden, dann sind die Zeitungen und Berichterstattungen wochenlang voll davon. Dort ist das zum System des terroristischen Angriffs geworden. Allein dass das nicht in Frage gestellt wird, hat mich sehr verwundert. Und natürlich möchte ich weg von dieser Einseitigkeit. 

Jürgen Wilhelm

"Es soll schon die Botschaft geben, dass man Opfern auf beiden Seiten gedenkt. Das ist schon richtig, aber es geht auch darum, dass man die Gewichte auch politisch richtig verteilt. "

DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie von der Kundgebung am Sonntag in Köln? Aufgerufen hat die Allianz gegen Antisemitismus, ein Bündnis aus verschiedenen Organisationen und Vereinen, das sich gegen Hass in der Gesellschaft stemmt. Welche Botschaft soll es geben? 

Wilhelm: Es soll schon die Botschaft geben, dass man Opfern auf beiden Seiten gedenkt. Das ist schon richtig, aber es geht auch darum, dass man die Gewichte auch politisch richtig verteilt. Wir sehen ja, dass sich seit diesem Überfall der Hamas der Antisemitismus in Deutschland Bahn gebrochen hat in einer Weise, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können. 

Er geht in die Schulen hinein und er geht sowieso in die öffentlichen Demonstrationen hinein. Es gibt persönliche Überfälle, Attacken gegen Juden. Besonders bekannt ist ja, wie ein jüdischer Student in Berlin verprügelt worden ist und krankenhausreif geschlagen wurde. 

Es ist nicht so, das möchte ich noch einmal ganz deutlich sagen, dass jede Kritik an der israelischen Regierung gleichzusetzen ist mit Antisemitismus. Das ist Unsinn, das tue ich auch nicht. Aber dass der Antisemitismus mittelbar durch diese falsche Gewichtung und – noch einmal – die Täter-Opfer-Umkehr, die mir sehr schwer im Magen liegt und sehr deutlich überkommt, dass das relativiert wird, dass wir aufmerksam machen wollen, dass das gerade in Deutschland dazu geführt hat, dass der Antisemitismus sich so breit wieder aufstellt, das macht uns schon Sorgen. 

Jürgen Wilhelm

"Mein Appell wird sich auf das Mitleid und die Empathie mit den Geiseln konzentrieren, die jetzt seit sechs Monaten in terroristischer Haft sind."

DOMRADIO.DE: Sie selbst werden am Sonntag sprechen und Ihre Solidarität mit Israel zeigen. Was werden wir von Ihnen hören? Was wird Ihr Appell sein? 

Wilhelm: Mein Appell wird sich auf das Mitleid und die Empathie mit den Geiseln konzentrieren, die jetzt seit sechs Monaten in terroristischer Haft sind. Wir haben ja von einigen freigelassenen Geiseln in der Zwischenzeit gehört, wie sie dort behandelt worden sind.

Sie sind gefoltert worden, sie werden in Kellern und in diesem berühmt-berüchtigten Tunnel gehalten. Sie werden geschlagen, sie werden geprügelt, Frauen werden vergewaltigt. Einige sind auch ermordet worden. Darauf werde ich meinen Fokus legen. 

Das Interview führte Carsten Döpp. 

Information: An diesem Sonntag findet auf dem Heumarkt in Köln eine Solidaritätskundgebung mit Israel statt. Alle Informationen hier.

Kundgebung in Köln (privat)
Kundgebung in Köln / ( privat )

Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit haben ihren Ursprung in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Schriftsteller, Philosoph und Lehrer Martin Buber und der damalige Leiter des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt am Main, Franz Rosenzweig, suchten und förderten gemeinsam mit christlichen Partnern den christlich-jüdischen Dialog. 

Interreligiöser Dialog (Symbolbild) / © Friso Gentsch (dpa)
Interreligiöser Dialog (Symbolbild) / © Friso Gentsch ( dpa )
Quelle:
DR