Was es mit dem Weihnachtslob im Erfurter Dom auf sich hat

Christmette auch für Nichtchristen

Eine Weihnachtsfeier für Nichtchristen oder Menschen, die mit der katholischen Liturgie nicht vertraut sind? Das findet am Heiligabend im Erfurter Dom statt. Jedes Jahr folgen hunderte Menschen der Einladung zu diesem speziellen Weihnachtslob. 

Erfurter Dom und Severikirche / © Roger Hagmann (KNA)
Erfurter Dom und Severikirche / © Roger Hagmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was war denn der ursprüngliche Anlass, dass Sie diesen nächtlichen Weihnachtslob eingeführt haben? 

Weihbischof Reinhard Hauke (Weihbischof im Bistum Erfurt): Der ursprüngliche Anlass war eigentlich die Erfahrung, dass zu der traditionellen Christmette mit dem Bischof im Dom um 23 Uhr, wenn ich mich recht erinnere, seit sagen wir mal 1982 - das war die Endphase des Sozialismus - plötzlich Menschen in den Dom kamen. Dennn der Dom war erleuchtet und die Menschen wussten, dass da ein Gottesdienst ist.

Irgendwie hatten sie das Gefühl, wir müssen Heiligabend doch irgendwie mal in die Kirche, obwohl wir das über viele, viele Jahre nicht gemacht haben und dann kamen sie einfach als Interessierte in eine katholische Messe. Das hat natürlich gewisse Probleme gegeben, denn die waren nicht so recht integriert oder konnten auch die Gebete, Antworten und die Gesänge nicht, sodass wir dann immer den Eindruck hatten: Da ist so eine gewisse Unruhe bei den Menschen, die da kommen, die erwarten etwas anderes als das, was sie dann erleben. Und die, die da waren, die Katholiken, fühlten sich irgendwie gestört durch die, die da nicht so richtig wussten, wie das geht. Also eine für beide Seiten sehr unzufriedene Situation.

Und das haben dann der Bischof und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich angeschaut und überlegt: Was können wir da machen? Im Jahr 1987 wurde dann entschieden: Das einfachste ist, wir trennen die Christmette von einer anderen Gottesdienstform ab. Sie feiern die Christmette vorher und zwar um 22 Uhr in der benachbarten Severikirche, die ja nur wenige Meter davon entfernt steht. Und um 23.30 Uhr, also nach einem guten Abstand, feiern wir dann einen Spezial-Gottesdienst für die, die eben abends noch in die Kirche kommen, diese Zeit aber eine Christmette selber nicht mitfeiern können, weil sie die Form nicht kennen. 

DOMRADIO.DE: Wie erklären Sie sich diesen Erfolg? 

Hauke: Das ist eine gute Frage, denn das funktioniert interessanterweise ja nur an Weihnachten. An Ostern funktioniert es nicht so gut. In die Osternacht kommen nicht so viele Menschen, die denken: Jetzt ist Ostern, jetzt gehe ich in die Kirche. 

Das ist die Besonderheit des Heiligen Abends und irgendwie habe ich den Eindruck, die Menschen fragen dann: "Was ist denn das eigentlich, Weihnachten? Was ist der Ursprung? Und was muss ich davon wissen und vielleicht sogar mitgestalten, mitfeiern? Und wenn ich das wissen will, dann gehe ich in die Kirche, oder?"

Natürlich kann man das auch über die Sozialen Medien erfahren, aber wenn man dabei ist und es sich dann herumspricht, dass es eine Form gibt, die konkret diese Menschen anspricht, die eben keine liturgische Tradition kennen, dann kann man damit rechnen, dass Menschen kommen.

Das ist immer wieder so ein bisschen ein Stochern im Nebel, weil man es nicht genau weiß. Man kennt nicht genau die Erwartungen, aber man sieht das Faktum: Außerhalb der Corona-Zeiten sind es zurzeit 600 Menschen, die keine liturgische Tradition kennen oder nur sehr gering, bis hin zum Vaterunser, das wir ja auf einem Handzettel dann auch textlich ausdrucken. Oder es gibt manche, die vielleicht sagen: "Ach, das Gedicht habe ich früher schon mal gehört, oder ich kenne es auswendig oder kannte es mal auswendig. Und es ist gut, dass ich es jetzt noch mal mitlesen kann."

DOMRADIO.DE: Die Zeitung die "Zeit", schrieb gestern: "In der Kirche werden Menschen sein, die nicht in der Kirche sind." Und dann wurde die Frage gestellt, ob bei diesem nächtlichen Weihnachtslob nicht quasi Jesus von seiner eigenen Geburtstagsparty ausgeladen wird. Also quasi Weihnachten ohne den Kern von Weihnachten stattfindet. Teilen Sie diese Sorge? 

Hauke: Bei dieser Feier auf jeden Fall nicht. Denn das, was wir da tun, ist natürlich der Versuch der Vermittlung der christlichen Weihnachtsbotschaft. Deswegen kommt ja das Lukas-Evangelium vor und die Ansprache ist auch in diese Richtung gedacht. Also eine Art Ausladen Jesu aus einem Gottesdienst, wenn ich das richtig verstanden habe, passiert da auf jeden Fall nicht, sondern genau das Gegenteil.

DOMRADIO.DE: Dieses nächtliche Weihnachtslob ist eingebunden in eine ganze Reihe von Angeboten, die sich auch an konfessionslose Menschen richten. Was machen Sie da noch alles?

Hauke: Wir haben versucht, die ganze Bandbreite menschlichen Lebens einzufangen. Angefangen von den 15-Jährigen, die im Sozialismus immer noch zur Jugendweihe gegangen sind, weil es keine andere Möglichkeit gab, diese Veränderungen zum Erwachsenwerden irgendwie zu gestalten und eben nicht zur Firmung oder Konfirmation zu gehen.

Und wir haben die Feier der Lebenswende erfunden. Und da kann ich auch sagen, dass ich da sehr dankbar für bin. 1998 war die erste Feier der Lebenswende für ungetaufte Jugendliche, die erwachsen werden wollen. Man bietet ihnen einen Rahmen aus christlicher Sicht an, wie man vielleicht über das eigene Leben und über die Vergangenheit und Zukunft nachdenken kann. Das ist ein Projekt, was, denke ich, zumindest in Erfurt und auch in anderen Städten Ostdeutschlands noch gut angenommen worden ist. 

Das nächste wäre der Valentinstag, den es seit 2000 in Erfurt gibt. Und nach meinem Wissen ist das die älteste Fassung, die wir auch ökumenisch hier in einem Gottesdienst haben. Er ist für Menschen, die die Liebe gespürt haben, die Freundschaft, die Partnerschaft und dass darüber nachgedacht werden soll.

Dann ist uns das Thema Sterben und Tod uns wichtig. Wir haben an jedem ersten Freitag im Monat ein Totengedenken um 15 Uhr im Kolloquium der Allerheiligenkirche und wir haben einen Segnungsgottesdienst für Kranke und ihre Helfer in einem katholischen Altenheim, aber sind da eben offen für alle, die da kommen.

So auch am Gedenktag Cosmas und Damian im September, wo einfach auch diejenigen eingeladen sind, die keine Krankensalbung empfangen können, weil sie keine Christen sind oder keine Katholiken sind, gesegnet werden und zusammen mit ihren Angehörigen oder diejenigen, die sie pflegen teilnehmen, sodass auch dieses Thema Krankheit als ein Thema des eigenen Lebens für Christen und Nichtchristen in den Blick gerückt wird und gestaltet wird. 

DOMRADIO.DE: Kirchliche Bindungen nehmen ja generell in Deutschland und in Europa ab. Brauchen wir in Zukunft mehr Gottesdienste und Feiern dieser Art? 

Hauke: Was wir brauchen, ist eine Aufmerksamkeit für das, was den Menschen wichtig ist, also sowohl im guten wie in bösen Zeiten, wo man irgendwie auch in Krisensituationen versuchen sollte, positiv zu sein. Also dass ich begeistert bin, meinetwegen von einer Liebe, einer Partnerschaft - und mich nicht frage: Wie komme ich denn dazu? Und warum passiert das jetzt so, dass ich versuche, das zu deuten? 

Das ist eine Herausforderung, wie sie die Kirche eigentlich schon immer gesehen hat, dass sie versucht hat, auch auf die Fragen der Zeit zu antworten, auf konkrete Lebensumstände, die sich immer wieder verändert haben. Und ich denke, soweit ich das so sehen kann, ist auch die Sakramentenentwicklung dieser Erfahrung irgendwie gefolgt: Wir haben jetzt sieben Sakramente in der katholischen Kirche.

Es ist einfach entschieden worden. Jeder weiß, dass zum Beispiel die Fußwaschung am Donnerstag wesentlich mehr den äußeren Bedingungen eines Sakraments entspricht als zum Beispiel die Eheschließung. Aber die Kirche hat es so festgelegt. Das heißt, es gibt deswegen jetzt Sakramentalien, die das Ganze noch ein bisschen erweitern. Um deutlich zu machen: Wir versuchen in allen Lebenssituationen dem Menschen eine Deutung zu geben, in guten und bösen Tagen im Hinblick auf das Evangelium.

Das Interview führte Hannah Krewer.


Weihbischof Reinhard Hauke / © Dominik Wolf (KNA)
Weihbischof Reinhard Hauke / © Dominik Wolf ( KNA )

Hochaltar im Erfurter Dom zu Weihnachten / © Oliver Kelch (DR)
Hochaltar im Erfurter Dom zu Weihnachten / © Oliver Kelch ( DR )
Quelle:
DR