Christoph Poppen blickt auf Projekt "Alle Mozart-Messen"

"Ich will mit Musik Grenzen überwinden und Menschen vereinen"

Seit März 2020 verfolgt der Dirigent Christoph Poppen ein großes Projekt: Er will alle 17 Mozart-Messen aufnehmen, die Kölner Dommusik ist daran beteiligt. Im Interview spricht er über Mozarts himmlische Musik und den Heiligen Geist.

Mozart-Statue in Salzburg / © Whoever (shutterstock)

KNA: Herr Prof. Poppen, am 14. März 2020 waren die ersten Aufnahmen fertig, einen Tag später dann der Lockdown. Was bedeutete die Vollbremsung für Ihre Produktion?

Der Dirigent Christoph Poppen, Leiter des Kölner Kammerorchesters und Initiator des Projekts "Alle Mozart-Messen" / © Sabine Kleyboldt (KNA)
Der Dirigent Christoph Poppen, Leiter des Kölner Kammerorchesters und Initiator des Projekts "Alle Mozart-Messen" / © Sabine Kleyboldt ( KNA )

Prof. Christoph Poppen (Dirigent des Kölner Kammerorchesters): Corona hat unseren logistisch komplexen Aufnahmeplan vollkommen durcheinander gebracht. Die Kölner Philharmonie war geschlossen, die Chöre konnten nicht mehr proben. Glücklicherweise haben wir im Oktober 2021 die c-Moll-Messe einspielen können, so dass die zweite CD bereits im Herbst erscheint. Die komplette Box mit allen Mozart-Messen liegt hoffentlich im Herbst 2023 vor - eineinhalb Jahre später als geplant.

KNA: Was fasziniert Sie besonders an diesen Kompositionen?

Poppen: Zum Beispiel Mozarts Umgang mit dem Text der lateinischen Messe, der ja logischerweise immer derselbe ist: Wie er immer wieder neue Ausdrucksformen findet, um die Hauptthemen Tod und Auferstehung zu illustrieren. Beim Credo kommt manchmal dieses zu erwartende Decrescendo, das im Nichts, dem Tod endet, dann aber auch ein großes Crescendo oder ein Subito Pianissimo. Das zeigt mir, dass er die Messkomposition nicht als Routinearbeit, sondern mit Leidenschaft, Begeisterung und Ehrgeiz betrieben hat. Und das schon mit 15 oder 16 Jahren.

KNA: Sie selbst haben durch Ihren Großvater eine Affinität zu dieser Musik.

Poppen: Ja, er war Kirchenmusiker und als junger Mann Assistent von Max Reger. Ich selbst habe Postkarten von Reger an meinen Großvater, die nichts anderes beinhalten als ein Datum und eine Stadt: "29.3. Bamberg", "30.3. Nürnberg", "1.4...". Reger war wohl der absolute Jetsetter und ein echter Workaholic. Mein Großvater war dann Kirchenmusikdirektor in Heidelberg und Gründer des Bach-Vereins. Da hat er sämtliche Bach-Oratorien und auch Mozart-Messen aufgeführt.

KNA: In Zeiten, in denen die Kirchen an Bedeutung und Ansehen verlieren - wie passt da ein so großes sakrales Projekt?

Der Domchor mit Mozarts "Dominicus-Messe" in der Philharmonie unter der Leitung von Christoph Poppen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Domchor mit Mozarts "Dominicus-Messe" in der Philharmonie unter der Leitung von Christoph Poppen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Poppen: Es ist nicht als Werbeprojekt für die katholische Kirche zu verstehen, auch wenn es ein Bekenntnis ist, auch von mir persönlich. Ich bin ein religiöser Mensch. Aber als Musiker haben wir die Aufgabe, die Menschen zu berühren - umso mehr, je mehr Menschen nicht mehr kirchlich sozialisiert sind. Es ist ein Phänomen, dass immer wieder Leuten, die sich gar nicht als religiös empfinden, im Konzert plötzlich die Tränen kommen, weil die Musik etwas in ihrer Seele berührt.

KNA: Was ist bei Mozart besonders anrührend?

Poppen: Jede Messe gipfelt ja im "Dona nobis Pacem", Gib uns Frieden. Interessanterweise formuliert Mozart diese Bitte nicht aus einem Zustand heraus, in dem noch kein Friede herrscht, vielmehr bringt er schon die himmlische Glückseligkeit zum Klingen. Die Bitte erfüllt sich bereits, indem man sie nur ausspricht. Und selbst wenn jemand kein Latein versteht - er spürt diesen Frieden.

Prof. Christoph Poppen, Dirigent des Kölner Kammerorchesters

"Jede Messe gipfelt ja im "Dona nobis Pacem", Gib uns Frieden. Interessanterweise formuliert Mozart diese Bitte nicht aus einem Zustand heraus, in dem noch kein Friede herrscht, vielmehr bringt er schon die himmlische Glückseligkeit zum Klingen."

KNA: Sicher umso wichtiger in Zeiten eines Krieges. Sie selbst geben Benefizkonzerte für die Ukraine. Würden Sie derzeit russische Komponisten ins Programm nehmen bzw. mit russischen Künstlern arbeiten?

Poppen: Ich war einer der ersten Dirigenten, der einen ukrainischen Künstler, Valentin Silvestrov, aufs Programm gesetzt hat. Aber den Schluss mancher Konzertveranstalter oder Kulturmanager, keine russischen Künstler zu engagieren oder keine russischen Komponisten aufzuführen, lehne ich ab. Tschaikowski kann doch nichts dafür, dass Herr Putin jetzt diesen Krieg wollte.

Ich habe viele russische Freunde, von denen keiner an diesen Krieg glaubt. Plötzlich sollen die nicht mehr Musik machen dürfen? Das ist vollkommen absurd. Die Kündigung des russischen Dirigenten Valery Gergiev in München kann ich allerdings nachvollziehen. Künstler, die eindeutig an der Seite von Putin stehen oder standen, müssen sich klar äußern.

KNA: Sie sind auch häufig Gastdirigent in Hongkong. Was erleben Sie da in Sachen Menschenrechte?

Poppen: Nun, Hongkong ist nicht Festland-China, auch wenn es in einer sehr schwierigen Situation ist. Ich bin seit mindestens sechs Jahren regelmäßig dort und sehe, was sich verändert hat. In Hongkong war die Protestbewegung gigantisch, bis 2020 die Sicherheitsgesetze erlassen wurden. Heute wandert jeder, der sich nur auf die Straße begibt, ins Gefängnis. Das ist schrecklich.

KNA: Muss man hier als Künstler Flagge zeigen?

Poppen: Ich habe mich nie in der Rolle verstanden, Menschen oder Länder zu belohnen oder zu bestrafen, indem ich da spiele oder nicht spiele. Sondern ich sehe meine Aufgabe als Künstler darin, mit der Musik Grenzen zu überwinden und Menschen zu vereinen. Ich bin auch Haupt-Gastdirigent in Tel Aviv im Israel Chamber Orchestra. Dass ich jetzt nicht mehr dort spiele, weil ich Israels Palästina-Politik nicht gut finde, fände ich absurd, da ich weiß, dass das Orchester die auch nicht gut findet. So ist es auch mit chinesischen oder russischen Musikern. Und wenn man uns Deutsche auf ewig für unsere Vergangenheit verurteilen würde - wo wäre man denn da?

KNA: Wir stehen kurz vor Pfingsten, dem Fest, an dem der Heilige Geist laut Bibel auf die Erde gekommen ist. Was sagt Ihnen das?

Poppen: Zum oft unterschätzten Fest Pfingsten habe ich musikalisch eine Beziehung entwickelt über Bachs drei Solosonaten für Geige in g-Moll, a-Moll und C-Dur, die er Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist gewidmet hat. Ich glaube fest, dass man sich von dieser geistigen Kraft führen und inspirieren lassen kann. Ich arbeite regelmäßig durch Meditation daran, meine Offenheit und Wachheit zu stärken, auch durchaus in Richtung Heiliger Geist.

KNA: Hat es Sinn, sich mit Blick auf den Krieg an den Heiligen Geist zu wenden?

Poppen: Ich glaube das ehrlich gesagt nicht. Es verzweifeln ja viele Menschen an der Religion, weil sie sagen: "Lieber Gott, wenn du das zulässt, dann kann es Dich eigentlich nicht geben." Aber wie immer man Gott beschreiben mag, er hat uns Menschen einen freien Willen gegeben, insofern sind wir für unsere Kriege schon selber verantwortlich.

Aber: Wenn alle Beteiligten an diesem Krieg - das ist ja nicht nur Wladimir Putin, sondern es sind Hunderttausende - sich bewusst zum Heiligen Geist hinbewegten, dann wäre wahrscheinlich morgen Frieden. Doch das muss schon jeder Einzelne begreifen. Es ist ja nicht wie im Kindergarten, wo die Erzieherin "stopp!" sagt. Sonst hätte da schon früher jemand stopp gesagt.

Das Interview führte Sabine Kleyboldt.

Projekt "Alle Mozart-Messen"

Erstmals soll das gesamte kirchenmusikalische Werk von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) auf Tonträger gebannt werden. Der Chefdirigent des Kölner Kammerorchesters, Christoph Poppen, will gemeinsam mit dem WDR Rundfunkchor, dem Vokalensemble Kölner Dom und dem Kölner Domchor alle 17 Messen aufführen und einspielen. Die Aufnahmen sollen im Frühjahr 2023 abgeschlossen sein und im Herbst 2023 als komplette CD-Box beim Klassiklabel Naxos vorliegen - aufgrund der Pandemie eineinhalb Jahre später als geplant. Der Deutschlandfunk (DLF) ist Kooperationspartner des musikalischen Großprojekts.

 (DR)
Quelle:
KNA