DOMRADIO.DE: In Deutschland klagen wir oft über die zurückgehenden Priesterzahlen und das schwindende Interesse an der Kirche. Sie leben in Schweden dagegen in der Diaspora – in ganz Nordeuropa gibt es nur rund 300.000 Katholiken. Wie macht sich das bemerkbar?
Schwester Anna Mirijam Kaschner (Generalsekretärin der nordischen Bischofskonferenz und Ordensfrau aus Ostwestfalen): Allein die Kirchenräume sind sehr gefüllt bei uns und auch international besetzt. Ein Sonntagsgottesdienst ist bei uns ein Pfingsterlebnis. Wir haben Menschen aus zum Teil 60 verschiedenen Nationen bei uns im Gottesdienst. Die Gottesdienste sind prall gefüllt, die Menschen stehen manchmal bis draußen vor der Tür. Das sind Bilder, die man so aus Deutschland kaum noch kennt.
DOMRADIO.DE: Es gibt weniger Gläubige, aber dafür sind die Kirchen voller: Ist das nicht ein Widerspruch?
Schwester Anna: Das stimmt. Auf den ersten Blick scheint es widersprüchlich. Andererseits sind die wenigen Gläubigen, die wir haben, sehr überzeugte Christen und kommen auch zu den Gottesdiensten; was sich niederschlägt in einer Besucherzahl von etwa 25 Prozent.
DOMRADIO.DE: Müssen die Gläubigen dann auch eine längere Fahrt auf sich nehmen, um zum Gottesdienst zu kommen?
Schwester Anna: Ja, meistens sind es eine oder zwei Stunden – im Norden Norwegens sind es zum Teil auch sieben oder acht Stunden Autofahrt, bevor man zum nächsten katholischen Gotteshaus kommt.
DOMRADIO.DE: Und das machen die Menschen?
Schwester Anna: Nicht jede Woche – das kann man auch nicht verlangen. Aber einmal im Monat kommen sie schon. Dann wird das verbunden mit einem Wochenendausflug, einer Übernachtung bei Freunden oder Verwandten in der Nähe der Kirche. Die Kinder kommen zum Erstkommunion- und Firmwochenende an diesem Wochenende zusammen: Das wird dann ein richtig religiöses Wochenende.
DOMRADIO.DE: Sie sind zuständig für die nordische Bischofskonferenz – das umschließt nicht nur Skandinavien, sondern auch Finnland und Island. Wie unterscheiden sich die Situationen in den einzelnen Ländern?
Schwester Anna: Weil Norwegen und Schweden die höchsten Einwanderungsraten haben, findet man dort auch die am stärksten wachsende Kirche. Dänemark ist nicht mehr so wachsend, wie noch vor einigen Jahren. Finnland und Island sind unsere kleinsten Areale; wobei Finnland nur gut 0,2 Prozent nur hat und auch finanziell sehr bedrängt ist. Immerhin haben wir keine Kirchensteuer - die Gläubigen müssen den Betrag also freiwillig aufbringen. Und das bringt uns immer wieder in Bedrängnis.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.