Das Lamm Gottes kehrt in die Genter Kathedrale zurück

"Christus selbst schaut mir in die Augen"

Er revolutionierte die Ölmalerei und brachte das Licht auf die Leinwand wie kein anderer: Jan van Eyck. Am Samstag öffnet in Gent die größte van Eyck-Ausstellung aller Zeiten. Im Zentrum steht sein restauriertes Altarbild.

Autor/in:
Franziska Broich
Symbolbild Kunst / © Denis Kuvaev (shutterstock)

Ein Dutzend Engel auf einer saftgrünen Wiese, darüber blauer Himmel und eine Taube; doch alle Blicke richten sich auf das Lamm mit den markanten, menschlichen Gesichtszügen im Zentrum. "Als ich zum ersten Mal das restaurierte Lamm sah, dachte ich: Christus selbst schaut mir in die Augen", sagt der Rektor der Genter Kathedrale Saint Bavo, Ludo Collin (69). Er ist hörbar und sichtlich begeistert für das gerade einmal zwölf Zentimeter große Tier auf der "Anbetung des Lamm Gottes" des Renaissance-Malers Jan van Eyck und seines Bruders Hubert aus dem Jahr 1432.

Der Altar, zu dem das Gemälde gehört, hat eine lange Reise hinter sich: Er überlebte den Bildersturm der Calvinisten von 1566 im Versteck, wurde von Napoleon beschlagnahmt, 1821 teilweise an den Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. nach Berlin verkauft und von Hitler konfisziert. Mehrmals wurden die Gemälde übermalt, lackiert, repariert. Zuletzt hatte das Lamm vier Ohren. 2012 begannen Experten mit der Restaurierung. "Dabei haben wir wirklich Außergewöhnliches festgestellt", sagt Chef-Restauratorin Helene Dubois. "An manchen Stellen mussten wir acht Schichten Farbe entfernen, bis wir das Original sehen konnten." Dank dieser vielen Schichten sei das Werk gut erhalten, so Dubois. "Aus den am Anfang vergilbten Tafeln des Altars sind wieder beeindruckende Gemälde entstanden."

Als Kunstexperten wie Professor Maximiliaan Martens von der Universität Gent die Ergebnisse der Restaurierung sahen, war ihnen klar: Dieses bedeutende Werk ist zum ersten Mal seit Jahrhunderten in seinem ursprünglichen Zustand sichtbar; van Eycks Oeuvre erhielt eine neue Bedeutung. "Das Fließen des Lichts auf der Haut der Figuren, die intensiven Farben der Stiftergewänder und die taktile Qualität des fingierten Marmors der Johannesbilder schließen nun deutlicher als zuvor an die anderen Werke van Eycks an", so Martens.

Ausstellung "Van Eyck. Eine optische Revolution"

In der Ausstellung "Van Eyck. Eine optische Revolution" sind nun die restaurierten Tafeln des Altars erstmals zu sehen. Hinzu kommen andere bedeutende Werke wie das "Porträt eines Mannes", "Madonna am Brunnen" oder die "Verkündigung" sowie Gemälde von Künstlern, die van Eyck beeinflusste. "Van Eyck hat die Ölmaltechnik revolutioniert, indem er der Farbe Sikkative zumischte", sagt Martens. Sikkative lassen die Farbe schneller hart werden. Damit konnte van Eyck Stoffe, Edelsteine und strömendes Wasser noch besser malen.

Hinzu kommt laut Martens van Eycks "außergewöhnliche" Beobachtungsgabe sowie die präzise, detailgetreue Darstellung. Steine, Pflanzen und Vögel habe der Künstler so genau gemalt, dass Naturwissenschaftler Rückschlüsse auf Flora und Fauna von damals ziehen könnten, sagt der Experte, der sich bereits über 35 Jahre mit dem Renaissance-Maler beschäftigt.

Welches Interesse van Eyck an der Darstellung von Licht hatte, zeigt die ausgestellte Tafel des Altars mit dem Erzengel Gabriel. Die blauen Broschen brechen das Licht, die Flügel werfen einen zarten Schatten an die Wand, und die Falten im weißen Gewand lassen den Engel noch plastischer wirken. "Das Beobachten der Realität gab van Eyck einen Einblick in die Schöpfung Gottes", so Martens.

Verweise auf das Christentum

Van Eycks Bilder strotzen von Symbolen und Verweisen auf das Christentum. Fliesen und Säulen erzählen bei ihm oft Szenen aus der Bibel wie etwa in dem Gemälde "Verkündigung". Die Verbindung des Genter Altars als Kunstwerk mit dem Glauben stellt für Pfarrer Collin auch eine Herausforderung dar. Nur noch fünf Prozent der Einwohner Gents seien praktizierende Christen. "Die meisten Besucher des Gemäldes kommen von anderen Kontinenten", sagt der Geistliche. Sie hätten oft nur wenig Wissen über das Christentum. "Den Besuchern zu erklären, was das Lamm im christlichen Kontext von damals bedeutet, ist nicht einfach." Auch für Christen sei heutzutage das Kunstwerk nicht selbsterklärend. "Wenn wir von der Eucharistie reden, denken wir an das letzte Abendmahl. Im Mittelalter nach der Theologie von Thomas von Aquin stand bei der Eucharistie der Opfergedanke mehr im Mittelpunkt, deshalb auch das Lamm", so Collin.

Um den Kontext des Gemäldes besser erklären zu können, wird an der Kathedrale Saint Bavo für 30 Millionen Euro angebaut. Es entsteht ein barrierefreies Besucherzentrum. Zudem wird die Kapelle über der Krypta renoviert. "Mir war wichtig, dass das Gemälde auch in Zukunft in der Kathedrale steht und nicht in einem Nebenraum", sagt "Hausherr" Collin.

Ab Oktober wird das Retabel in einer Glasvitrine in der renovierten Kapelle zu sehen sein. Bis dahin finden in Gent zahlreiche kulturelle Veranstaltungen im Rahmen des "Van Eyck-Jahres" statt. Es gibt Pralinen mit den Geschmäckern aus der Zeit des Künstlers, Street Art inspiriert von dem Renaissance-Maler, eine Lichtshow mit van Eyck-Gemälden und ein Mittelalter-Festival.


Quelle:
KNA