DOMRADIO.DE: Frau Böhme-Barz, der Shutdown ab Mitte März hat viele Arbeitsbereiche zum Erliegen gebracht. Das Stiftungszentrum ist sonst ein lebendiger Organismus, der viel von Kontakt und Austausch mit den Stiftern, aber auch denjenigen lebt, die auf finanzielle Unterstützung einer Initiative oder eines Projektes von außen angewiesen sind. Und immer geht es dabei um Menschen, die sonst auf der Strecke bleiben würden. Was bedeutet die Corona-Krise aktuell für das Stiftungswesen?
Elke Böhme-Barz (Leiterin des Stiftungszentrums im Erzbistum): Wir hatten zu keinem Zeitpunkt Gelegenheit zur Entschleunigung. Eher im Gegenteil. Denn das Virus hat ziemlich schnell die ganze Palette menschlicher Not offengelegt und uns mit vielen Anfragen in die Pflicht genommen. Kinder, die sonst in der Schule ein Frühstück bekommen, fühlten sich zuhause wie eingesperrt und erlebten damit noch unmittelbarer als sonst, was es heißt, wenn die eigenen Eltern zum Beispiel nicht für eine ausreichende Ernährung sorgen können. Alte Menschen, die sonst schon über Einsamkeit klagen, sind in eine vollständige Isolation geraten. Und Arme, die auf die Tafel angewiesen sind, wussten nicht, woher sie auskömmliche Lebensmittel für ihren täglichen Bedarf bekommen. Bei vielen dieser Menschen geht es um finanzielle Not. Sie wussten nicht, wie sie den Monat überstehen.
Letztlich hat Corona viel verschämte Armut aufgedeckt. Und das in einer ansonsten doch sehr durchgetakteten Welt, in der es vorrangig bei vielen um höher, schneller, weiter geht: also um eine Optimierung des eigenen Lebensstandards. Und mit einem Mal legt eine Pandemie unser Leben lahm, und wir werden mit Macht darauf gestoßen, was wirklich wichtig ist im Leben: nämlich Beziehungen. Das merken wir allein schon an unserer Sehnsucht, mit anderen persönlich in Kontakt zu sein und sie nicht nur per Video-Konferenz zu zoomen. Von daher waren wir im Stiftungszentrum rund um die Uhr damit beschäftigt, Lösungen für manche akut vorgetragene Not zu finden und deshalb mit unseren Stiftern im engen Kontakt zu bleiben.
DOMRADIO.DE: Was heißt das konkret?
Böhme-Barz: Der Lockdown war ja zunächst so etwas wie eine Stunde Null, mit der wir erst einmal umgehen mussten, um dann herauszufinden, was das mit den Menschen macht. Uns hat dabei sehr geholfen, dass wir in einem freundschaftlichen Miteinander zu unseren Stiftern stehen und über ein funktionierendes Netzwerk verfügen. Ich versende regelmäßig Mails unter der Überschrift "Verbunden sein", um mit der Stiftergemeinschaft in Verbindung zu bleiben. Auch die Stifter ihrerseits fragen nach, wie sie in dieser Situation helfen können und wo akuter Handlungsbedarf besteht. Normalerweise hat ja jemand, der gesellschaftlich voll aktiv ist, wenig Zeit, sich zu engagieren oder zu kümmern – das übernehmen in der Regel wir für die Stifter.
Aber mit einem Mal nutzten die Leute eben diese Auszeit, um einmal über sich selbst hinaus – eben globaler – zu denken. Und wir sind dann die Koordinationsstelle, die die Antrag stellenden Institutionen mit denen, die Not lindern wollen, vernetzen. Unser Anliegen ist, Lösungen zu finden. Aber am Ende geht es eigentlich immer um Beziehungen. Denn das Stiftungswesen lebt davon, dass Menschen miteinander in Beziehung sind, ihre Geschichten erzählen und uns von ihren Ideen, die sie mit einer Stiftung verknüpfen wollen, berichten.
DOMRADIO.DE: Jährlich sind es in der Summe etwa 200 Förderanträge, die beim Stiftungszentrum eingehen. Im Moment erreichen Sie fast täglich Anfragen und Anträge, auch bei vielen kleinen Projekten zu helfen. Wie gehen Sie damit um?
Böhme-Barz: Es sind ja nicht immer nur große Summen, die gefragt sind. Auch mit vielen kleinen lässt sich schon akute Not lindern – wenn ich da zum Beispiel an Sr. Ancilla aus dem Kölner Karmel denke, bei der Hilfebedürftige regelmäßig an der Klosterpforte klopfen und sie dann aus ihrer Schürze 10- oder 20-Euro-Gutscheine für Lebensmittel holt. Natürlich standen jetzt in der Corona-Zeit noch einmal mehr Leute vor ihrer Tür. Und da hat eine Stifterin, der ich davon erzählt habe, sofort gesagt: Dafür stelle ich eine große Spende zur Verfügung. Ihr hat einfach diese alte Tradition gefallen, dass früher Bettler bei den Klöstern klingelten und darauf vertrauen konnten, hier nicht abgewiesen zu werden, sondern Hilfe zur Überbrückung akuter Not zu erfahren.
Oder: Der Nachbarschaftshilfe "Kölsch Hätz" haben wir aus dem Erzbischöflichen Hilfsfonds Geld für Lebensmittelgutscheine zur Verfügung gestellt; für Menschen, die sonst von der Tafel bedient werden, deren Rente aber ohne die Unterstützung der Tafel vorne und hinten nicht mehr reichte. Wir helfen also nicht nur im großen Stil, sondern können mit wenig an vielen kleinen Stellen schon viel bewirken. Von solchen Geschichten, hinter denen sich immer konkrete Gesichter verbergen, könnte ich einige erzählen…
DOMRADIO.DE: Nämlich?
Böhme-Barz: Der SKFM Monheim hat einen Antrag auf Einrichtung eines mobilen Tafeldienstes zur Unterstützung älterer chronisch erkrankter oder obdachloser Menschen gestellt. Diese Anfrage haben wir umgehend mit 1000 Euro gefördert, damit Ehrenamtliche am Ort sofort Tüten mit Lebensmitteln packen und an Menschen, die Hunger haben, ausliefern konnten. Oder der Kölner Caritasverband benötigt für seine Altenzentren mobile Tablets, um in Zeiten von Corona und der nur allmählich aufbrechenden Kontaktsperre für alte Menschen das Gefühl sozialer Isolation zu verringern und die Kommunikation mit deren Angehörigen zu fördern. Nun können sie mit ihren Kindern und Enkeln auch skypen. Gerade für immobile und bettlägerige Bewohner ist das eine enorm wichtige Möglichkeit der Kontaktpflege. Diese Initiative haben wir mit 2.500 Euro gefördert.
Der Pfarreiengemeinschaft Frechen konnten wir mit 5.525 Euro aus den Mitteln der Kardinal-Meisner-Stiftung dabei helfen, ein motorisiertes Lastendreirrad mit einer Kastenladefläche anzuschaffen, damit ein Team von ehrenamtlich Engagierten eine mobile Nachbarschaftshilfe aufbauen kann. Gerade alleinstehenden Senioren oder alleinerziehenden Eltern fehlt ein Anlaufpunkt, ihren Bedarf für Hilfe und Unterstützung im Alltag anzumelden. Ziel ist es, diese Menschen über eine mobile Nachbarschaftshilfe als caritative Kirche nach Gottesdiensten, auf Pfarrfesten, bei Patrozinien oder auf Märkten zu erreichen und bei Hilfebedarf zu vermitteln. Der Anhänger ist mit einem Stehtisch, Sitzgelegenheiten und Sonnenschirm ausgestattet. Wenn Kaffee, Gebäck und Getränke angeboten werden, entsteht auf diese Weise ein niedrigschwelliger Zugang zu den Menschen.
DOMRADIO.DE: Aber es geht ja nicht immer nur um Anschaffungen…
Böhme-Barz: Sowieso nicht. Aktuell liegt uns ein Antrag aus der Hochschulpastoral vor. Hier wird darum gebeten, Studierenden aus dem Ausland, die neben ihrem Studium erwerbstätig sind, jetzt aber ihre Aushilfsjobs verloren haben oder auch wegen des ruhenden Lehrbetriebs zurzeit nicht als studentische Hilfskräfte arbeiten können, finanziell mit einer nicht unerheblichen Summe aus dem Erzbischöflichen Studienfonds unter die Arme zu greifen, damit sie ihr Studium in Deutschland nicht abbrechen müssen. Was im Übrigen ein Problem ist, das sich zeitversetzt in der zweiten Jahreshälfte – laut Antragsteller – noch verschärfen wird. Hier ist noch unsicher, was damit passiert, weil auch unsere Mittel – Zinsen aus zweckgebundenen Nachlässen – begrenzt sind.
DOMRADIO.DE: Nach welchen Kriterien entscheiden Sie so etwas? Und was bedeutet in diesem Zusammenhang das von Ihnen genannte Stichwort der "Vernetzung", das Sie für Ihre Arbeit als ganz wesentlich erachten?
Böhme-Barz: Über die Mittelverwendung entscheidet das dafür zuständige Kuratorium. Wir bereiten diese Entscheidungen jeweils mit unseren Fachabteilungen vor. Wie gesagt, unsere Arbeit lebt von Beziehungen, aus denen wir ein Netzwerk bilden. Das heißt, Menschen vertrauen uns ihr Vermögen an, damit wir in ihrem Sinne etwas Sinnvolles damit tun. Oft tragen sie Jahre und Jahrzehnte den Wunsch in sich, eine Stiftung ins Leben zu rufen. Aber eine Stiftung fällt nicht vom Himmel. Immer hat sie mit einer Lebensgeschichte zu tun, immer ist sie eine Herzensangelegenheit. Stifter geben durch die Gründung einer Stiftung etwas an die Gesellschaft – als Dank und als Zeichen ihrer Zuversicht. Damit schaffen sie etwas Nachhaltiges, Sinnhaftes. Diejenigen, die gestiftet haben, sind beseelt davon. Und es liegt in unserer Verantwortung, in ihrem Sinne Gutes damit zu tun. Dafür prüfen wir genau, wohin das Geld geht. Denn viele der Menschen, die uns vertrauen, kennen wir ja persönlich. Und dieses Vertrauen wollen wir nicht enttäuschen.
Genauso verhält es sich mit den vielen uns überantworteten Nachlässen, die fast immer zweckgebunden sind und die wir treuhändlerisch verwalten. Gerade sie ermöglichen uns zusammen mit einigen Schenkungen, über die wir verfügen, vielen Menschen, die jetzt unverschuldet in Not geraten sind, wirksam zu helfen. Das lindert die allergrößte Not und sorgt für viel unerwartete Entlastung.
DOMRADIO.DE: Mit "Stiften" oder "Stiftung" verbinden viele sonst eher einen technokratischen, notariellen Vorgang, der ausschließlich wirtschaftlich potente Eliten betrifft…
Böhme-Barz: Dabei spielt gerade in eine Stiftung, die nicht nur mit einem großen Bankkonto möglich ist, ganz viel Herzblut hinein. Stiften ist etwas zutiefst Menschliches, weil jemand über seinen Tod hinaus mit einer Idee lebendig bleiben will und mit seinem Anliegen weiterwirken kann. Und wie gesagt, es geht nicht immer nur um Förderung im großen Stil, sondern auch um die vielen, vielen kleinteiligen Hilfen, die oft große Freude an Stellen schenken, wo man es gar nicht vermuten würde.
Die Corona-Krise lehrt uns gerade, dass es morgen am Tag jeden treffen kann – unabhängig von Status, Religion, Hautfarbe oder Geschlecht – und dieses Virus uns ohnmächtig macht. Gleichzeitig erleben wir, wie kreativ die Menschen in einer Mangelsituation werden, wenn sie mit einem Mal durch nichts mehr abgelenkt werden und sich ihrer Sehnsüchte – auch der, den anderen im Blick zu behalten und sich für ihn einzusetzen – wieder neu bewusst werden. Das ist eine große Chance: für die Kirche grundsätzlich, aber auch für unsere Arbeit im Stiftungszentrum, mit der wir erst recht in einer solchen Zeit viel Gutes bewirken können. Auch und gerade, weil sich im Moment alle darauf besinnen, was wirklich wesentlich im Leben ist.
DOMRADIO.DE: Machen Sie die Beobachtung, dass dazu gehört, Gutes zu tun?
Böhme-Barz: Barmherzigkeit gehört jedenfalls zur genetischen Programmierung des Menschen. Wir erleben immer wieder, wie es die Menschen beseelt und froh macht, wenn sie anderen einen Ausweg aus einem dunklen Tunnel eröffnen. Ja, Gutes tun gehört zu unserem fundamentalen Auftrag als Christen. Und da haben wir angesichts der Corona-Pandemie, von der niemand weiß, wann sie endet, noch eine ganze Menge Arbeit vor uns. Denn die Not geht ja weiter – gerade auch weil keiner so genau weiß, ob und wie Covid-19 dauerhaft unseren Alltag beherrschen wird.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti (DR)