DOMRADIO.DE: Benedikt und Franziskus im Kino – Sie haben den Trailer gesehen. Was halten Sie davon?
Ulrich Nersinger (Journalist und Vatikan-Experte): Der Trailer ist ein echter Appetizer, ein Appetithäppchen, das Lust auf mehr macht. Ich bin mehr als nur neugierig auf den Film.
DOMRADIO.DE: Netflix selber schreibt dazu: "Der amtsmüde und in sich gekehrte deutsche Papst Benedikt bestellt seinen härtesten Kritiker zu sich nach Rom, um ihm ein Geheimnis zu offenbaren, das die Grundfesten der katholischen Kirche erschüttern wird." Besteht da nicht die Gefahr darin, dass man durch diese Dramatisierung einen Konflikt heraufbeschwört, den es eigentlich nicht gibt?
Nersinger: Das glaube ich eigentlich nicht. Man muss natürlich sehen: Ich kann einen Film nur bewerben, wenn ich ihn etwas überspitzt anlege und auch die Werbung etwas dramatisiere. Aber ich denke, dass das Leben das Leben im Vatikan und auch die Angelegenheit Benedikt und Franziskus eine Dramatik in sich trägt, die doch mehr als nur echt ist.
Vor vielen Jahren, als ich in Rom studierte, sagte mir ein altgedienter römischer Kurial: "Manchmal ist es so, dass die Fiktion dann die Realität einholt und wirklich zur Realität wird." Ich würde die Welt des Vatikans nicht als etwas Ruhiges – wie ein Fischteich – ansehen, sondern da geht es ganz schön rund.
DOMRADIO.DE: Ich habe es am Anfang gesagt: Es ist einer von zwei Filmerzeugnissen, die diese Woche Premiere feiern. Auch die zweite Staffel der Serie "The Young Pope" wird vorgestellt. Die zweite Staffel heißt jetzt "The New Pope", der neue Papst, und stellt Jude Law als Pius XIII. jetzt einen Gegenpapst gegenüber. John Malkovich spielt Johannes Paul III. Da wird eine fiktive Geschichte erzählt. Finden Sie das besser oder schlechter?
Nersinger: Ich denke, das eine ganz andere Herangehensweise. Die ersten Staffel hat mich fasziniert – aber sie hat mich auch etwas verstört, weil es natürlich eine ganz andere Art und Weise ist, ein solches Thema zu erfassen. Ich würde diese Serie in den Bereich "Experimenteller Film" hineinnehmen, weil es etwas ganz Neues ist. Sie stellt die übliche Darstellung in einer Filmserie doch etwas in Frage.
DOMRADIO.DE: Sie sind Experte. und beraten auch selber solche Filmproduktionen in Sachen Papst und Vatikan. Wie kann man sich das vorstellen?
Nersinger: Es ist immer ein sehr schwieriges Unterfangen, einen solchen Film oder eine solche Produktion zu beraten. Da müssen viele Sachen zusammenkommen: Der Regisseur und der Produzent haben natürlich manchmal ganz andere Vorstellungen. Sie kommen aus der Filmwelt und wollen natürlich etwas bringen, was die Leute interessiert – was die Leute auch von ihrem Budget her interessieren muss. Da muss ich natürlich überspitzen. Da muss ich manche Darstellungen in einer Art und Weise bringen, dass sie doch überraschen und die Zuschauerinnen und Zuschauer ansprichen.
Das ist natürlich manchmal nicht so ganz mit der Realität in Einklang zu bringen. Am besten ist es, wenn man dann eine richtige Chemie findet zwischen Regisseur, Produzent und Berater. Ich muss dann als Berater natürlich auch sehen: Ich kann nicht all das, was ich anmerken möchte auch durchbringen – weil die filmischen Gegebenheiten etwas anderes erfordern. Ich muss auch an ein Budget denken. Ich kann mich gut daran erinnern: Als ich den Film "Gottes mächtige Dienerin" beraten habe, da kam als erstes der Produzent auf mich zu und sagte: "Ach, Sie sind also derjenige, der uns an den Rand unseres Budgets bringt." Das lag daran, dass ich Vorschläge für die Kostüme gemacht habe. Es ist gar nicht so einfach, ein solches Produkt richtig gut zustande zu bringen.
DOMRADIO.DE: Fällt Ihnen eine Geschichte ein, bei der Sie gesagt haben: "Das ist so unrealistisch, das könnt Ihr nicht machen"?
Nersinger: Ich hatte das Glück, dass die Chemie zwischen uns allen stimmte und ich dann doch bei manchen Punkten überzeugen konnte. Aber ich musste natürlich auch mal eine Konzession machen, weil es einfach nötig war, um den Film überhaupt zustande zu bringen. Es gibt natürlich Sachen, bei denen man sagt: "Diese Kleidung kann man nicht nehmen" oder "Das passt nicht" oder "Das war nicht in dieser Zeit üblich". Aber wenn man sich selber auch zurücknimmt, wenn man es gut begründen kann, dann lässt sich das durchaus realisieren.
DOMRADIO.DE: Herr Nersinger, Sie haben ja Einblick in den Vatikan. Was denken denn eigentlich die Protagonisten, die Kurie, die Bischöfe, die Kardinäle im Vatikan von solchen Filmen?
Nersinger: Wenn wir uns als Hacker betätigen würden und uns den Browserverlauf auf einigen Computern im Vatikan anschauen würden, dann würde man vermutlich feststellen, dass das Interesse sehr hoch ist. Das ist ja etwas, was praktisch vor der Haustür oder sogar im eigenen Haus geschieht. Da schaut man schon drauf – auch wenn man das vielleicht in der Öffentlichkeit und der Presse gegenüber nicht so sagt. Aber ich denke, das Interesse ist sehr, sehr groß.
DOMRADIO.DE: Im letzten Jahr hatten wir den Dokumentarfilm von Wim Wenders "Papst Franziskus. Ein Mann seines Wortes." Warum ist die Hollywoodwelt so fasziniert vom Vatikan und vom Papst?
Nersinger: Der Zuschauer hat eine Institution vor sich, die über zweitausend Jahre alt ist und die seit zweitausend Jahren ununterbrochen interessiert. Die bringt natürlich auch immer etwas Geheimnisvolles mit sich – denken wir an das Konklave und an die einzelnen Geschehnisse im Vatikan. Das ist natürlich ein Thema, das auch Außenstehende reizt und über das man gerne mehr wissen möchte.
DOMRADIO.DE: Hat das vielleicht auch etwas mit der Popularität von Papst Franziskus zu tun?
Nersinger: Ich denke schon. Das hat auch damit zu tun, dass wir ein gewisses Konfliktpotenzial sehen. Wir sehen ja die Ansichten zweier Päpste, die nicht immer einer Meinung sind – auch wenn wir von offizieller Seite oft hören, dass zwischen die beiden kein Blatt passt. Ich denke aber, dass das nicht die Realität ist. Diese Möglichkeit eines Konfliktes interessiert natürlich. Man fragt sich dann: "Wer wird in der künftigen Kirchengeschichte das Sagen haben? Was wird das verändern?" Das ist schon das sind schon Fragen, die die Leute dann auch über das Aktuelle hinaus interessieren.
DOMRADIO.DE: Das sind ja im Prinzip die gleichen Fragen, die bei einem Politikdrama eine Rolle spielen. "Was steckt hinter den verschlossenen Türen der Macht? Was ist bei den Entscheidungsträgern los?"
Nersinger: Das kann man durchaus vergleichen. Kirche ist ja nicht losgelöst vom allgemeinen Leben und von der Politik. Es gibt zahlreiche Berührungspunkte. Das ist etwas, was das Leben in unserer Welt widerspiegelt.
DOMRADIO.DE: Diese Idee, den Papst und den Vatikan im Kino zu thematisieren, das ist nichts Neues, oder?
Nersinger: Nein. Die Päpste sind relativ früh auf die Leinwand zugegangen. Die ersten Filmaufnahmen, die wir haben, sind aus dem aus dem 19. Jahrhundert. Die Gebrüder Lumière sind extra nach Rom gereist, um Papst Leo XIII. aufzunehmen, der dann recht professionell in die Kamera hinein winkt.
Aber wir haben natürlich auch Spielfilme, die sehr früh und auch sehr innovativ waren. Wir haben zwei Filme, die sehr bekannt sind: Einmal "Der veruntreute Himmel", die Verfilmung des Romans von Franz Werfel, der im Jahr 1958 gedreht wurde. Er nimmt eine Audienz Papst Pius XII. mit in den Film hinein – mit Genehmigung des Papstes. Ähnliches haben wir ungefähr zehn Jahre später. Da gibt es diesen wirklich faszinierenden Film "In den Schuhen des Fischers", in dem Anthony Quinn den Papst spielt. Auch hier gab der Vatikan die Erlaubnis, Originalaufnahmen vom Zweiten Vatikanischen Konzil, von liturgischen Feiern,mit hinein zu nehmen. Das ist damals durchaus ein Zusammenwirken von Filmwelt und Kirche gewesen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie eine Lieblingsdarstellung des Papstes im Kino?
Nersinger: Oh, das ist schwer zu sagen. Da gibt es einiges. Man muss unterscheiden zwischen Personen, die wirklich gelebt haben und denjenigenen, die fiktiv sind. Es gibt eine Reihe von Papstdarstellungen, die mir sehr gut gefallen. Im Großen und Ganzen fühle ich mich eigentlich wohl mit diesen Darstellungen. Sogar in oft kritisierten Filmen wie "Illuminati" von Dan Brown finden sich eigentlich ganz sympathische Züge. Sie sind nicht in erster Linie kirchenfeindlich, sondern regen durchaus an, sich näher mit der Geschichte der Kirche zu beschäftigen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.