DOMRADIO.DE: Hagar und Rebekka, Lea und Rahel, Dina und Tamar, Mirjam und Zippora. Rahab und Delila. Das sind nur ein paar Namen von Mädchen, die in der Bibel vorkommen. Manchmal werden sie aber auch gar nicht mit Namen genannt, sondern werden nur als "Tochter von", "Frau von" oder "Magd von" bezeichnet. Trotzdem müssen aber all diese Mädchen dabei gewesen sein. Sie haben gearbeitet, beraten, getröstet, gestärkt. Recht und Unrecht getan, Recht und Unrecht verhindert. Wie sind Sie darauf gekommen, biblische Mädchengeschichten zu erzählen?
Martina Steinkühler (Religionspädagogin und Autorin): Ich erzähl ja schon mein Leben lang und hier habe ich wirklich gespielt, also experimentiert und probiert. Gespielt aber in einem ganz ernsthaften Sinn, wie man spielt, um den Umgang mit Lebenswichtigem zu erlernen oder um hinter die Sache zu schauen, sich vertraut zu machen und einen Zugang zu finden.
Da sind nun diese alten Lebensweisen-Texte in der Bibel und diese gewaltigen Gestalten. Glaubenshelden wie Abraham, David, Jesus. Auch durchaus Frauengestalten, aber weniger. Sara und Rebekka sind mir zuerst eingefallen und Maria. Was hat man mit denen schon alles angestellt? Predigten, Auslegungen, Romane geschrieben, Filme gedreht. Die sind ziemlich hoch im Himmel, aber sie sind auch kritisiert worden, entzaubert oder auch in andere Geschichten übertragen worden. Was haben wir gefühlt? Wie haben die sich wohl gefühlt? Oder hat man auch schon mal so gefühlt? Solche Fragen behandeln wir gerne in der Grundschule.
Ich suchte eigentlich was anderes. Ich wollte rein in die Geschichte. Aber nicht ganz dicht ran an diese großen Gestalten, sondern irgendwie dabei sein, aber nicht unmittelbar betroffen. Eher unbeachtet, ungefragt, aber dann umso mehr. Da kommt jetzt dieser Satz "Da müssen doch Mädchen gewesen sein" zum Tragen. Mir als einem schon recht alten Mädchen liegt dieser Gedanke dann auch nahe "Da müssen doch Mädchen gewesen sein", diese Dienerinnen, diese Mägde. Manche sagen auch Sklavinnen. Wie haben die das eigentlich erlebt? Abrahams Berufung und Mose am Schilfmeer oder David und Goliath? Die Heilungen, die Auferstehung. Wie empfindet man eigentlich Gott und Wunder und Religion, wenn man am Rand steht? Man ist schon dabei, aber eben nicht ganz.
Ich fand, dass es eine wunderbare Freiheit ist, auch mal unkonventionell zu denken. Ich sage jetzt mal nicht ketzerisch, ich meine es auch nicht böse, sondern einfach überrascht, erstaunt. Ist das nicht vielleicht auch ganz nahe an unserer heutigen Position gegenüber Religion, Gott und Glaube?
DOMRADIO.DE: Also mit diesen Mädchen haben Sie sich befasst, die es ja alle in irgendeiner Form gegeben hat. Können Sie uns ein Beispiel nennen, was Sie da beschrieben haben?
Steinkühler: Eine Lieblingsgeschichte von mir im Alten Testament ist die Liebesgeschichte von Jakob und Rahel. Die Bibel ist ja immer recht spröde und wenn da steht "Er sieht sie an und gewinnt sie lieb" und wenn er dann später sagt, dass er für sie sieben Jahre arbeitet und das für ihn wie sieben Tage ist, habe ich ein ganz starkes Gefühl für diese Liebesgeschichte entwickelt, aber auch Respekt.
Ich habe mir überlegt, dass da ein Mädchen ist, das Rahel zu ihrem Fest des Erwachsenwerdens geschenkt bekommen hat, so wie das damals mit Leibeigenen war. Und dieses Mädchen erlebt diese Liebesgeschichte aus ihrer Position mit, die eben nicht ganz dabei ist, vielleicht auch ein bisschen neidisch, vielleicht auch ein bisschen erstaunt. Dieses ganze Drama von Rahel und Jakob bekommt plötzlich Leben aus diesen Andeutungen, die ich in der Bibel finde.
DOMRADIO.DE: Erzählt werden die Geschichten in der Ich-Form. Warum sind Sie da so herangegangen?
Steinkühler: Das liegt für mich ganz nahe. Erst mal bin ich ja auch ein Mädchen, ich wollte da rein und ich kann das auch so gut verstehen. Das habe ich auch im Schreiben immer besser verstehen können. Ich glaube, dafür ist dieses "Ich" einfach ein guter Zugang.
DOMRADIO.DE: Für wen haben Sie diese Geschichten geschrieben?
Steinkühler: Das ist eine einfache Antwort: Mädchenbibel steht drauf - von Mädchen für Mädchen sozusagen. Aber in der Tat, ist es natürlich ein längerer Prozess, sich genau zu überlegen, für wen die eigentlich passt. Ich habe ja vorhin immer von mir erzählt und wie es mir ergangen ist beim Erzählen. Wenn ich wirklich gut schreiben will, dann schreibe ich erst mal für mich. Und dann ist der zweite Gedanke, an wen ich das richte.
Mit dem Verlag habe ich mich darauf geeinigt, dass wir es ab zwölf Jahren machen. Man kann sich auf eine Geschichte einlassen und es dann erst mal wieder weglegen, so wie einen Sammelband. Aber meine ideale Leserin, die ich mir vorstelle, wäre ein leseerfahrenes und neugieriges Mädchen, ganz egal ob mit oder ohne religiöse Vorkenntnisse. Es soll zum Festlesen sein, so richtig von vorne nach hinten, sich so richtig reinziehen lassen in den Strom der Erfahrungen vom Aufbruch Saras und Hagars bis ins Licht der Ostersonne, habe ich mal gedacht. Tatsächlich muss man damit dann am Ende auch etwas anfangen können.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihre Botschaft? Was möchten Sie mit diesen Geschichten erreichen?
Steinkühler: Erreichen ist eigentlich kein gutes Wort. Eine Erzählung hat ja erst mal ihren Wert an sich, da ist was für jeden drin. Lebensweisheit habe ich am Anfang mal gesagt. Aber ich habe verschiedene religionspädagogische Prägungen, ich bin auch im Osten viel unterwegs gewesen.
Mit Religion etwas anfangen können, also überhaupt begreifen, dass sowas mit zum Leben dazugehören könnte. Und das eben in diesem schönen Kontext biblischer Erzählungen. Das ist schon was, wo ich denken würde, das man beim Lesen ein Gefühl dafür bekommt. Das heißt jetzt nicht, dass ich mich morgen taufen lasse, aber ich halte es nicht mehr für so absurd oder es interessiert mich auch. Es ist attraktiv.
DOMRADIO.DE: Haben Sie da noch weitere Ideen? Also gibt es noch mehr Bibelgeschichten, die Sie vielleicht mal neu erzählen möchten?
Steinkühler: Ich hätte jede Menge Ideen. Ich habe jetzt erst mal die geläufigeren Erzählkomplexe genommen. Es gibt aber auch noch so Schätze zu bergen, das musste ich mir dann leider verkneifen. Ich habe auch nichts aus der Urgeschichte, das ist auch schade. Aber wenn ich mir das Cover von meiner Bibel angucke, dann ist da ein Mädchen drauf mit geschlossenen Augen, so ein bisschen versunken und mit Ohrhörern auf. Sie hat dann so Denkblasen um den Kopf mit den biblischen Gestalten. Ich denke das ein Hörbuch eigentlich der nächste logische Schritt wäre.
Das Interview führte Carsten Döpp.