Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sieht dramatische Folgen der Corona-Pandemie für die Entwicklungsländer: "Wir haben den stärksten Anstieg bei der Armut seit 1998. Es sind mehr als 88 Millionen Menschen durch die Pandemie zusätzlich in Armut geraten", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag): Corona mache außerdem Bildungserfolge der letzten zwei Jahrzehnte zunichte: "Viele Kinder bleiben bei der Lesekompetenz unter dem Mindestniveau. Kinderarbeit, Kinderehen und Teenagerschwangerschaften nehmen enorm zu."
Zudem breiteten sich Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder Aids im Schatten von Corona stärker aus, weil sie schlechter erkannt und behandelt werden könnten. "In den Entwicklungsländern sterben mehr Menschen an den Folgen der Pandemie als an Covid-19 selbst", sagte Schulze: "Die Ärmsten leiden am stärksten."
"Rasanter Anstieg der Neuinfektionen"
Angesichts der aktuellen Omikron-Variante werde auch deutlich, dass Länder mit niedrigen Impfraten und einem schwachen Gesundheitssystem "einen rasanten Anstieg der Neuinfektionen" erlebten. Es besteht eine erhebliche Gefahr, dass noch mehr Mutationen entstehen könnten.
Schulze plädiert dafür, Entwicklungsländer beim Aufbau einer eigenen Impfstoffproduktion zu unterstützen. Arme Länder sollten nicht als "Resterampe für abgelaufene Impfstoffe" behandelt werden und "nicht mehr auf Impfstoffspenden angewiesen" sein, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag).
Dabei lehnt die Politikerin die Freigabe von Impfstoff-Patenten ab: "Ich bezweifle, dass die Entwicklungsländer leichter an Impfstoffe herankommen, wenn wir die Patente freigeben." Hilfreich seien dagegen Unternehmenspartnerschaften. Es gehe um Produktion in Lizenz. Das Know-how dafür müsse in die Länder weitergegeben werden.
Kritik an Spenden von Impfstoffdosen
Der Startschuss für eine eigene Produktion müsse in diesem Jahr fallen, fügte Schulze hinzu: "Dafür werbe ich auch in der EU und im Rahmen unserer G7-Präsidentschaft." Deutschland habe bereits mehr als 500 Millionen Euro für Auf- und Ausbau der Impfstoffproduktion in Afrika zur Verfügung gestellt, ergänzte sie - und kündigte weitere Investitionen an: "Es reicht ja nicht, eine Fabrik hochzuziehen. Sie brauchen auch die Rahmenbedingungen, von gut ausgebildeten Fachkräften vor Ort bis zu funktionierenden Regulierungsbehörden."
Schulze kritisierte Spenden von Impfstoffdosen mit geringer Haltbarkeit an Entwicklungsländer: "Es geht einfach nicht, Impfstoffe zu spenden, die kurz vor dem Ablaufen sind. Das hat nichts mit respektvollem Umgang miteinander zu tun. Afrika ist nicht die Resterampe für abgelaufene Impfstoffe."
Notwendig seien "planbare Lieferungen, um die Vakzine auch verimpfen zu können", forderte sie außerdem: "Wenn sich das nicht schnell ändert, geht in diesen Ländern viel Vertrauen verloren." Darum wolle sie die deutsche G7-Präsidentschaft nutzen, die globale Impf-Allianz Covax mit den nötigen Mitteln auszustatten.
Impfquote von unter zehn Prozent
Bisher beteiligten sich zu wenige Länder an der Finanzierung der globalen Impfkampagne, kritisierte Schulze: «Neben Schweden, Norwegen, Kanada und den USA sind wir diejenigen, die am meisten geben. Die anderen Industriestaaten haben erheblichen Nachholbedarf.»
Die Ministerin beklagte, dass die Impfungen global sehr ungleich verteilt seien. "In Europa liegt die Impfquote bei 70 Prozent, auf dem afrikanischen Kontinent unter zehn Prozent. Wir können diese Pandemie nur besiegen, wenn wir die ganze Welt impfen. Gelingt dies nicht, gehen wir in eine Endlosschleife mit immer neuen Mutationen."