DOMRADIO.DE: Was haben Sie empfunden, als Sie von dem Anschlag in Halle an der Saale gehört haben?
Monsignore Robert Kleine (Kölner Stadtdechant): Es war ja zunächst nicht ganz klar, wem der Anschlag gilt. Als sich dann herauskristallisierte, dass das Ziel die Synagoge und damit Juden in Deutschland waren, war ich natürlich sehr geschockt - auch über die Todesopfer, die ja zufällig erschossen wurden. Das ist schlimm, das ist furchtbar und diese beiden Opfer und die anderen Verletzten dürfen auch nicht in Vergessenheit geraten. Aber Ziel war die Synagoge und damit das jüdische Leben in Deutschland.
DOMRADIO.DE: Erst vor kurzem wurde der 60. Jahrestag der Wiedereinweihung der Kölner Synagoge gefeiert. Auch da ging es um die große Sorge vor wachsenden Antisemitismus.
Kleine: Ja, es war ein sehr beeindruckender Festakt, den wir in der Synagoge auf der Roonstraße gefeiert haben. Der Kölner Rabbiner Yechiel Brukner hat noch einmal betont: Was muss das damals für ein Mut gewesen sein, eine Synagoge neu zu errichten, nach dem, was in diesem Land den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern auch in Köln widerfahren ist. Dass man gegen den Hass, gegen dieses Nazi-Regime und gegen den Holocaust gesagt hat: Wir beginnen hier neu.
Wenn ich in die sogenannten sozialen Medien schaue, wenn ich mir manche Reden von Politikern einer bestimmten Partei anhöre, dann ist das etwas, was mit dazu beigetragen hat, dass jetzt einer plötzlich meinte, gegen Juden und gegen das jüdische Leben aufzustehen und gewaltsam einen Terrorakt zu planen und zu versuchen, ihn auszuüben. Das macht mich erstmal sprachlos. Ich weiß auch nicht genau, wie wir dagegen aufstehen können, wie in den Herzen und in den Köpfen der Verblendeten, der Hasser, der Antisemiten Gedanken des Friedens und des Miteinanders eindringen können. Da bin ich im Augenblick etwas ratlos.
DOMRADIO.DE: Auf Ihrer Facebook-Seite haben Sie gestern gepostet: "Heute ist die Saat des Hasses in blutigem Terror aufgegangen". Wie haben Sie das gemeint?
Kleine: In dem Sinne, dass Vorurteile, die sich auf eine Religionsgruppe beziehen, zu einem gewissen Anteil immer noch in den Köpfen herumschwirren. Auch in unserer Stadt wurden Menschen in der letzten Zeit angegangen, wenn sie mit einer Kippa unterwegs oder als Rabbiner zu erkennen waren. Sozusagen nach dem Motto: Vor ein paar Jahrzehnten hätte man mit Dir was gemacht.
Wie kann man so etwas sagen und was sind das für Gedanken? Man kennt den Menschen nicht, verurteilt ihn nur aufgrund seiner Religion, die uns natürlich als Christen auch noch besonders verbunden ist. Papst Johannes Paul II. hat gesagt: Juden sind unsere älteren Brüder. Da kann ich doch nur aufstehen und sagen: Das darf gerade in unserem Land keine Denke sein.
DOMRADIO.DE: Die AfD in Nordrhein-Westfalen ringt ja gerade um ihren Kurs, ob der weiter nach rechts geht oder ob man sich da klar abgrenzt. Was löst diese Diskussion bei Ihnen aus?
Kleine: Ich denke an Folgendes: In Thüringen sind bald Landtagswahlen und der Spitzenkandidat der AfD dort hat nach dem Anschlag auf Twitter gefragt: Was sind das für Menschen, die so etwas tun? Viele haben darunter geantwortet: Das sind deine Anhänger. Oder: Es sind die, die deinen Worten folgen und blutige Taten folgen lassen.
Ob Rechtsextremismus oder Linksextremismus gegeneinander ausgespielt werden, spielt hier keine Rolle. Es geht jetzt hier um Rechtsextremismus, es geht um Antisemitismus und es geht um Fremdenfeindlichkeit - geschürt auch durch Reden aus dieser Partei. Da darf auch ein Herr Höcke sich nicht wundern, wenn plötzlich jemand zur Waffe greift und meint, damit auch noch etwas Gutes für dieses Land zu tun. Das ist verblendet, das ist verrückt. Aber es ist, glaube ich, nicht die Denke nur dieser einen Person.
DOMRADIO.DE: Sollten wir uns jetzt offen solidarisch zeigen mit den Menschen jüdischen Glaubens - auch hier in Köln?
Kleine: Ja, natürlich. Wir haben das auch als Kirchen schon immer getan. Auch, als es jetzt die ersten Angriffe und Übergriffe auf Juden in unserer Stadt gab. Es gab ja eine Aktion, die Kippa als Zeichen der Solidarität zu tragen. Ich habe dem Rabbiner und auch dem Vorstand der jüdischen Synagogengemeinde beim Empfang anlässlich der Wiedereröffnung der Synagoge gesagt, dass wir natürlich als christliche Kirchen und als katholische Kirche in der Stadt an ihrer Seite stehen.
Wir werden heute im Mittagsgebet im Dom auch auf den Anschlag eingehen und um den Frieden und das Miteinander beten. Es gibt in unserem Gotteslob ein jüdisches Friedensgebet, das ich jedem empfehle - Nummer 20 Absatz 5 -, wo um den Frieden und gegen den Hass gebetet wird. Heute Abend gibt es auch eine Mahnwache auf der Domplatte, der sich natürlich auch das katholische Stadtdekanat und die katholische Kirche hier in Köln anschließen.
Das Interview führte Dagmar Peters.