In meiner Ausbildung im Jesuitenorden habe ich ein halbes Jahr in Indien verbracht. In besonderer Erinnerung geblieben ist mir ein Aufenthalt bei Indigenen im Bundesstaat Andhra Pradesh: Die Adivasis, wie sie sich selber nennen, leben in einer großen Naturverbundenheit - im Wald und vom Wald. Bevor sie einen Baum fällen, verneigen sie sich vor ihm und bitten ihn um Vergebung für die Verletzung, die sie ihm zufügen.
Diese einfühlsame Achtung vor der Natur findet sich auch in der Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus. Inspiriert von der ignatianischen Schöpfungsmystik findet er in der Schöpfung einen Widerschein Gottes. Aus Sicht gläubiger Christinnen und Christen ist die Natur Ort der göttlichen Gegenwart. Gott ist im Innersten aller Dinge gegenwärtig, ohne die Eigenständigkeit der irdischen Wirklichkeit zu beeinträchtigen.
Papst mahnt zu Rücksicht statt Zerstörung
Mit dem französischen Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin teilt Franziskus das gläubige Vertrauen, dass diese Welt auf das Ziel einer transzendenten Fülle zugeht. Er ermutigt zu einem "kontemplativen Lebensstil" in der Betrachtung des Schöpfers, dessen Gegenwart "nicht hergestellt, sondern entdeckt, enthüllt werden muss". Gott ist im Kleinsten und im Größten gegenwärtig. Wenn Gott in allem gegenwärtig ist, dann ist auch alles untereinander verbunden.
In der Vorstellung der Adivasis von der Verletzlichkeit der Bäume steckt auch der "Schrei der Erde", den Papst Franziskus in "Laudato si" angesichts rücksichtloser Umweltzerstörung beschwört. Das Hören auf diesen Schrei macht der Papst nun zu seinem Gebetsanliegen für den September.
Unter ökologischer Betrachtungsweise kann das Verhalten der Menschheit durchaus als selbstvernichtend bezeichnet werden. Die vom Menschen verursachte gefährliche Klimaerwärmung, die schier grenzenlose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und die Zerstörung der Artenvielfalt setzen die Zukunft des Planeten aufs Spiel.
Es geht auch um soziale Gerechtigkeit
Der Schrei der Erde, auch das betont Franziskus, steht in einem Zusammenhang mit dem Schrei der Armen. Die ökologische Frage ist eine Gerechtigkeitsfrage. Die Bevölkerung der reichen Länder des Nordens trägt am meisten zum gefährlichen Klimawandel bei. Die Bevölkerung der ärmeren Länder des Südens erleidet die Konsequenzen am deutlichsten - und ist am wenigsten geschützt davor.
Doch Katastrophe und Untergang sind nicht unausweichlich. Es gibt Auswege aus der selbstzerstörerischen Dynamik. Es gibt Möglichkeiten, den verletzten Planeten zu heilen. Dabei geht es um eine "verantwortliche Genügsamkeit", um eine "ökologische Umkehr", um ein anderes Verständnis von Lebensqualität, um einen prophetischen und kontemplativen Lebensstil, die Entdeckung einer neuen Einfachheit. So heißt es in Anspielung auf Noach: "Ein guter Mensch ist genug, um die Hoffnung nicht untergehen zu lassen."
Hauptsache: ins Handeln kommen
Der Papst unterscheidet verschiedene Ebenen des Handelns: die Ebenen der internationalen Zusammenarbeit, der nationalen Politik, der Gemeinden, der Familien und schließlich jeder und jedes Einzelnen.
Nicht jeder und jede kann auf allen Ebenen aktiv werden. Doch Franziskus macht eine Reihe von konkreten und praktischen Vorschlägen: etwa eine gute Verwaltung des Verkehrswesens oder die energiesparende Konstruktion und Sanierung von Gebäuden.
Damit gelingt es ihm, Motivation für Veränderungen sowohl auf der persönlichen als auch auf der globalen Ebene zu wecken. Dies erklärt zu einem guten Teil die bemerkenswerte Wirkung, die "Laudato si" auch weit über die Kirche hinaus erzielt hat.