DOMRADIO.DE: Was wünschen sich die Muslime zum neuen Jahr?
Pater Felix Körner SJ (Jesuit, Theologe und Islamwissenschaftler): Das ist eine witzige Sache mit dem islamischen Neujahrsfest. Ich habe gestern mit einem Muslim zusammen Mittag gegessen: er hat Apfelsaft und ich habe Wein getrunken. Dann habe ich ein bisschen provokant gesagt: "Prost Neujahr!" Er schaut mich groß an, und ich muss dazu sagen, dass er ein islamischer Theologieprofessor ist. Er sagt: "Moment, wieso 'Prost Neujahr'?" Dann fällt ihm überhaupt erst ein, dass der erste Monat des islamischen Kalenders beginnt.
Ich will damit sagen, dass dieser jetzt beginnenden Monat zwar eine wichtige Rolle spielt. Bei vielen Muslimen, zum Beispiel bei den türkischstämmigen, ist das Fest aber eigentlich erst seit ganz kurzer Zeit eine Identitätsmarke. Man möchte damit sagen: Wir haben einen anderen Kalender und einen anderen Rhythmus.
Man kann einem Muslim heute zwar Neujahrsgrüße übermitteln, aber die meisten verstehen gar nicht, wovon wir da reden, weil das eine Neutraditionalisierung der islamischen Rhythmen ist. Das Wichtige ist, dass man zum Opferfest gratuliert. Das Wichtige ist, dass man im Ramadan feiert. Das Neujahrsfest ist eigentlich Nebensache.
DOMRADIO.DE: Das heißt, dass es eigentlich nicht so wichtig ist, wann das Neujahrsfest genau beginnt? Wird das nicht auch in den jeweiligen Ländern unterschiedlich gehandhabt?
Körner: Es liegt daran, dass der islamische Kalender ein Mondkalender ist. Von Deutschland aus gesehen war gestern Morgen um drei Uhr Neumond. Und dann ist es halt die Frage, ob man diesen Tag schon als ersten Tag rechnen kann oder den ersten vollen Tag mit dem Neumond, es gibt da unterschiedliche Berechnungen. Darauf kommt es wirklich nicht an.
Aber es kommt auf folgendes an: es gibt nämlich den zehnten Tag dieses jetzt beginnenden Monats, der Zehnte, "Aschura" heißt das auf Arabisch. Das ist wirklich ein wichtiger Tag, den eigentlich alle Muslime in irgendeiner Weise feiern. Vor allem die Schiiten denken an die schlimme Schlacht von Kerbela. Da ist ein Enkel Mohammeds, Hussein, umgekommen.
Man gedenkt dieser Geschichte, indem man eine Speise isst, ein Gemisch aus verschiedenen Zutaten, unter anderem Bohnen und Walnüsse. Da könnte man denken, dass es nicht so gut zusammen passt, aber zusammengemixt mit Granatapfelstückchen schmeckt es ausgezeichnet. Das gibt es dann am zehnten Tag des beginnenden Monats. Die meisten Muslime feiern das in diesem Jahr in der Nacht vom 28. auf den 29. August.
DOMRADIO.DE: Sie kennen sich so gut mit den Bräuchen und Gerichten aus, weil sie lange selber in Ankara gelebt haben. Sie haben gesagt, Sie haben sich hier mit einem islamwissenschaftlichen Professor getroffen, der das Neujahrsfest gar nicht so richtig feiert. Wie ist es denn in der Türkei selbst, beispielsweise in Ankara? Ist es denn da anders?
Körner: Dort wird es ebenfalls nicht groß gefeiert. Es gibt aber in vielen Moscheen heute Abend Gebete. Und da geht man schon hin.
Ich habe zum Beispiel auch eine E-Mail von einer Muslima bekommen, die auch hier in Deutschland heute Abend in die Moschee geht. Das gibt es genauso in Ankara, aber eben ohne Böller. Die nächtliche Besinnung zum Beginn eines neuen Jahres: das kann man machen. Aber das ist eher eine Neotraditionalisierung.
So ähnlich wie manche Katholiken meinen sie seien besonders katholisch, wenn sie zum Nikolaus nicht den normalen, rotzipfelmützigen Menschen verschenken, sondern einen Schokoladennikolaus mit Mitra des Bischofs. Aber das macht nun wirklich nicht den Katholiken aus.
DOMRADIO.DE: Wie würden Sie das Fest historisch bewerten?
Körner: Die Muslima, die heute Abend in die Moschee geht, macht es schon auch als kleinen Ritus. Sie tritt wieder in ein neues Jahr ein. Das ist nichts echt Traditionelles, aber es ist eine schöne neue Tradition zu sagen, man möchte sich bewusst werden, dass die eigene Zeit in Gottes Händen ist, dass mir diese Zeit auch von Gott anvertraut ist. Das ist ja ein ganz wichtiges islamisches Denken, dass wir ein anvertrautes Gut in den Händen haben. Dass ich dieses kommende Jahr gut im Sinne des Willens Gottes nutze, das können Muslime so denken. Das macht die abends in der Moschee betende Frau schon.
Aber der Freund, mit dem ich heute Mittag gegessen habe, der ist nicht nur Islamwissenschaftler ist, sondern wirklich islamischer Theologe, der ganz überzeugt aus dem Glauben heraus seine Universitätslehre vertritt. Er wusste erst mal gar nicht, wovon ich rede, als ich von Neujahr geredet habe. Es kann genauso ein Zeichen von echter Frömmigkeit sein, heute nicht zu feiern.
DOMRADIO.DE: Wegen Corona gibt es vielerorts viele Beschränkungen. Haben die muslimischen Gemeinden jetzt anlässlich des Neujahrsfestes und des kommenden Ashura Beschränkungen, mit denen sie rechnen müssen? Und wie reagiert man darauf?
Körner: Die Gemeinden sind da sehr ernst und pflichtbewusst in den Abstandsregelungen und dem Tragen der Maske in der Moschee. Wenn viel Zulauf ist und es ist schön warm draußen ist, dann kann man die Moscheefläche nach außen hin ausweiten. Dann kann man sehr gut draußen beten und trotzdem die Gemeinschaft der hier Zusammengekommen feiern und erleben. Da ist es dann weniger schlimm.
Aber die Abstandsregeln innerhalb der Moschee werden streng eingehalten, und der Platz zwischen den einzelnen Gebetsrreihen und den einzelnen Menschen, die sich da verneigen, bleibt groß genug. Es sind schon empfundene Einschränkungen, die man aber mit einem Pflichtbewusstsein gerne einhält, weil man weiß: So schützt man sich und andere.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.