Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält mit seiner Meinung ungern hinterm Berg, selbst wenn er aneckt. So auch bei seinem Appell an den Deutschen Ethikrat am Dienstag, Vorschläge zu machen, "ob und für welche Gruppen eine Impfpflicht denkbar wäre".
Denn es gehe um Leben und Tod, und es gebe "unter Pflegekräften in Alten- und Pflegeheimen eine zu hohe Impfverweigerung", begründete Söder seinen Appell in der "Süddeutschen Zeitung".
Söder tritt mit Appell eine Debatte los
Damit tritt Söder eine Debatte los, die abgeschlossen schien. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte vor Beginn der Impfkampagne gebetsmühlenartig wiederholt, dass es keine Impfpflicht geben werde. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der Deutsche Städtetag und die Deutsche Stiftung Patientenschutz wiesen Söders Vorpreschen rasch zurück: "Im Moment über eine Impfpflicht zu spekulieren, verbietet sich", so Heil. Auch von Grünen und Linke wurden Stimmen gegen Söders Vorschlag laut.
Für den Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Helmut Dedy, ist der Gedanke nachvollziehbar, komme aber zur falschen Zeit, da die Möglichkeiten zur Überzeugungsarbeit noch nicht ausgereizt seien. Auch der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sowie der Deutsche Pflegerat lehnen eine Impfpflicht strikt ab. Zwang erreiche das Gegenteil, so der Pflegerat.
Impfpflicht in Dokument von November schon ausgeschlossen
Söder scheint zudem die Stellungnahme des Ethikrats, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Ständigen Impfkommission (Stiko) nicht ausführlich gelesen zu haben. Das im November veröffentlichte Dokument schließt "eine undifferenzierte, allgemeine Impfpflicht" aus und geht bereits auf die Frage einer Impfpflicht für gewisse Berufsgruppen ein.
Diese lässt sich aus Sicht der Experten nur "durch schwerwiegende Gründe" und für eine klar definierte Gruppe im ständigen Kontakt mit Hochrisikopersonen rechtfertigen, wenn sich nur durch eine Impfung schwere Schäden von den Hochrisikopersonen abwenden ließen. Davor müsse daher eine ausreichende Beobachtung der Wirkweise des Impfstoffs stattgefunden haben.
Mangelnde Aufklärung führe zu Impfskepsis
Aus Sicht des Stiko-Vorsitzenden Thomas Mertens ist es vor allem mangelnde Aufklärung, die bei den Pflegekräften zur Impfskepsis führt. "Für eine eventuelle Covid-19-Impfpflicht bei Pflegekräften sind die Aufklärungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft", sagt Mertens auf KNA-Anfrage. Derzeit sei zudem wissenschaftlich noch nicht klar, wie gut eine Impfung des Pflegepersonals die gefährdeten Betreuten tatsächlich schütze. "Daher ist es vordringlich, die Gruppe der Hochgefährdeten für schwere Erkrankung schnell und vollständig zu impfen."
Die drei Gremien haben also die Messlatte für eine eventuelle Impfpflicht für gewisse Berufsgruppen bereits sehr hoch gelegt in dem Wissen, dass die freie Entscheidung des Einzelnen und dessen Unversehrtheit ein hohes Gut ist.
Hinzu kommt, dass in Deutschland, anders als in vielen europäischen Nachbarländern, das Thema Impfpflicht schon immer ein politisch äußerst umstrittenes ist. Abgesehen von der nach langer Debatte im vergangenen Jahr eingeführten Masern-Impfpflicht gibt es in Deutschland keine Impfpflicht.
Die Masern-Impfpflicht gilt für Kinder sowie Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen oder medizinischen Einrichtungen leben oder arbeiten, etwa Erzieher, Lehrer, Tagespflegekräfte, medizinisches Personal und Asylbewerber.
Impfen bei Pflegekräften nicht sehr beliebt
Dass Pflegekräfte sich nicht gerne impfen lassen, ist zudem nicht neu. Einer Umfrage des Robert Koch-Instituts (RKI) aus dem Jahr 2017 zufolge lag bei der alljährlichen Influenza-Impfung die Quote unter Pflegekräften bei 32,5 Prozent.
Bei Ärzten waren es rund 61 Prozent. Als Hauptgründe gegen das Impfen nannten vor allem die Pflegekräfte ein schlechtes Risiko-Nutzen-Verhältnis sowie Angst vor Nebenwirkungen. Rund ein Viertel hatte die Sorge, dass eine Influenza-Impfung die Grippe auslöst.
Impf-Aufklärung sei wichtig
Auch die Ethikrats-Vorsitzende Alena Buyx hat mehrfach betont, wie wichtig die Impf-Aufklärung sei und sich dafür ausgesprochen, stärker individuell für das Impfen zu werben etwa über eine Impfkampagne mit impfwilligen älteren Prominenten. Ein Aspekt, den Bayerns Ministerpräsident Söder für sinnvoll hält. Er warb für eine Kampagne mit "Vorbildern aus Kunst, Sport und Politik".
In den Sozialen Netzwerken hat sich unter #Impfluencer eine Gruppe impfwilliger Ärzte und Pflege bereits zusammengetan, um für die Impfung zu werben. "Endlich!", so der Tenor der Geimpften.