Regeln für Menschenrechte und Umweltschutz in der Wirtschaft

Das Lieferkettengesetz soll 2021 kommen

Wie kann ein T-Shirt weniger als zehn Euro kosten, ohne Ausbeutung bei der Produktion? Nicht nur Hilfsorganisationen fordern von Unternehmen hierzulande, für entsprechende Mindeststandards bei der Herstellung ihrer Produkte zu sorgen.

Autor/in:
Rainer Nolte
Textilfabrik in Äthiopien / © Kay Nietfeld (dpa)
Textilfabrik in Äthiopien / © Kay Nietfeld ( dpa )

Dazu könnte künftig ein Lieferkettengesetz beitragen. Fragen und Antworten zu dem Thema:

Was soll ein Lieferkettengesetz bewirken?

Ein solches Gesetz soll zu mehr Schutz von Menschen und Umwelt in der globalen Wirtschaft führen. Im Handel und der Produktion verletzen Unternehmen im Zuge der weltweiten Wertschöpfungs- und Lieferketten immer wieder grundlegende Menschenrechte. Zu den Verstößen zählen Kinderarbeit, Ausbeutung, Diskriminierung und fehlende Arbeitsrechte. Auch die Umweltzerstörung soll in den Blick genommen werden: illegale Abholzung, Pestizid-Ausstoß, Wasser- und Luftverschmutzung.

Wie ist die derzeitige Regelung?

Die Bundesregierung setzt bislang darauf, dass sich Unternehmen freiwillig an die Einhaltung der Menschenrechte halten. Die Regierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag von 2018 verpflichtet, ein Gesetz zu beschließen, sofern die Freiwilligkeit nicht zielführend ist.

Welche Schritte stehen bis zu einem Gesetz an?

Nachdem es 2019 eine erste Umfrage gab, wurden nun die "Ergebnistendenz" der jüngsten Unternehmensbefragung dem Interministeriellen Ausschuss übergeben, der sich um das Thema des Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte kümmert. Etwa 2.250 größere Unternehmen hatten in den vergangenen Monaten die Möglichkeit, einen Fragebogen zur Einhaltung von 37 Kriterien auszufüllen. Von 455 Unternehmen, die geantwortet haben, konnten weit unter 50 Prozent befriedigend darlegen, ein funktionierendes Überwachungssystem aufgebaut zu haben, um zu dokumentieren, unter welchen Umständen die Güter hergestellt werden, die sie importieren.

Die Ergebnisse seien "enttäuschend", sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am Dienstag in Berlin. Deswegen drängen er und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nun auf ein Lieferkettengesetz. Nach Angaben von Müller ist die Wirtschaft eingeladen, sich offen und konstruktiv in den Prozess einzubringen. Die verschiedenen Ressorts würden jetzt Eckpunkte erarbeiten. Im August soll der Gesetzentwurf nach dem Willen Heils im Kabinett beschlossen werden und in den Gesetzgebungsprozess gehen. Anfang 2021 soll das Gesetz dann stehen. Beide Minister wollen sich zudem für eine EU-weite Regelung stark machen.

Wie könnte das Gesetz aussehen?

Erste Eckpunkte des sogenannten Sorgfaltspflichtengesetzes wurden in den vergangenen Wochen bekannt. Demnach müssten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern künftig prüfen, ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf Menschenrechte auswirken und angemessene Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe ergreifen. Ferner sollen sie einmal jährlich berichten, wie sie Menschenrechtsverletzungen vermeiden. Die Grünen kritisierten die Beschränkung auf größere Unternehmen.

Haften soll laut Entwurf ein Unternehmer bei einer Beeinträchtigung, die bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht vorhersehbar und vermeidbar war. Sollte es zu Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette kommen, obwohl das Unternehmen alles unternommen hat, diese zu vermeiden, drohen den Unternehmen keine Konsequenzen.

Was sagen die Unternehmen?

Teile der Wirtschaft lehnen das Vorhaben eines "nationalen Sorgfaltspflichtgesetzes" strikt ab. "Kein Unternehmen darf für das Verhalten unabhängiger Dritter im Ausland in formale Haftung genommen werden", heißt es in einer Stellungnahme von vier Spitzenverbänden. Das widerspreche den Regeln der Vereinten Nationen, die eine Haftung allein wegen der "Existenz von Geschäftsbeziehungen" ausdrücklich ausschlössen.

Außerdem betonen die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sowie der Handelsverband Deutschland (HDE), dass der internationale Handel und die Lieferkettenbeziehungen durch die Maßnahmen gegen das Coronavirus bereits größtenteils erschwert, wenn nicht sogar zum Erliegen gekommen seien.

Sie schlagen vor, bestehende Berichterstattungspflichten für europäische Unternehmen um den Aspekt der menschenrechtlichen Sorgfaltsprozesse zu ergänzen. "Die Wirtschaft ist bereit, sich konstruktiv einzubringen und an der praxistauglichen Ausgestaltung einer solchen Regelung mitzuwirken."

Laut beteiligter Ministerien forderten jedoch mehr als 60 renommierte Unternehmen ein Lieferkettengesetz, unter anderem Tchibo, Rewe, Nestle, Alfred Ritter (Ritter Sport). Firmen, die sich jetzt schon an Standards halten, befürchten demnach Wettbewerbsnachteile, wenn andere Unternehmen sich keinen Regeln unterwerfen müssen.

Gibt es gesellschaftliche Akzeptanz?

Verbände, Einzelpersonen und kirchliche Hilfswerke appellieren schon lange an die Politik, Menschenrechte und Umweltschutz im Handel mehr in den Blick zu nehmen. Zuletzt hatten mehr als 100 katholische Bischöfe aus 30 Staaten dies in einem Appell gefordert. "Wenn Unternehmen zur Verschmutzung von Böden, Luft und Grundwasser, zu Menschenrechtsverletzungen oder Kinderarbeit beitragen, müssen sie dafür zur Verantwortung gezogen werden", sagte der für Misereor verantwortliche Erzbischof Stephan Burger und forderte ein Lieferkettengesetz und internationale Initiativen etwa auf EU-Ebene.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

Andere Länder haben bereits entsprechende Regelungen. In Frankreich wurde vor zwei Jahren ein Gesetz verabschiedet, das die Sorgfaltspflichten großer französischer Unternehmen regelt. Auch in den Niederlanden gibt es seit 2019 ein Gesetz, das Unternehmen dazu verpflichtet, Kinderarbeit in ihren Lieferketten zu verhindern. In der Schweiz ist aktuell ein Gesetzesentwurf zur Konzernverantwortung im parlamentarischen Verfahren, der eine Haftung für Schäden durch die Verursacher vorsieht. 

EU-Lieferkettengesetz

Das Europäische Lieferkettengesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, ihre Lieferketten auf mögliche Verstöße gegen die Menschenrechte sowie auf Schädigungen der Umwelt zu überprüfen und dagegen vorzugehen. Auch müssen Konzerne einen Plan verabschieden, um sicherzustellen, dass ihr Geschäftsmodell mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist.

Symbolbild Containerterminal, Lieferketten / © Christian Charisius (dpa)
Symbolbild Containerterminal, Lieferketten / © Christian Charisius ( dpa )
Quelle:
KNA