Das Pontifikat von Franziskus gilt der Barmherzigkeit

Der Samariter

"Barmherzigkeit" - im Deutschen war das Wort schon fast ausrangiert. Doch Franziskus sorgt auch hierzulande für ein Comeback. Mit Gesten und Worten macht er es zum Schlüsselbegriff seines Pontifikats.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Fußwaschung (dpa)
Fußwaschung / ( dpa )

"Für mich bildet die Barmherzigkeit die stärkste Botschaft Christi." In einem Satz fasste Franziskus sein Programm vier Tage nach seiner Wahl in der ersten öffentlichen Messe als Papst zusammen. Unzählige Male hat er seither die Forderung nach mehr "misericordia" formuliert und in eindrücklichen Gesten gezeigt, was er damit meint. Ohne die Tugend der Barmherzigkeit lassen sich die Absichten des Papstes aus Argentinien nicht verstehen, der so oft das Jesus-Gleichnis vom guten Samariter zitiert. Am Dienstag eröffnet er in Rom sogar ein außerordentliches Heiliges Jahr "der Barmherzigkeit".

Hilfe für Arme, Hungernde, Einsame und Kranke

Der Begriff klingt im Deutschen - im Gegensatz zu anderen Sprachen - sperrig und altmodisch. Doch für Franziskus braucht die Welt heute nichts dringender als das, was damit gemeint ist: Empathie und aktive Hilfe für Arme, Hungernde, Einsame, Kranke. Spektakulär sein Besuch auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa, seine erste Reise überhaupt - wo er das Gegenteil von Barmherzigkeit definierte, die "Globalisierung der Gleichgültigkeit".

Für Obdachlose ließ er am Petersplatz Duschen einrichten; Strafgefangenen wusch er am Gründonnerstag als erster Papst die Füße; stets säumen lange Reihen von Rollstühlen seine Generalaudienzen auf dem Petersplatz. Wenn es der Tagesplan erlaubt, geht er danach zu ihnen und nimmt sich Zeit für jeden Einzelnen. Er sei am liebsten Hirte, sagte er einmal. Die tröstende Begegnung mit Armen, Kranken oder Häftlingen fülle ihn aus.

Schon der Katechismus fordert die Katholiken zu "Werken der Barmherzigkeit" auf: zu "leiblichen", also zu tätiger Hilfe für Kranke und Bedürftige und Almosen für die Armen; ebenso wie zu "geistlichen", etwa Vergebung und Trostspenden. Auch frühere Päpste wie Johannes XXIII. (1958-1963) und Johannes Paul II. (1978-2005) stellten barmherzige Mitmenschlichkeit in den Vordergrund. Doch kein Kirchenoberhaupt machte sie so zu seinem Markenzeichen und versteht sie medial so sichtbar zu machen wie Franziskus.

Franziskus ohne Berührungsängste

Berührungsängste scheint er nicht zu kennen, zückt auch mal das Taschentuch, um einem spastisch Gelähmten den Speichel vom Mund zu wischen. Und als er bei einer Generalaudienz einmal minutenlang bei einem über und über mit Geschwüren bedeckten Mann verweilt, ihn umarmt, sein entstelltes Gesicht küsst, erscheint das Bild auf den großen Nachrichtenportalen der Welt. Nein, das Motto seines Pontifikats sei "keine Strategie", sagte Franziskus diese Woche in einem Interview. Und meinte damit wohl die Vorwürfe, er produziere sich selbst als obersten Samariter seiner Kirche. "Der Heilige Geist will etwas von uns."

Neu an diesem Papst ist, dass er seinen Appell vor allem an die eigene Adresse richtet: Er will eine barmherzige Kirche, die nicht den moralischen Zeigefinger erhebt, sondern zuerst den leidenden Menschen in schwierigen Lebenssituationen hilft. Er spricht von der Kirche als einem "Feldlazarett". Das Urteilen will er Gott überlassen; schließlich sei jeder Mensch ein Sünder, er selbst eingeschlossen, wiederholt Franziskus häufig. "Die Kirche fällt manchmal in die Versuchung, einer harten Linie zu folgen; in die Versuchung, nur die moralischen Normen zu unterstreichen, aber viele Leute auszuschließen", sagte er in dem Interview.

Widerstände in der Weltkirche

Gerade in Deutschland weckten solche Sätze die Erwartung auf einen toleranteren Umgang der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexuellen. "Wer bin ich, sie zu richten?", bekannte Franziskus, und viele sahen darin eine Zeitenwende. Bei seinem USA-Besuch im September umarmte er ein schwules Paar. Konkreter wurde er bislang nicht - und die Widerstände in der Weltkirche gegen einen Kurswechsel bleiben stark.

In der Frage der Wiederverheirateten ließ der Papst mehrfach durchblicken, dass er eine "barmherzige" Lösung wünscht, die Wiederverheirateten im Einzelfall auch wieder die gültige Teilnahme an der Eucharistie ermöglichen könnte. Die Familiensynode im Oktober hat dem päpstlichen Lehramt dafür einigen Spielraum gelassen.

Franziskus sieht sich aber vor allem als barmherzigen Seelsorger, nicht als Kirchenlehrer.


Quelle:
KNA