DOMRADIO.DE: Sie beklagen seit Jahren schon die Verhältnisse in der Fleischindustrie. Wie beurteilen Sie die Lage im Moment?
Peter Kossen (Pfarrer in Lengerich (Westfalen)): Ich glaube, dass ganz viel in Bewegung ist, dass ganz viele verunsichert sind. Menschen, die bisher in der Fleischindustrie gearbeitet haben, sind vielfach unsicher. Wer kommt für uns auf, wenn wir unter Quarantäne sind, wenn wir nicht arbeiten dürfen? Wie geht das mit uns weiter?
Ganz viele Menschen, auch in der Bevölkerung, sind verunsichert. Die Landwirte wissen nicht, wo sie mit ihrem Vieh hin sollen. Es ist viel in Bewegung. Das hat mit viel Leid zu tun. Aber es birgt auch die Möglichkeit, dass jetzt Dinge neu gestaltet werden.
DOMRADIO.DE: Sie sind jemand, der sich seit Jahren engagiert. Wie groß ist denn der Rückhalt in den eigenen kirchlichen Reihen? Sind Sie da oft allein auf weiter Flur?
Kossen: Also, ich finde zum Beispiel Unterstützung in den Verbänden, in der KAB, auch bei Kolping. Ich finde Leute in den Gemeinden vor oder Leute bei den Gewerkschaften, die mir sagen: Wir sind Christen. Wir tun das auch mit christlichem Hintergrund. In den kirchlichen Strukturen sind es eher vereinzelt Leute. Es gibt welche, die sich interessieren und welche die mich oder andere zu Wort kommen lassen.
Aber, dass wir jetzt wirklich eine Stimme hätten oder unsere Stimme als katholische oder als christliche Kirchen in Deutschland wirklich gelten machen würden, das kann ich bis jetzt nicht entdecken. Da bleibt es eher bei allgemeinen Formulierungen und manchmal bei Sozial-Hirtenbriefen, denen ich nicht viel abgewinnen kann.
DOMRADIO.DE: Was sagen denn diejenigen, die Sie aus den eigenen Reihen kritisiert haben? Die gab es ja auch - zum Beispiel im Bistum Münster - die gesagt haben: Wir können uns doch nicht mit dieser Industrie anlegen.
Kossen: Ja, die sagen dann, dass da natürlich auch Steuerzahler sind und dass wir immer um den Ausgleich bemüht sein müssen. Nur: Wenn ich sehe, über welche Not wir sprechen, über welche Ungerechtigkeiten, dann kann ich da keine Kompromisse machen.
Da müssen wir als Kirche auch mal den Mut haben, Unrecht beim Namen zu nennen. Und das heißt auch, Verantwortliche beim Namen zu nennen. Ich habe den Eindruck, dass es uns da in unserer Kirche oft an diesem Mut fehlt, wirklich konkret zu werden. Auch um den Preis, dass wir dann vielleicht mit Leuten aneinandergeraten oder dass Leute sich von uns abwenden. Um der Menschen Willen muss das dann vielleicht so sein.
DOMRADIO.DE: Die Bundesregierung hat in Sachen Werkverträgen gesagt, sie will handeln. Und es ist nochmal mehr Druck aufgebaut worden durch die neuen Vorfälle bei der Firma Tönnies. Reicht dieser Druck?
Kossen: Im Moment ist tatsächlich viel guter Wille da. Ich glaube auch, dass es im Moment viele Politikerinnen und Politiker gibt, die etwas verändern, etwas verbessern wollen. Auch in der Bevölkerung nehme ich das wahr. Und auch in der Wirtschaft gibt es Leute, die sagen, wir können und wollen das jetzt anders machen.
Es kann allerdings auch schnell wieder passieren, dass man doch in alte Muster zurückfällt und nicht wirklich an die Substanz geht, nicht wirklich an die Strukturen heran geht. Das ist aber nötig in diesem Fall.
Das bedeutet konkret: Die Menschen besser stellen - die Arbeitsmigranten rechtlich besser stellen, sie in die Lage versetzen, ihre Rechte selbst geltend zu machen. Aber dazu gehört zum Beispiel auch, dass sie unsere Sprache lernen. Das ist ein mühsamer Prozess. Der ist aber gestaltbar und leistbar.
DOMRADIO.DE: Wie optimistisch sind Sie denn, wenn man zum Beispiel daran denkt, dass Tönnies bis in höchste Riege ehemaliger Politiker sogenannte Beraterhonorare zahlt? Verlieren Sie dann die Hoffnung und den Mut?
Kossen: Es hat nochmal deutlich gemacht, wie Lobbyismus funktioniert. Ich glaube, der Lobbyismus hat in den vergangenen Jahren ganz viel aufgehalten, auch an guten Initiativen, hat Gesetze verwässert. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Das macht einen manchmal etwas ratlos.
Aber mich persönlich spornt das auch an, zu sagen: Jetzt erst recht. Dann schüttelt man manchmal den Kopf über den einen oder anderen, wo man denkt, für Geld hat er die Seiten gewechselt, den Idealismus aufgegeben. Aber es gibt viele Idealisten, und da darf man nicht nachlassen. Man muss es allerdings auch nüchtern betrachten und sagen: Der Lobbyismus hat schon eine gewaltige Macht.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.