DOMRADIO.DE: Auf katholischer und evangelischer Seite sind Bischöfe für die Militärseelsorge zuständig. Für Muslime ist geplant, dass sie von Imamen betreut werden. Für Juden sollen Rabbiner wie Zsolt Balla zur Verfügung stehen. Er ist bislang Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinschaft zu Leipzig, Mitglied der orthodoxen Rabbinerkonferenz und orthodoxer Landesrabbiner von Sachsen. Mit einer Feier in der Leipziger Synagoge tritt er als Militärbundesrabbiner am 21. Juni sein Amt an. Was erwartet Sie in Ihrer neuen Aufgabe?
Zsolt Balla (Orthodoxer Landesrabbiner von Sachsen und Militärbundesrabbiner): Diese Aufgabe ist eine wunderschöne Herausforderung. Meine persönliche Erwartung ist, dass die Möglichkeit für jüdische Soldaten in Deutschland in ein paar Jahren genau so sein werden, wie das bereits in anderen NATO-Länder der Fall ist, und dass es für traditionelle jüdische Soldaten auch eine Selbstverständlichkeit wird, in der Bundeswehr zu dienen.
DOMRADIO.DE: So einfach war der Prozess bis hierhin ja nicht. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer hatte Ende 2019 den Militärseelsorge-Staatsvertrag zusammen mit Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, unterzeichnet. Der Bundestag hat dann im Mai 2020 der Berufung von Militärrabbinern zugestimmt. Genau der richtige Zeitpunkt oder längst überfällig?
Balla: Es war längst überfällig. Aber manchmal dauern Sachen. Jetzt haben wir aber diesen Punkt erreicht, der sehr wichtig ist in der Geschichte Deutschlands.
DOMRADIO.DE: Vielleicht auch, weil der Antisemitismus in Deutschland wieder stärker wird oder Angriffe auf jüdische Bürgerinnen und Bürger zunehmen? Was macht Ihnen Sorge oder wo sehen Sie auch Hoffnung?
Balla: Antisemitismus ist eine große Sorge für die gesamte jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Genau wie bei der Integration der jüdischen Militärseelsorge Menschen einander näher gebracht werden, hoffe ich aber, dass das der Weg gegen Antisemitismus ist. Aber auch im Kampf gegen Hass gegen Minderheiten sind das gegenseitige Kennenlernen, ins Gespräch kommen und Gesicht zeigen, wichtige Mittel.
Ich denke, dass das größte Problem beim Antisemitismus ist, dass diejenigen, die Juden hassen, in ihrem Leben noch nie eine jüdische Person kennengelernt haben. Das sollten wir ändern. Wir müssen insbesondere mit jungen Soldaten ins Gespräch kommen. Ich denke, das ist auch wichtig zu wissen, dass die Aufgaben des Militärrabbinats nicht nur auf jüdische Soldaten beschränkt sind. Unsere Aufgabe ist natürlich genau wie bei allen anderen Militärseelsorgern, für jeden einzelnen Soldat da zu sein. Wir werden auch beim lebenskundlichen Unterrichten unseren Teil beitragen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie werden auch Soldaten nicht jüdischen Glaubens über das Judentum unterrichten und so antisemitische Stereotype oder Vorurteile entgegenwirken?
Balla: Ich hoffe, dass das der Weg ist.
DOMRADIO.DE: Wie viele oder wie groß ist denn die Anzahl antisemitischer Vorfälle in der Bundeswehr, von denen man ja häufig auch nicht unbedingt etwas mitkriegt?
Balla: Leider wissen wir das auch nicht, wie viele antisemitische Vorfälle es gibt, weil wir keine Möglichkeit der Recherche haben und es dazu auch keine Statistik gibt. Ich hoffe, die Zahl ist nicht so groß. Aber wir haben aus der Pressemitteilung des Innenministeriums von Vorfällen bei den Wehrkräften erfahren, das ist ein großes Problem. Wir müssen unser Bestes geben, gegen diese Art von Hass in den Reihen der Bundeswehr vorzugehen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie sehen es auch nicht nur als Zeichen oder einen Bedarf, der politischerseits gedeckt wird. Wie viel Symbolpolitik schwingt denn bei Ihrer Einsetzung als Militärbundesrabbiner und anderen Rabbinern mit?
Balla: Ich hoffe, das ist keine Symbolpolitik. Ich weiß, dass diese Arbeit wichtig ist. Ich hoffe, dass ich in den nächsten Jahren mein Bestes dafür geben kann, alle diese Ziele, die mit dem Militärrabinat verbunden sind, zu erreichen.
DOMRADIO.DE: So wie Sie auf Bundesebene dann tätig sein werden, werden auch weitere Militärrabbiner und -rabbinerinnen ausgebildet, um für einige jüdische Soldaten und Soldatinnen im In- und Ausland da zu sein. Brauchen sie religiöse Seelsorge?
Balla: Ich denke, jeder Soldat und jede Soldatin sollten die Möglichkeit der Seelsorge in der eigenen Konfession haben. Es gibt Stimmen, die sagen, dass es nicht so viele Soldaten gibt, die zu uns kommen. Aber die Frage ist: Wo möchten wir unsere Gesellschaft, unsere Bundeswehr und unser Land in paar Jahren sehen?
Ich denke, das ist sehr wichtig, dass wir zielorientiert sind und wir eine Vision haben, wie wir sein möchten. Dabei geht es um die Zukunft und ich hoffe, dass viele Menschen verstehen, dass wir nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft arbeiten.
DOMRADIO.DE: Sie bleiben Landesrabbiner von Sachsen, Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinschaft zu Leipzig und Mitglied der orthodoxen Rabbinerkonferenz. Wie kriegen Sie das jetzt alles unter einen Hut?
Balla: Das wird eine sehr schöne Aufgabe für die nächsten paar Jahren sein. Ich suche auch nach einer Möglichkeit, Ersatzkräfte einzubinden. Wie zum Beispiel junge Rabbiner, die mir für ein paar Jahren helfen könnten. Wir haben eine Strategie und ich hoffe, dass wir das alles gut in den nächsten Jahren hinkriegen werden.
DOMRADIO.DE: Wie geht es los?
Balla: Nach dem medialen Höhepunkt möchte ich gerne direkt mit der Arbeit anfangen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die Soldaten und Soldatinnen zu unterstützen und die Seelsorge auf die Beine zu stellen. Das ist meine Hoffnung, dass ich von morgen an direkt mit der Arbeit anfangen kann.
Das Interview führte Katharina Geiger.