DOMRADIO.DE: In einem neuen Interview antwortet Papst Franziskus auf die Frage nach einer Friedensperspektive für Nahost, dass er an der Idee einer Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina festhält. Wie haben Sie diese Aussage des Papstes wahrgenommen?
Matthias Kopp (Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz und Nahostexperte): Sehr beruhigend, weil Papst Franziskus damit deutlich macht, dass er bei der Doktrin des Heiligen Stuhls bleibt, die dieser seit 1967 vertritt, nach dem Sechstagekrieg damals. Wir brauchen eine gerechte Zwei-Staaten-Lösung, die erstens das uneingeschränkte Existenzrecht Israels festschreibt und ebenso auch einen palästinensischen Staat ermöglicht. Das hat der Heilige Stuhl immer gesagt. Diese Zwei-Staaten-Lösung ist dann mit dem Gaza-Jericho-Abkommen 1994 auch politischer Beschluss der Weltebene gewesen. Davon ist nicht mehr viel übrig. Und nachdem der lateinische Patriarch, Kardinal Pizzaballa, vor einigen Tagen gesagt hat, die Zwei-Staaten-Lösung sei so gut wie tot, ist es umso wichtiger, dass der Papst betont hat, dass er an einer solchen Lösung festhält.
DOMRADIO.DE: Die Zweistaatenlösung für 'tot' zu halten, ist eine verständliche Reaktion, denn wer ist überhaupt der Ansprechpartner bei den Palästinensern? Fatah und Hamas sind hoffnungslos zerstritten. Wer soll da überhaupt Verhandlungspartner sein? Oder einen palästinensischen Staat leiten?
Kopp: Die Tatsache, dass das Abkommen so gut wie tot ist, stimmt. Aber es heißt nicht, dass damit eine Zwei-Staaten-Lösung als Ziel infrage gestellt werden muss. Noch gibt es einen existenten palästinensischen Staat mit Mahmut Abbas. Es gibt heute auch Medienberichte darüber, dass der Papst mit Abbas telefoniert habe. Wichtig ist, dass die Parteien, vor allem die Fatah von Abbas (Anm. d. Red. politische Partei in den Autonomen Palästinensergebieten) und der Staat Israel, sich an das Gaza-Jericho-Abkommen von 1994 erinnern und das als Grundlage für weitere Gespräche nehmen. Deshalb war es dem Papst auch so wichtig zu sagen, dass die Zwei-Staaten-Lösung neues Leben braucht. Und zur Zwei-Staaten-Lösung gehört eben auch das, was der Heilige Stuhl ebenfalls seit drei Jahrzehnten sagt, nicht nur das uneingeschränkte Existenzrecht Israels, sondern auch die Lösung, dass Jerusalem Hauptstadt zweier Staaten sein muss mit einem internationalen Charakter, wo ein freier Zugang zu den heiligen Stätten aller drei Weltreligionen möglich wird.
DOMRADIO.DE: Hat das Wort des Papstes denn überhaupt politisches Gewicht. Wie schätzen Sie das ein?
Kopp: Das glaube ich schon. Durch die diplomatischen Vertretungen des Heiligen Stuhls in vielen Ländern des Nahen Ostens wird der Papst gehört, auch durch das Außenamt, das Staatssekretariat im Vatikan. Wenn ein Politologe neulich im Domradio sagt, dass der Papst kaum Gewicht habe, muss ich dem deutlich widersprechen. Denn gerade seine Aussagen und Friedensappelle werden gehört, auch die Aufrufe zum Gebet. Und ich möchte daran erinnern, dass es immer wieder der Heilige Stuhl war, der in internationalen Konfliktsituationen sein Territorium bereitgestellt hat, um dort Verhandlungen zu führen. Einer der größten Erfolge war, dass in der Apostolischen Nuntiatur in Havanna und in Washington zwischen Kuba und den USA über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verhandelt wurde. Also ganz ungehört bleibt der Papst da nicht.
DOMRADIO.DE: Welche Rollen können die Kirchen da generell, oder weiter gefasst die Religionen, in diesem Konflikt spielen?
Kopp: Das ist in Israel und Palästina mit drei Weltreligionen außerordentlich schwierig. Ob die einen großen politischen Beitrag leisten können, glaube ich nicht. Sie müssen sich als Friedensstifter anbieten, als Frauen und Männer, die mit ihren karitativen Werken versuchen, die Not zu lindern. Und ich glaube, dass die politische Ebene nun handeln muss - die Europäische Union, die NATO, aber letzten Endes auch der Heilige Stuhl als völkerrechtliches Subjekt, um seine Stimme zu erheben, dass der Frieden im Nahen Osten einkehren kann. Wir sind derzeit weit davon entfernt. Und umso wichtiger sind dann solche Akzente, die Papst Franziskus in diesen Tagen gesetzt hat.
DOMRADIO.DE: In der Vergangenheit ist dem Vatikan häufig eine zu große Nähe zu Palästina nachgesagt worden, auch weil dort viele Christen leben. Wie sehen Sie das?
Kopp: Ich glaube, dass der Vatikan versucht, hier differenziert zu argumentieren. Eine Aussage wird einmal zu pro-palästinensisch ausgelegt, die andere zu sehr pro-israelisch. Das ist ein Gang auf einem Berggrat, wo man immer schnell einen Fehler machen kann. Dadurch, dass der Papst die Zwei-Staaten-Lösung so deutlich noch einmal eingefordert hat, besteht kein Zweifel daran, dass er sich für die israelische genauso wie für die palästinensische Sache einsetzt. Die humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung, gerade im Gazastreifen, muss das vorrangige Ziel sein. Das ist auch das vorrangige Ziel der Hilfsmöglichkeiten der Kirche, zum Beispiel der Caritas, um dort aktiv zu sein.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle kann die deutsche Kirche, vielleicht auch die Bischöfe spielen? Können sie überhaupt eine Rolle spielen?
Kopp: Eine konkrete politische Rolle sicherlich nicht. Aber durch die Präsenz zum Beispiel des stellvertretenden Vorsitzenden der Bischofskonferenz bei der großen Kundgebung am Brandenburger Tor vor zwei Wochen gegen den Terror der Hamas "We stand with Israel". Es ist ein starkes Zeichen, dass die katholische Kirche hier präsent ist. Und ich denke, für die Kirche in Deutschland ist es wichtig, dem neu aufkeimenden Antisemitismus die Stirn zu bieten und hier klare Worte zu finden, dass sich eine Vergangenheit, aus der wir kommen, nicht noch einmal wiederholt.
Dieser politische und religiöse Antisemitismus, den wir in den letzten Wochen in Deutschland verspüren, ist eine Aufgabe, mit der wir uns in der Bischofskonferenz auseinandersetzen müssen. Bischof Neymeyr, der Sonderbeauftragte für die Beziehungen zum Judentum, hat schon vor einigen Wochen deutlich getan. Da wird noch mehr von uns kommen.
Das Interview führte Johannes Schröer.