Das Mädchen mit dem roten Mantel - daran erinnern sich die meisten Menschen, wenn sie an den Film "Schindlers Liste" denken. An diesen roten Farbtupfer inmitten von Schwarz-Weiß-Szenen der Räumung des Krakauer Ghettos. Später liegt eben dieses Mädchen tot in einem Leichenberg. "Es gab keine Hoffnung", sagte Regisseur Steven Spielberg einmal in einem "Spiegel"-Interview, als er gefragt wurde, ob er mit dem Mädchen ein Zeichen der Hoffnung habe setzen wollen.
Vor 25 Jahren, am 30. November 1993, feierte Spielbergs auf Tatsachen beruhender Film "Schindlers Liste" Weltpremiere.
Film bewegt die Gemüter
Die Hauptfigur: der Deutsche Oskar Schindler, NSDAP-Mitglied und Lebemann, der unter dem Eindruck der Naziverbrechen im Zweiten Weltkrieg etwa 1.200 Juden in seiner Emaille- und Munitionsfabrik für sich arbeiten ließ, sie so vor dem Tod bewahrte und deren Namen auf einer Liste festgehalten worden waren, damit sie nicht nach Auschwitz gebracht wurden. Spielbergs Werk rührte Menschen zu Tränen, wurde gefeiert, aber auch heftig kritisiert. Der Holocaust in dramatischer Form, vom Regisseur von "E.T." und "Jurassic Park"? Was künstlerisch nach Auschwitz möglich war oder möglich sein durfte, bewegte da schon jahrzehntelang die Gemüter.
"Die Welt liegt im Schindler-Fieber", notierte 1994 der Historiker Wolfgang Benz in einem Beitrag für die "Zeit". Vergleichen lasse sich dieses öffentliche Ereignis, das zum Teil im alten jüdischen Krakauer Viertel Kazimierz gedreht wurde, mit der US-Fernsehserie "Holocaust".
Sie habe Ende der 1970er Jahre bei der Ausstrahlung in Deutschland einen "Sturm der Emotionen" ausgelöst. Die Serie veränderte das deutsche Fernsehen. Die Vernichtung der Juden galt nun als filmerzählerisch vermittelbar. Auf dieser Basis konnte später auch Roberto Benignis "Das Leben ist schön" (1997) aufbauen.
Benz fragte angesichts der Debatte über "Schindlers Liste": "Sind die Frauen zu schön und die Schurken zu schändlich, die Kinder zu herzig und rührend gezeichnet, ist das Elend der Verfolgung und Vernichtung der Juden in Krakau zu opernhaft inszeniert? Ja, sicherlich, und die Musik schmachtet hintergründig arg." Und: "Viele weitere Einwände - gegen nicht stimmende Details, gegen die Überzeichnung von Personen, gegen die Nichterreichbarkeit von Authentizität - könnte man vom Katheder des ernsten Historikers herab verkünden."
Dramatischer Beitrag zur Geschichtsschreibung
Gleichwohl lautete das Fazit von Benz: "Der Film ist über den Appell an die moralische Sensibilität des Betrachters hinaus ein dramatischer Beitrag zu Geschichtsschreibung und Aufklärung."
Weniger gnädig zeigte sich der mittlerweile verstorbene französische Filmemacher Claude Lanzmann, der die neunstündige Dokumentation "Shoah" gedreht hatte. Mit seinem 1985 erschienenen Film, für den er Opfer und Täter des Holocaust zu Wort kommen ließ, galt er als einer der wichtigsten Dokumentaristen zum Thema.
1994 äußerte er in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nicht nur künstlerische Vorbehalte gegen "Schindlers Liste": "Wie soll er sagen, was der Holocaust gewesen ist, indem er die Geschichte eines Deutschen erzählt, der 1.200 Juden gerettet hat, während doch die überwältigende Mehrheit der Juden nicht gerettet wurde?" Am meisten werfe er Spielberg aber vor, dass er den Holocaust "anhand der Person eines Deutschen zeigt".
Dieser Deutsche sei ein "guter Mensch" gewesen, sagte einmal Michael Emge, der auf der Liste stand und mittlerweile verstorben ist.
Als Dokumentation fraglich
"Privat aber war er auch ein Schuft. Alkohol, Frauen, Geld. Diese drei Dinge waren ihm wichtig." Seine Meinung zu dem Film? "Ein Hollywood-Meisterwerk. Als Dokumentation ist er aber eher nicht zu gebrauchen." Der Film unterschlage etwa die "wichtige Rolle" von Schindlers Frau Emilie bei der Rettung der Juden.
Ungeachtet aller Debatten gewann der Film mit Liam Neeson als Oskar Schindler, Ralph Fiennes als Amon Göth, dem sadistischen Kommandanten des Lagers Plaszow bei Krakau, und Ben Kingsley als Itzhak Stern, der sich an der Rettung der "Schindlerjuden" beteiligte, sieben Oscars.
Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem erkannte das Ehepaar Schindler als "Gerechte unter den Völkern" an.