Im Verfassungsausschuss des Bayerischen Landtags haben am Donnerstag Experten darüber diskutiert, wie eine staatliche Anlaufstelle für Opfer von Missbrauch und Gewalt aussehen könnte.
Justizminister Georg Eisenreich (CSU) und Stimmen aus der Landtagsfraktion der Union hatten dafür Unterstützung bekundet, waren aber auf Vorbehalte im Sozialministerium gestoßen. Am Mittwoch hatte nun Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) angekündigt, dass der Freistaat eine solche Stelle schaffen wolle.
Sozialwissenschaftler: Betroffene ernst nehmen
Nach Ansicht des Münchner Sozialwissenschaftlers Heiner Keupp, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) in Berlin, müsse eine entsprechende Anlaufstelle über einen unabhängigen Missbrauchsbeauftragten sowie eine interdisziplinäre Aufarbeitungskommission verfügen. Dabei sei es zentral, die Betroffenen mit ihren Rechten, Erfahrungen, Gefühlen und Biografien ernstzunehmen.
Der Kölner Jurist Stephan Rixen betonte, der Staat müsse einen Rechtsrahmen und Qualitätsstandards auf Bundesebene schaffen, der den Ländern gleichzeitig ausreichend Freiraum lasse. Zu den Aufgaben einer landeseigenen Kommission gehört seiner Meinung nach auch, Fehler aus der Vergangenheit aufzuarbeiten. Es gehe nicht darum, den Kirchen in die Parade zu fahren, sondern eine gesellschaftliche, institutionelle und persönliche Aufarbeitung von Missbrauch möglich zu machen. Rixen ist ebenfalls Mitglied der UBSKM.
Selbstorganisierte Kirche muss kontrolliert werden
Nach den Worten des Passauer Strafrechtlers Holm Putzke braucht es ein staatliches Gesetz als Grundlage für die Aufarbeitung von Missbrauch. Zudem sei es notwendig, die selbstorganisierte Kirche zu kontrollieren. Eine Dunkelfeldstudie bezeichnete er als überfällig.
Die Kirche habe in der Vergangenheit ihre eigenen Moralvorstellungen missachtet und gleichzeitig minimal ethische Standards geschaffen. Die bisherigen Strukturen seien unzureichend, das treffe auch auf die Beteiligung von Betroffenen sowie die Auswahl der Mitglieder in Aufarbeitungskommissionen zu.
Fehlende Möglichkeiten für strafrechtliche Verfolgung
Reinhard Röttle, Generalstaatsanwalt in München, sagte: Es gebe nicht genug Möglichkeiten, um Leitungspersonal in Kirchen und anderen Institution strafrechtlich zu verfolgen, wenn sie grobfahrlässig erneuten Missbrauch gefördert hätten. Diese Lücke in der Gesetzgebung müsse diskutiert werden. Das katholische Strafrecht leiste keinen Beitrag zur Lösung des Missbrauchskomplexes, ergänzte er.
Der Leitende Oberstaatsanwalt in Ansbach, Michael Schrotberger, sieht vor allem bei der Polizei Nachbesserungsbedarf. Für die Erstvernehmung von Betroffenen brauche es dringend geschulte Kriminalbeamte und Fachpersonal.
Sondervorschriften für die Kirchen seien nicht haltbar
Nikolaus Blum, Leiter des Landeskirchenamtes der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, sprach sich für alle staatlichen Maßnahmen aus, die eine Aufarbeitung erleichterten. Er warnte jedoch davor, eine weitere Instanz zu schaffen, die Betroffene lediglich an andere Stellen verweise. Sondervorschriften für die Kirchen seien nicht haltbar.
Dem schloss sich auch der Münchner katholische Kirchenrechtler Elmar Güthoff an. Zudem betonte er, dass die Kirche über keine Eigenjustiz oder Paralleljustiz zum Staat verfüge. Vielmehr spreche sie zusätzliche Strafen aus.