Josef Hecken hat es sich nicht leicht gemacht. Seit Jahren weist der Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) von Ärzten, Kliniken und Kassen auf die Sprengkraft des Beschlusses hin, den das Gremium am Donnerstag getroffen hat:
Die gesetzlichen Krankenkassen sollen künftig vorgeburtliche Bluttests auf Trisomien wie das Down-Syndrom bezahlen, entschied das Gremium nach drei Jahren der Beratung und Prüfung. Die Kosten sollen allerdings nur "in begründeten Einzelfällen bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken" übernommen werden. Ein flächendeckendes Screening soll es nicht geben.
In einer Zwickmühle
Hecken steckt in einer Zwickmühle. Gesetzlicher Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses ist es allein, neue medizinische Verfahren oder Medikamente darauf zu überprüfen, ob sie dem Patienten einen therapeutischen Nutzen bringen oder ob sie risikoärmer als bereits erlaubte Verfahren sind. Wenn ja, müssen sie in den Leistungskatalog der Kassen übernommen werden.
Das trifft auf den umstrittenen Bluttest zum Nachweis von Trisomien eindeutig zu: Denn der mittlerweile von sechs Unternehmen in Deutschland angebotene Test könnte die bisher schon von den Kassen finanzierten invasiven Untersuchungen - Biopsie der Plazenta oder Fruchtwasseruntersuchung - weitgehend überflüssig machen. Und das damit verbundene Risiko einer Fehlgeburt deutlich verringern. Bei immerhin 5 bis 10 von 1.000 untersuchten Frauen hatte es deswegen Fehlgeburten gegeben.
Dazu kommt, dass die Bluttests in Deutschland schon seit 2012 medizinisch anerkannt und auf dem Markt sind. Jede Schwangere, die über genetische Risiken ihres ungeborenen Kindes Aufklärung wünscht, kann den Test schon jetzt von ihrem Arzt durchführen lassen - allerdings gegen Bezahlung von bis zu 400 Euro. Ein paar Tropfen Blut der Mutter enthalten genügend Erbgutschnipsel des Embryos, um mögliche Trisomien mit hoher Wahrscheinlichkeit feststellen zu können. Das Blut wird eingeschickt und von den Testherstellern analysiert. Nach vier Tagen erhält der behandelnde Arzt das Ergebnis und teilt es der Schwangeren mit.
"Es erscheint nicht begründbar, den betroffenen Schwangeren dieses risikoärmere Testverfahren vorzuenthalten; die Tests sind in Deutschland zugelassen und verfügbar", schreibt der CDU-Politiker Hecken, der schon mal saarländischer Justiz- und Gesundheitsminister und Staatssekretär im Bundesfamilienministerium war, in einem am Donnerstag ebenfalls veröffentlichten Brief an mehrere Bundestagsabgeordnete.
Politik wird in die Pflicht genommen
Um dann zugleich das Dilemma offenzulegen, in dem er steckt: Hecken betont, dass durch die Kassenfinanzierung der Tests "ethische Grundfragen unserer Gesellschaft berührt sind", die unter Umständen "einer gesetzgeberischen Antwort bedürfen". Dafür aber, so der Vorsitzende, sei nicht der Bundesausschuss der richtige Ansprechpartner, sondern der Bundestag. Das Parlament aber hatte zwar im Frühjahr intensiv und engagiert über die ethische Problematik der Bluttests debattiert. Jedoch keine Entscheidungen getroffen.
Dabei ist absehbar, dass die Debatte über solche Gentests erst anfängt. Schon jetzt bringen Wissenschaft und Gentech-Unternehmen immer neue Verfahren auf den Markt, mit denen geborene Menschen, aber auch Ungeborene auf ihre Veranlagung für Krankheiten wie Diabetes, Demenz oder Brustkrebs getestet werden können. Sogar komplette Analysen des Erbguts sind bereits machbar - und auch immer billiger zu haben. Der Druck auf Frauen, ein gesundes Kind zu gebären, steigt.
Und zunehmend stellt sich die Grundsatzfrage, wie die Gesellschaft mit Behinderungen und Krankheiten umgeht, die möglicherweise erst in Jahrzehnten ausbrechen.
Hecken will den Schwarzen Peter nicht in der Hand behalten und den Bundestag nicht aus seiner Pflicht entlassen, sich mit den ethischen Folgen des Bluttests zu befassen. Der Gesetzgeber könne jederzeit die Richtlinienbeschlüsse des G-BA durch Gesetze aufheben oder ändern, schreibt er den Bundestagsabgeordneten ins Stammbuch. Außerdem trete die jetzt getroffene Regelung erst Ende des kommenden Jahres in Kraft. Zeit genug also für das Parlament, noch einzugreifen.