Debatte um Biografie über den evangelischen Theologen und Widerstandskämpfer

Wie fromm war Bonhoeffer?

Neben Luther und dem Papst ist er wohl einer der bekanntesten deutschen Theologen: Dietrich Bonhoeffer. Doch war er auch so tiefgläubig, wie ihn der US-Journalist Eric Metaxas nun in einer Biografie beschreibt? Experten streiten darüber. Einspruch kommt aus Deutschland.

Autor/in:
Judith Kubitscheck
 (DR)

"Von guten Mächten wunderbar geborgen" - dieses bekannte Gedicht verfasste der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) im Gefängnis. Wenig später wurde er auf Befehl von Adolf Hitler hingerichtet. Vom "Glaubenshelden Bonhoeffer" begeistert schrieb der US-amerikanische Journalist Eric Metaxas (New York) in zweijähriger Arbeit die Biografie "Bonhoeffer. Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet". Unter Fachleuten ist sie umstritten.



"Ich will diese großartige Geschichte in Amerika bekanntmachen", sagt Metaxas, der deutsche Vorfahren hat, dem epd. Dies ist ihm gelungen: Schon bald nach der Veröffentlichung im Jahr 2010 stand sein 700-Seiten-Schmöker an der Spitze der Bestsellerliste der "New York Times". Auch in Deutschland sind vier Monate nach dem Erscheinen schon mehr als 15.000 Exemplare verkauft.



Wie fromm war Bonhoeffer? Sehr fromm, ist Metaxas überzeugt. "Bonhoeffer war ein treuer, orthodoxer Christ bis zum letzten Atemzug. Noch 18 Stunden, bevor er umgebracht wurde, hat er einen Gottesdienst für seine Mitgefangenen gehalten." Es sei ein Skandal, dass er oft als liberaler Theologe porträtiert werde. Wenn Bonhoeffer im Gefängnis in Briefen von einem religionslosen Christentum schrieb, sei das keine Hinwendung zum Atheismus gewesen, sondern eine Kritik an dem toten Christentum, das er zu seiner Zeit erlebte, betont der Publizist.



Einspruch aus Deutschland

Doch einige Experten kritisieren den Bestseller. Ein amerikanischer Theologe wirft Metaxas sogar vor, Bonhoeffer "entführt" und aus ihm einen evangelikalen Christen gemacht zu haben. Dass der ehemalige amerikanische Präsident George W. Bush die Bonhoeffer-Biographie lobte, scheint dieses Bild zu bestätigen. Christiane Tietz, Vorsitzende der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft in Deutschland, spricht von "Vereinnahmung". In dem Buch "soll jedes liberale Element aus Bonhoeffer ausgeschieden werden", kritisiert die Mainzer Theologieprofessorin. Zwar sei Bonhoeffer theologisch nicht liberal gewesen, aber habe Impulse aus der liberalen Theologie aufgenommen.



"Bonhoeffer hat nicht, wie Metaxas das vorgibt, den Kampf gegen die liberale Theologie zu seinem Anliegen gemacht", sagt Tietz, die dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland angehört. In einer Rezension für die evangelische Zeitschrift "Zeitzeichen" kritisiert sie, dass das Buch insgesamt der theologischen Vielfalt Bonhoeffers nicht gerecht werde. Bonhoeffers Dissertation und Habilitation, seine theologischen Bücher "Schöpfung und Fall", "Nachfolge", "Gemeinsames Leben", und "Ethik" nähmen in dem 700 Seiten dicken Buch insgesamt keine 15 Seiten ein.



"Beschämende" Debatte?

Metaxas habe keine Abhandlung über Bonhoeffers Theologie geschrieben, entgegnet Rainer Mayer (Stuttgart), der die deutsche Übersetzung der Biografie wissenschaftlich bearbeitet hat. Trotzdem treffe der amerikanische Journalist genau das Zentrum von Bonhoeffers Theologie: "Die Nachfolge Jesu Christi sollte für einen Christen stets die orientierende Lebensmitte sein." In seinem Buch "Widerstand und Ergebung" habe sich Bonhoeffer selbst als "moderner Theologe bezeichnet, der noch das Erbe liberaler Theologie in sich trägt", so der emeritierte Theologieprofessor.



Von der liberalen Theologie habe er das Anliegen übernommen, sich nicht pseudo-fromm der jeweiligen Situation und ihren Konflikten zu entziehen. Seine liberalen Lehrer habe Bonhoeffer geehrt, aber gesehen, dass die liberale Theologie den ideologischen Zeiterscheinungen nicht den notwendigen Widerstand entgegengesetzt hat, sagt Bonhoeffer-Experte Mayer. Kirche müsse nach Bonhoeffer "Bekennende Kirche" sein oder sie verfehle ihren Auftrag. Genau dies entfalte Metaxas in seiner Biografie.



Im Gegensatz zu vielen Theologen, die Bonhoeffer für ihre eigene Positionen in Anspruch nehmen, sei Metaxas nicht daran interessiert gewesen, ihn für eine theologische Richtung zu vereinnahmen, betont Mayer. Dass Bonhoeffer ein bekennender Christ war, habe Metaxas nicht erfunden. "Es ist beschämend, wenn gerade in Deutschland an diesem Buch, das weltweit vielen Menschen einen neuen, wichtigen Zugang zu Bonhoeffer öffnet, so kleinkariert herumgemäkelt wird", sagt der Autor mehrerer Bonhoeffer-Bücher.