Pfarrer der Dresdner Frauenkirche fordert wahrhaftiges Erinnern an Bombardierung

"Dem Evangelium sind nationalistische Tendenzen fremd"

Anlässlich der Bombardierung Dresdens vor 75 Jahren erinnert der Frauenkirchen-Pfarrer an die distanzierte Haltung der Kirche gegenüber der Demokratie. Das habe 1933 zu ihrer Zerstörung beigetragen. Stattdessen müsse Kirche Demokratie schützen.

Blick auf Dresden / © TTstudio (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Die Frauenkirche ist zum Symbol der Versöhnung geworden. Welche Rolle spielt sie beim jährlichen Gedenken an diesem 13. Februar?

Sebastian Feydt (Pfarrer der Dresdner Frauenkirche): Die Frauenkirche steht in Dresden im Zentrum der Stadt. Um die Frauenkirche herum versammeln sich Dresderinnen und Dresdner am 13. Februar in den Nachmittagsstunden, stellen Kerzen ab, haben ein stilles Gedenken und die Möglichkeit, an ihre Angehörigen zu erinnern, die in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar oder den folgenden Stunden in Dresden ums Leben gekommen sind. Gleichzeitig ist die Frauenkirche eben auch ein Ort, der das Geschehen von einst in einen heutigen internationalen Kontext stellt und für Frieden und Versöhnung eintritt.

DOMRADIO.DE: 75 Jahre nach der Zerstörung Dresdens haben wir es mit rechtsextremen Strömungen zu tun. Wir haben eine AfD, die versucht, Geschichte umzudeuten. Was ist denn zu tun, um dem Extremismus die Stirn zu bieten?

Feydt: Erst einmal muss das Erinnern ein wahrhaftiges Erinnern sein. Das heißt auch, die Ereignisse von vor 75 Jahren müssen in den historischen Kontext gestellt werden. Der Krieg ist einst von Deutschland aus in die Welt getragen worden und kehrt am Ende dieses Krieges auch zum Beispiel in eine Stadt wie Dresden zurück. Diese Einordnung ist wichtig. Dresden ist keine Stadt, die schuldlos gewesen wäre, sondern es bedarf einer verantwortlichen Wahrnehmung der historischen Ereignisse einst und einer Aktualisierung heute. Leid kann man nicht teilen. Es ist für die Menschen einst genauso schlimm gewesen, dass sie ihre Angehörigen, ihre Häuser verloren haben, ihr Eigentum zerstört worden ist, wie das heute beispielsweise für Menschen in Syrien oder in Libyen oder an anderen Orten der Welt leidvoll und schmerzlich ist.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle kommt den Kirchen dabei zu?

Feydt: Die Kirchen haben vor 1933 in einer distanzierten Haltung zur damaligen Demokratie auch mit dazu beigetragen, dass diese Demokratie zerstört werden konnte und es in die Diktatur führte. Deshalb kommt den Kirchen heute eine besondere Aufgabe zu, miteinander dafür zu sorgen, dass wir die uns gegebene Staatsform der Demokratie und den Rechtsstaat schützen und wahren und eine Form des politischen Streites finden, der respektvoll und auf der Grundlage ethischer Maßstäbe stattfindet.

DOMRADIO.DE: Sie haben kürzlich gesagt, in der Landeskirche Sachsens, da gebe es Nachholbedarf beim klaren Trennen zwischen demokratischen und antidemokratischen Positionen. Sehen Sie denn, dass sich da jetzt etwas tut?

Feydt: Wir erleben in der Kirche spiegelbildlich die Spannungen, die wir in der Gesellschaft erfahren. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass auch in der Kirche diskutiert wird, was wertkonservativ ist. Gleichzeitig sind auch extremistische nationalistische Strömungen in unseren Kirchen zu erleben. Wir müssen die Auseinandersetzung, die in den politischen Parteien und in der Gesellschaft geführt wird, eben auch in der Kirche führen. Dort aber vor dem Hintergrund des Evangeliums. Dem sind jegliche nationalistische Tendenzen fremd. Die Botschaft von Jesus Christus war eine, die auf jeden Menschen orientiert war, die den Menschen in seiner Würde wahrnimmt. Und die ist jedem Menschen gleich.

DOMRADIO.DE: Zentraler Punkt des Gedenkens ist wieder die Menschenkette, die Dresdnerinnen und Dresdner und Gäste am späten Nachmittag auf beiden Seiten der Elbe vereinen soll. Welches Zeichen sendet Dresden auch heute wieder?

Feydt: Die Menschenkette ist ein Zeichen, dass die Zivilgesellschaften dem Missbrauch des wahrhaftigen Erinnerns durch rechtsextreme Kräfte oder politische Kräfte wie der AfD widerstehen können und wollen. Gleichzeitig zeigen sie auch, dass sie stark sind und dass sie die Demokratie schützen, die uns ermöglicht, wahrhaftig zu erinnern und gleichzeitig heute gemeinsam zusammenzustehen und auch dafür einzutreten, dass wir etwas schaffen können. Dafür steht ja auch die Frauenkirche mitten im Zentrum dieses Geschehens. Dass Menschen zusammen viel mehr erreichen können, als sie für sich genommen meinen. Unmögliches möglich machen, diese Kraft wieder entwickeln, das brauchen wir auch heute in unserer Gesellschaft.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Sebastian Feydt, Pfarrer der Frauenkirche, am Tag der Deutschen Einheit  / © Jan Woitas (dpa)
Sebastian Feydt, Pfarrer der Frauenkirche, am Tag der Deutschen Einheit / © Jan Woitas ( dpa )

Das zerstörte Zentrum von Dresden (dpa)
Das zerstörte Zentrum von Dresden / ( dpa )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema