DOMRADIO.DE: Wie deutlich lassen sich heute die Spuren des Zweiten Weltkriegs in der Stadt wahrnehmen?
Sebastian Feydt (Pfarrer der Frauenkirche): Diese Stadt ist, wie viele andere deutschen und europäischen Städte, von den Spuren dieses Krieges gezeichnet. Man kann sehen, dass sich das Gesicht Dresdens im innerstädtischen Bereich komplett verändert hat. Ganz besonders sieht man die Spuren an der Fassade unserer wiederaufgebauten Frauenkirche, die alte Elemente wie die dunklen Steine integriert hat. Gleichzeitig strahlt das neue Gestein durch.
DOMRADIO.DE: Die Frauenkirche ist in die Gedenkzeremonien besonders involviert: Welche Aktionen finden denn an diesem Mittwoch rund um Ihre Kirche statt?
Feydt: Wir haben eine Mittagsandacht, wo wir mit Gästen aus Coventry gemeinsam das Gebet aus Coventry beten. Heute Nachmittag wird durch die Gesellschaft zur Förderung der Frauenkirche das stille Gedenken auf dem Neumarkt initiiert, so wie das seit Jahrzehnten stattfindet. Und in den Abendstunden bildet der Neumarkt noch einmal einen Ort, an dem sich Menschen versammeln. Um 21.45 Uhr werden alle Dresdner Kirchen ihr Geläut einschalten, in Erinnerung an den Angriff am 13. Februar 1945. Danach öffnen sich die Türen der Frauenkirche. Es gibt eine Nacht der Stille um 22 Uhr, in der Menschen bei Musik und Text Kerzen entzünden können .
DOMRADIO.DE: Den Höhepunkt des heutigen Gedenktages bildet die große Menschenkette um 18 Uhr. Was ist für Sie das Beeindruckendste daran?
Feydt: Mit der Menschenkette antworten die Dresdner Bürger auf einen Missbrauch des Erinnerns am 13. Februar. Damit wurde vor Jahren begonnen, um symbolisch deutlich zu machen, dass die Bürgerschaft sich in diesem wahrhaftigen Erinnern und einem versöhnten Miteinander mit den Kriegsgegnern von einst nicht beirren lässt. Dieses Symbol der Menschenkette hat sich fortgeschrieben zu einem Erinnerungszeichen, das bis heute aus Dresden in die Welt gesendet wird. Wir wissen um die Verantwortung, die mit dem von Deutschland begonnenen Krieg in die Welt getragen wurde.
DOMRADIO.DE: Auf Bildern der vergangenen Jahre sieht man außerdem, dass viele Menschen in der Kette eine weiße Rose dabei haben. Ist das ein Symbol gegen die Nazis von heute?
Feydt: Der Missbrauch dieses Erinnerns hatte seinen Ursprung in rechtsextremen politischen Kräften. Und das Symbol der Weißen Rose steht für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Gruppe der Studierenden damals in München hat damit deutlich gemacht, wie sie die Demokratie retten will. Und deshalb ist die Rose auch heute - verbunden mit der Menschenkette - ein ganz starkes Zeichen.
Damit erinnern wir zum einen an die Folgen der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahr 1933, an die Abschaffung der demokratischen Strukturen und an die Folgen des Krieges. Gleichzeitig ermutigen wir dazu, sich heute für die Demokratie zu engagieren, nach neuen Formen demokratischen, zivilen Miteinanders zu suchen und gleichzeitig ein Zeichen für Europa zu setzen.
Das Interview führte Tobias Fricke.